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Das Projekt „Revisiting Memory“ widmet sich dem Aufbau eines offenen Archivs in den Räumlichkeiten der Cimatheque in Kairo. Dieses Archiv soll dazu dienen, die Rolle des Bewegtbildes in Zeiten sozialer Umbrüche und des Übergangs sowie seinen Einfluss auf die Meinungsbildung zu untersuchen. Parallel dazu werden Partner der anderen Visionary-Archive-Projekte eingeladen, in der Cimatheque Programme mit Filmen aus den jeweiligen Sammlungen entlang derselben Fragestellung zu präsentieren.

Trotz des umfangreichen Filmerbes gibt es in Ägypten kein zentrales Filmarchiv, zumindest keins, das die dafür notwendigen Ansprüche erfüllt. Die existierenden nationalen Filmarchive sind völlig unstrukturiert. Das nationale Filmerbe lagert dort unter den schlechtesten Bedingungen, oder es ist bereits zerstört. Archivbestände können zwar von privaten Sammlern angekauft werden. Möglichkeiten, ihre Sammlung einem Publikum zu zeigen, sind jedoch selten, da die dafür notwendigen Voraussetzungen fehlen.

Im Rahmen von „Revisiting Memory“ werden Kuratoren und andere Personen eingeladen, am Aufbau und an der Präsentation eines Archivs mitzuwirken. Die Sammlung soll thematisch von drei bedeutenden historischen Ereignissen der jüngeren ägytischen Geschichte ausgehen. Ziel ist es, eine Grundlage zu schaffen, von der ausgehend diskutiert werden kann, wer Deutungshoheit über die Geschichte besitzt und welchen Wahrheitsgehalt umstrittene Narrative haben.

- Der Militärputsch – oder die Revolution – (1952), geführt von Gamal Abdel Nasser, Muhammed Naguib und den „Freien Offizieren“
- Der Sechstagekrieg (1967)
- Das Camp-David-Abkommen und die Ermordung von Anwar as-Sadat (1978–1981)

Diese Daten sind als lose Zeitachse gedacht. Sie sollen die Möglichkeit bieten, die Erinnerung an weitere gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse wachzurufen und Ägyptens Beziehung zur eigenen Geschichte von einem persönlichen Blickwinkel aus zu betrachten. Insofern geht es im Projekt nicht nur um Archive und Geschichtsschreibung, sondern auch um die eigene erinnerte Geschichte, die durch Bilder und die propagandistische Repräsentation der Vergangenheit wachgerufen wird.

Der Recherche- und Archivaufbauprozess wird sich teilweise dem kommerziellen ägyptischen Kino und der Verstaatlichung der Filmindustrie in den 1960er Jahren, die die Filmproduktion beeinflusste, widmen. Des Weiteren werden der Einzug des Fernsehens in die ägyptischen Wohnzimmer und das Aufkommen von Werbung Gegenstand der Bertrachtung sein. Das Hauptaugenmerk allerdings wird der Sammlung von Material zukommen, das an den Rändern der Gesellschaft produziert wurde: Amateur-Material und Home Movies, unabhängig produzierte Filme, die keinem staatlichen Einfluss unterlagen, sowie ungeschnittenes Nachrichtenmaterial und andere filmische Dokumente. Die Einbeziehung verschiedener filmischer Sprachen und Ästhetiken soll eine alternative visuelle Geschichtsschreibung und unkonventionelle Lesart der Vergangenheit ermöglichen.

Der Aufbau des Archivs

Der Gedanke zum Aufbau eines Archivs entstand aus einer gegenwärtigen Notwendigkeit heraus. Unterschiedliche Faktoren spielten dabei eine Rolle: die Verschiedenartigkeit der verbreiteten Filmmaterialien, wie diese von Vertretern unterschiedlicher Überzeugungen zur Mythenbildung benutzt wurden und die Fragilität des Mediums selbst. Kann die Zeitlichkeit des Filmbildes zu einem tiefgreifenderen, komplexeren Verständnis der Stimmung in einem Land oder politisch motivierter Perspektivwechsel führen? Kann mit Film ein einzigartiger Moment eingefangen werden? Und wie können verborgene Erinnerungen wieder aktiviert werden?

Der Zugriff auf Archive wird in Ägypten nur wenigen gewährt, und das, was zugänglich gemacht wird, kann strenger Zensur unterliegen. Manchmal ist es fast unmöglich, alternative Darstellungen der jüngeren Landesgeschichte zu finden. Dies lässt sich auf den Mangel an unparteiischen Quellen zurückführen, auf oftmals beschädigtes oder durch verschiedene Interessengruppen verfälschtes Material. Die dadurch entstehenden Informationslücken machen ein umfassenderes Geschichtsbild unmöglich. Stattdessen hinterlassen sie nur Eindrücke der Vergangenheit.

Ein Archiv kuratieren

Archive sind von großer Bedeutung für den Erhalt des kulturellen Erbes eines Landes, Orte an denen Wissen gesammelt und Geschichte dokumentiert wird. In der zeitgenössischen Archivpraxis jedoch werden die machthabenden Instanzen in Bezug auf ihre Neutralität und Transparenz kritisch hinterfragt. Das trifft insbesondere auf postkoloniale Gesellschaften zu. Die Archive sind teilweise unvollständig, oder die Objekte sind verstrickt in die politischen Verflechtungen des Verantwortlichen, oder in seine emotionalen Bindungen zum Material. Wie mit einem Archiv gearbeitet wird, die Zugänglichkeit des Archivs und dem einen Ausdruck zu verleihen, all das sind zentrale Aspekte für den Aufbau des Archivs an der Cimatheque.

Die Geschichtsschreibung ebenso wie die existierenden Archivmodelle sind in Ägypten sehr umstritten. "Revisiting Memory" will Kuratoren und anderen Personen einen Rahmen bieten, ihren eigenen Blick auf historisches Material zu präsentieren und Fragen zum Eigentum und zur Interpretation kollektiver Erinnerung zu erörtern. Das Ziel ist, eine aktive Auseinandersetzung mit Film und einen kritischen Diskurs im Hinblick auf zentrale Momente in der Geschichte anzuregen.

Dieser subjektive Zugang verfolgt auch das Ziel, die direkten und indirekten Strategien sichtbar zu machen, durch die Erinnerung und Nostalgie von Personen in Machtpositionen konstruiert wurden, um bestehende Auffassungen von Geschichte und Identität sowie das Verhältnis vom Volk zum Staat zu untergraben.

Ausgehend von diesen peripheren Erinnerungen wird auch die Art und Weise hinterfragt, in der der Akt des Erinnerns und des Vergessens in der Vergangenheit bezeichnend war für die Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft, für einen kollektiven Umgang mit einem Trauma, oder für einen Zustand, der von Regierungen oder anderen Machtinhabern über eine Gesellschaft verhängt wurde. Geräusche und fragmentierte Bilder füllen die Lücken in der Erinnerung, die plötzlich schwarz geworden waren oder bewusst ausgelöscht wurden. Es bleibt zu hoffen, dass eine erneute Durchsicht und Bewertung der Archive verdrängte Wahrheiten ans Licht bringt, und, ganz wesentlich, die Fragilität von Erinnerung verdeutlicht.

Programm

„Revisiting Memory“ ist ein öffentliches Programm, das Filmvorführungen und Diskussionen in Zusammenarbeit mit anderen Partnern des Projekts „Visionary Archive“ mit einschließt. Die Veranstaltungen werden von Herbst 2014 bis April 2015 in Kairo stattfinden.

Alle Partnerprojekte arbeiten mit „gefundenen“ Archiven, die zum Teil schon in ihrer Entstehung Ausdruck eines politischen Umbruchs waren, wie in Khartum und Bissau, oder aber mit Sammlungen, die dadurch verändert und geprägt wurden, wie in Johannesburg und Berlin. In Filmvorführungen und anderen öffentlichen Veranstaltungen werden die strukturelle Beziehung von Film in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern untersucht. Aus diesem Grund werden verschiedene Filmformen und unterschiedliche Zugänge zu Film einbezogen. Die kuratorische Perspektive ist für das Verständnis von Film dabei gleichbedeutend mit der ästhetischen Sprache des Films.
Die Cimatheque hat sich einer vermehrten Sichtbarmachung von zuvor öffentlich nicht gezeigten Filmen und dem Erhalt wichtiger Aspekte des kulturellen Erbes verschrieben.

Cimatheque

Die Cimatheque ist ein vielseitiger Ort in Downtown Cairo, an dem Film den ihm gebührenden Raum erhält, und an dem unabhängige Filmemacher in Ägypten unterstützt werden. Hervorgegangen aus einem Umfeld, in dem sich eine lokale alternative Filmszene in Ägypten entwickelt, ist die Cimatheque als dynamischer Raum gedacht, an dem unabhängige Filmemacher sich vernetzen, forschen, Projekte entwickeln und arbeiten können. Die Cimatheque ist ausgestattet mit einem Kinosaal, einem analogen Filmlabor, einer Biobliothek mit Büchern und DVDs, einem Archiv sowie Sichtungsmöglichkeiten. Die Cimatheque bietet Zugang zu Filmen, die in Ägypten selten oder nie gezeigt oder gesehen wurden (nationale wie internationale Filmproduktionen).
Die Cimatheque hat sich einer vermehrten Sichtbarmachung von zuvor öffentlich nicht gezeigten Filmen und dem Erhalt wichtiger Facetten des kulturellen Erbes verschrieben.

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)

Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds