Der Möglichkeitsraum für das Living Archive Projekt
greift auf das Format der Kinoperformance im BDF zurück. Neben der Film- und Videoprojektion wird wieder ein Filmschneidetisch auf der Bühne stehen, der während der Performance abgefilmt wird. Der Kinoraum verwandelt sich damit in einen Post-Montage- oder Sichtungsraum. Der Raum der Konstruktion, der normalerweise vor dem Moment der Präsentation steht, wird im Raum der Repräsentation als Raum der Produktion zurück geholt. Die theatral-archaische Funktion der Kinobühne (Performance) wird mit dem Feld der Verknüpfung (Schaltpult, Montage) und dem Screening zusammen gedacht. Performativ ist dabei das Verhältnis des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Zeitregime (Kino und Performance), die in der Geschichte des Kinos entweder als progressives Moment für eine fortschreitende Bewusstseinswerdung gefeiert wurde (expanded cinema), aber auch als regressives Element im Pornokino auftaucht.
Im Rahmen des Living Archive-Projekt soll das Kino dem Möglichkeitsraum für performative Archivsichtungen (Archival Viewing Acts) Platz machen. Der Film (seine aktuelle Interpretation, seine mögliche Vergangenheit und seine Potenz in der Zukunft), im Archiv (sein Ankommen, Bleiben und Verschwinden) wird im Akt der Sichtung zur Live-performance. Dazu wird im Vorfeld über die Formatentwicklung gearbeitet.
Formatentwicklung
(zusammen mit Constanze Ruhm) Für die Weiterentwicklung der bereits mit 16/35mm Schneidetisch und Videodoppelprojektion erweiterten Kinobühne kartografieren wir im Vorfeld alle möglichen "In-und Output-Relationen" des Arsenalkino und des Schneidetisches. Es geht darum, die Bühne mit ihren Falltüren (Bühnentrick, Trick im Film) und technischen Möglichkeiten für die Montage/Performance zu erfassen, weil die Szene im Möglichkeitsraum als kollektiver psychischer Raum verstanden wird, der das Gruppensubjekt mit konstituiert, das aber nur im Kino selbst verstanden werden will.
Die Audioeinspielung oder Tonaufnahme im Kino verweist auf das Archiv: Für uns spielen Audioaufnahmen, die bei bzw. nach Screenings von Publikumsdiskussionen und Panels aufgenommen werden, eine wichtige Rolle. Diese Audioaufnahmen, das sonische Archiv des Arsenals, könnten zur Grundlage für die Entwicklung / Komposition von neuen Audiotracks werden, wobei so auch wieder auf das Ton-Bild-Verhältnis im Archiv einerseits, und weiters in Bezug auf die Architektur des Arsenals (das Tonstudio hinter der Leinwand in Kino1 beispielsweise, das auch für unser Projekt zum Produktionsort werden soll) andererseits, verwiesen wird.
Das Kino kommt nicht nur aus dem Theater, es bedient grundsätzlich andere Dramen als die des Theaters. Die Planung des Arsenalkinos bedachte die Kinobühne mit Ein- und Ausgängen, mit einem Screen und einer Bühne, die an das Archiv gekoppelt ist. Der Sichtungsraum im Haus, der Lastenaufzug hinter dem Projektionsraum, das Tonstudio hinter dem Screen im Kino 1 etc., wird auf alle möglichen Verbindungen in den Kinoraum untersucht (z.B. Lichtfenster und Schalltüren, elektronische Zugänge von Bild und Ton in den Kinoraum, Verkabelungen, Mikrofone etc.). Auch beim Schneidetisch geht es um die Ein- und Ausgänge des Filmes: die Suchbewegungen der Abspielvorgänge des Filmes auf dem 16mm-Tisch werden auf Video dokumentiert und können als Material in die Performance mit eingespielt werde: ein Live-Making-Of eines Searching-For.
Eine weitere Möglichkeit, Geschichte und Architektur von Archiv und Kino zusammen zu denken und produktiv zu machen, besteht darin, zu jenen besagten Öffnungen, Durchgängen, Falltüren, Aufzügen usw. filmische Äquivalente zu finden (in einer filmischen Narration, in einer visuellen Komposition, in einer dramaturgischen Auflösung, in einem Dialog zwischen zwei Darstellern), und diese – symbolisch oder auch real – auf die vorhandene Architektur zu "projizieren".
Die Arbeit am "Zu- und Ausgang" der Archive des Arsenals, also auch das "Versenden" (von Aussagen, also Filmen) etc. beschreibt das "Leben des Films" jenseits der Grenzen der Bild- und Tonfenster, außerhalb der Planung der Bildproduktion auf der Ebene der Fabrikation oder des Experimentes der Macher. Die Distribution des Filmes (Festival, Seminar etc.) beschreibt den Kinoraum als Sensor des Zeitgeschehens mit seinen Ereignisfenstern und pro/regressiven Zeiträumen. Nach der Kartografierung des Arsenalkinos wird der "Möglichkeitsraum" als Kino-Performancebühne für die Sichtung und Vorführung spezifischer Filme gedacht.
Filmsichtung: Post-feminismus/Technik/Kino
a) In Fortsetzung zur Arbeit mit Stefanie über das Arsenal im BDF (Feminismus/Film/Festival) möchte ich/wir weitere Filme sichten, die sich mit der Frage der Technikproduktion bzw. Mediengeschichte und der Körperproduktion beschäftigen. Begreift man Kino als Möglichkeitsraum zur Hervorbringung neuer Subjektkonstellationen, wird das Zeigen der Filme (im Festival oder in der politischen Veranstaltung) zum rituellen Vorgang, indem während der Zeit der Vorführung (Ritualzeit) differente Körperkonstellationen (Positionen) und mentale Welten (Kosmologien) auf uns projiziert werden. Die Medialität im Kinoraum kann man, wie in der Filmtheorie der 70er Jahre, als schizophrene/ödipale Maschinerie moderner Körper verstehen, in der sich die Produktion/Konsumption auf gegenpoligen Seiten von Zuschauer/Produktion teilt. Diese Polarisierung muss jedoch problematisiert werden. (Gibt es ein falsches Leben im Film und im Kino? etc.). Man kann das Kino als Produktionsraum verstehen, in der die Verhältnisse eher "schizogam" funktionieren, (d.h. in der Art, wie ein Körper durch Abtrennung eigener Körperteile andere Körper produziert). Die Kosmologie der "Schizogamie" ist dann ein Ermöglichungsfeld differenter, subjektiver Konstellationen, welche die Position der Erfindung des Postfeminismus beansprucht (2007, Elisabeth von Samsonow, Anti-Elektra).
Der Kinoraum als Produktionsraum deutet Maschinen-Subjektivitäten mit Mitteln, die der Experimentalfilm und die Medienkunst bereits oft erforscht haben. Was ist der Moment der Produktion von Subjektivität im Kinoraum, der an ein Archiv gebunden ist? Wie artikuliert sich der Moment des Hervorbringens neuer Subjektkonstellationen in der Zeitdramaturgie eines Kinos, dessen Geschichte das Archiv formt?
Der feministische Film brachte durch die Verknüpfung der Potentiale Frau/Maschine die Konsistenzebene einer technisch-sozialen Entwicklung hervor, die sodann für die Philosophie zentral wurde (das Frau-Werden der Produktion, Wunschmaschinen etc.). Was bedeutet darin die schizogame Relation (Produktion von Körpern aus Körper als Position des Wissens) in ihrer nicht hetero-normativen Geschichte der Produktion? Die Aussage an das Gefüge der Aussagen zu binden, heißt es als autonomes Produktionsfeld der Aussage zu beanspruchen. (Darin ist Performativität zu bestimmten Momenten eine realisierte Form der Technikgeschichte). Das Hervorbringen oder Erfinden neuer Subjektpositionen ist wesentlich autonomer, als man sich bisher vorstellen mag. Der Ausdruck dieser Erfindungen ist transversal, er ist lebendig, animistisch und zauberhaft. d.h. er ist Technikerfindung und Erfindung einer potentialen Sozialität gleichzeitig. Expressivität ist dann nicht nur im Film, sondern im Gefüge Film/Publikum und im Gefüge Film/Produktion/Archiv zu verorten und der Kinoraum ist folglich Produktionsraum, sogar Postproduktionsraum. Die darin agierenden Subjektpositionen sind rituell, maschinell, virtuell und performativ. Sie begleiten das Kino mit einer noch nicht realisierten Geschichte der kollektiven Artikulation, die mit dem Theater bricht, aber den Bruch, den das Theater als kosmische Konstruktionsebene für sich beansprucht, konstitutiv für das Narrativ der Psyche macht. Deshalb ist es das Kino, das in die Geschichte der Psychoanalyse die Vorstellung einer kollektiven, seelischen Konstruktionsebene einführt. Mit solchen Orten kann eine Kosmologie in der Stadt (Berlin) erreichbar bleiben, sie ist durch den Kino-Ort Arsenal offen, experimentierbar.
Berlin, 18.November 2011