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Ken Jacobs’ Video Capitalism: Slavery von 2006 war die erste Arbeit, die der Besucher in der Wanderausstellung Animismus (2010–2013) zu sehen bekam. Die Arbeit basiert auf einer Stereoskopie, die durch raschen Wechsel zwischen den beiden Aufnahmen und der minimalen Verschiebung des Blickwinkels auf die Szene gleichsam animiert wird: diese dem Flicker-Prinzip ähnliche Methode der Animation mit absolut minimalen Mitteln ist eine Spezialität des Experimentalfilmpioniers Ken Jacobs. Die Methode produziert ein halluzinatorisches Seherlebnis, das einen gleichsam in einen deliriösen Bildraum hineinzieht, der immer auch über 3-Dimensionalität verfügt. Dabei verwendet Jacobs historisches Bildmaterial als Ausgangspunkt, die Motive dieses Materials werden dabei zu einer exemplarischen Szene, die gleichzeitig animiert und fixiert wird, die durch die Bewegung zum Leben erweckt wird, aber gleichzeitig in endloser Wiederholung in sich gefangen bleibt. Man kann Jacobs Arbeit als eine Form der Medienarchäologie bezeichnen, wobei der Gegenstand der Archäologie das Verhältnis von Technologie, menschlichem Sensorium und den jeweiligen historischen Szenen selbst ist. Es entsteht so eine Form des halluzinatorischen Eingedenkens an Momente der ursprünglichen Begegnung von Körpern, Technologien und Medien, aus denen eine neue Realität hervorgegangen ist.

Im Falle von Capitalism: Slavery ist das verwendete Motiv eine Baumwollplantage in den USA mit schwarzen Arbeitern, und einem Aufseher zu Pferde im Hintergrund. Die Bewegung zwischen den Bildern, die durch minimale Verschiebung der Perspektive den Effekt der Quasi-Animation hervorruft, wird zur Analogie zur repetitiven Gesten der Arbeit der Plantagenarbeiter bei der Baumwollernte. Die Plantage ist die Urszene von Kapitalismus, Kolonialismus und Sklaverei, aber auch der späteren Fabrikarbeit und des Taylorismus, aus ihr geht nichts Geringeres als eine neue Physis und eine neue Welt hervor. Auch die Illusionsmaschine des Kinos wird von Jacobs so in ein Verhältnis zu dieser Maschine der Produktion gesetzt, in ein historisches Kontinuum von Fixierung und Animation, Unterwerfung und Mobilisierung, der Objektivierung und Verdinglichung auf der einen Seite, aus der die Animation der Warenwelt und hegemoniale Subjektivitäten hervorgehen, aber auch widerständige Subjektivitäten, die Träger einer Erinnerung an eine Differenz sind, deren Widerstand immer der Widerstand gegen die Naturalisierung und das Vergessen sein wird.

Die Differenz, auf die sich diese – wie überhaupt jede – widerständige historische Erinnerung beruft wird zu einer ontologischen Differenz, einer Differenz gegenüber einer Seinsordnung, die immer dazu auffordern wird, der Realität die Möglichkeit des Anders-Seins abzuringen. Ihre Widerständigkeit misst sich nicht zuletzt daran, sich der Gettoisierung dieses Anderen als Fiktion zu widersetzen. Ken Jacobs Arbeit ist eine Arbeit am Bildraum der Geschichte, ein Aufsuchen solcher dialektischer Bilder wie sie die Geschichtsphilosophie eines Walter Benjamin zu mobilisieren suchte. In diesem Bildraum der Geschichte geht es um Produktion und ihre historischen Variablen. Es ist ein Bildraum der Immanenz, der nur aus der Mitte der Medialität heraus aufgebrochen werden kann, aus der Mitte der dialektischen Umschlagpunkte, jenen Punkten der Vermittlung zwischen den forcierten und essentialisierten Gegensätzen, die hier wieder zu einem Kontinuum werden, jenen Punkten der Symmetrie, durch die Asymmetrien überhaupt erst in den Blick gelangen können. Diesen Bildraum aufzusuchen bedeutet, Geschichte so vollständig wie möglich zu vergegenwärtigen, die Effekte der Medialität dort zu fixieren, wo sie einen Meridian am Zenith des Horizonts bilden. An diesem Meridian, so ließe sich vorstellen, tritt Medialität in allen ihren Registern überhaupt erst als solche zum Vorschein, und zwar in dem jedes Bild zu einer Kippfigur wird – jenen Figuren, in denen Figur und Grund sich bedingen und doch austauschbar sind, die eine Differenz in gleichzeitig vorhandenen Motiven aufweisen, von denen immer nur eines wahrgenommen werden kann, und in denen der Aspektwechsel in der Betrachtung so die Implikation des Betrachters in den Bildraum verdeutlicht.

Ken Jacobs Arbeit ist eine solche Vergegenwärtigung des historischen Bildraums, indem Sensorium und Technologie, sowie Vergangenheit und Gegenwart zu Kippfiguren werden, Figur und Grund sich abwechseln, und eben jene Gegenwärtigkeit des Betrachters im und durch das Bild erst produziert wird. Der Körper wird zum Effekt des Bildes, das Bild zum Effekt des Körpers: davon ausgehend öffnet sich entlang des Meridian permanenter Kippmomente der Geschichtsraum hin zu seinem Anderen, indem er als verifizierte Geschichte, in denen sich die Unterscheidungen, Gegensätze und Differenzen sedimentiert haben, negiert wird. Dieser Meridian ist der Meridian der Medialität schlechthin, der Nexus der Vermittlung zwischen dem Aktiv und dem Passiv im weitesten und allgemeinsten Sinn, der Fall des Mediums, in anderen Worten, wo die Unterscheidung zwischen Machen und Gemacht-Sein temporär unmöglich wird und so als Variable der historischen Produktion hervortreten kann.

Lässt sich eine solche Hypothese eines Meridian der Kippfiguren im Inneren der Bilder methodisch auf ein Archiv anwenden, und dessen Gegenwärtigkeit dadurch ermessen? Lässt sich ein Archiv durch einen solchen Meridian durchqueren? In diesem Sinne möchte ich den deliriösen, hallizunatorischen Bildraum, den Ken Jacobs nur dadurch produziert, in dem er uns als Betrachter in den Meridian von Animation und Fixierung einschreibt, als methodisches Vehikel für eine Reise durch das Archiv benutzen.

Das daraus entstandene Programm verschränkt drei Unterscheidungen miteinander, die durch Institutionen, Diskurse und Ästhetik sorgsam bewachte Differenzen und Grenzen sind, die aber auch der historischen Transformation unterworfen sind, insbesondere in Bezug auf die Produktion von „Moderne“. Lassen sich Transformationen dieser Grenzen anhand von Filmbeispielen der letzten 40 Jahre nachvollziehen? Welche unterschiedlichen Strategien und Konzepte gab und gibt es, um
eine Grenzziehung und ihre sozialen Ein- und Ausschlüsse in einen dialektischen Bildraum zu übersetzen? Die erste Unterscheidung ist die Differenz der Normalität zur Pathologie oder zum Wahnsinn, die zweite Unterscheidung die von Moderne und dem Prä- oder Nicht-Modernen.

Der historische Moment der vielleicht weitreichendsten, radikalsten Kritik der sich in auch im Archiv des Arsenal wiederfindet, ist der Diskurs der Anti-Psychiatrie. Seit der Anti-Psychiatrie gab es keinen kritischen Diskurs mehr, der die Herausforderung der ontologischen Differenz radikaler und umfassender begegnet wäre. Dazu kommt, dass der Meridian der medialen Kippmomente der Schizophrenie, die im Zentrum der Kritik der Anti-Psychiatrie steht, nur zu bekannt ist: Die Schizophrenie ist auch eine Herausforderung an das Denken der Meridiane von Medialität. Der Anti-Psychiatrie, wie sie in einem Experiment wie der Kommune Kingsley Hall unter dem zentralen Einfluss von R.D. Laing praktiziert wurde (Kingsley Hall im Film ASYLUM von Peter Robinson, USA 1972), möchte ich eine weitere Differenz hinzufügen, die den Kern der sogenannten Ethnopsychiatrie bildet: Die Differenz der Moderne zu ihrem Anderen, dem vormals als Primitiv bezeichneten. Die Ethnopsychiatrie konfrontiert die Herausforderung der ontologischen Differenz innerhalb der kolonialen Matrix, sie sucht ein Außen zu dieser Matrix aus der Mitte der Differenzen heraus zu artikulieren, die diese Matrix erst konstituieren. Das ist eine Matrix deren Medialität zu vermessen sich Jean Rouch sein Leben lang gewidmet hat.

Die konkrete Praxis des Heilens aber verlangt mehr als Negation in Bezug zu den Systemen, die die Symptome als ihre medialen und verkörperten Effekte erst produzieren. Die Praxis des Heilens muss die Negation der Negation suchen, sie ist der Struktur nach affirmativ, sie muss ihren Bezugsrahmen in Bezug auf ihre Möglichkeiten der Transformation benennen und beschränken, sie muss die Heilung über den Ruf nach Revolution stellen. Wie lässt sich also das Schicksal jener Kritik fassen, das was von der radikalen Herausforderung und Öffnung zu ontologischer Differenz geblieben ist, wie lässt sich dadurch die Gegenwärtigkeit eines Archivkörpers zur Sprache bringen? Lässt sich ausgehend von dieser Reflektion isolieren, was als strukturelle Problematik den Gesten der Politisierung eingeschrieben ist, die das Archiv des Arsenal durchziehen und animieren; jenen Gesten der Politisierung, die die Kritik der Exklusion anhand dialektischer Filmpraxis zu betreiben suchen?

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