Mit behutsamem Blick schaut sich Claire Simon in ihrem beeindruckenden Dokumentarfilm in einer gynäkologischen Klinik in Paris um; sie trägt Szenen von Geburten und Krebsdiagnosen, von Beratungsgesprächen zu Endometriose und zur Hormontherapie für eine ältere trans Frau zusammen. Was dabei entsteht, ist ein zunächst beobachtender, später immer persönlicherer Film über das, was es bedeutet, in einem weiblichen Körper zu leben, und zugleich ein wunderbares Beispiel für die Stärke dokumentarischen Kinos. NOTRE CORPS bündelt Erfahrungen, von denen man glaubt, man sei damit alleine; er macht Strukturen sichtbar, wo man Nöte für individuell hält; er legt dar, wie sehr Dinge, über die man sich nicht zu sprechen traut, eine gesellschaftliche Dimension haben und diskutiert werden müssen.
NOTRE CORPS (Our Body, Frankreich 2023) Claire Simon; DCP, OmdU, 168 Minuten
"Wenn die französische Filmemacherin Claire Simon ihre Dokumentation über eine Pariser Frauenklinik NOTRE CORPS nennt, ist dies eine Setzung in gleich mehrfacher Hinsicht. Jenseits von allen theoretischen Diskursen macht sie sich auf, den weiblichen Körper einfach erst einmal grundsätzlich zu erkunden, der bei ihr nicht Schicksal ist, aber doch die Biografie einer Frau entscheidend prägt. Sie tut es voller Sympathie und Neugier. Alles bleibt hier konkret, nichts wird Metapher oder Argument im Diskurs. Drei Stunden lang folgen wir ihr durch die verschiedenen Stationen der Klinik und des Lebens, in vertrauliche Gespräche zwischen Ärztinnen und Patientinnen, in Behandlungszimmer und Operationssäle. Keine einzige Minute ist zu viel. Der Film ist eine Sensation.“ Perlentaucher
"In einer Zeit, wo der Gesundheit und Körperlichkeit von Frauen langsam mehr Beachtung geschenkt wird – sei es in dem Vorhaben, Medikamente endlich auch spezifisch für Frauen zu dosieren oder Endometriose als ernstzunehmendes Leiden anzuerkennen –, leistet NOTRE CORPS einen wichtigen, aber nie aufdringlichen filmischen Beitrag.“ Filmdienst
"Ein herausragender Dokumentarfilm… Dass die Kranken, Gebärenden und Sterbenden aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit genommen werden, ist in Europa üblich. Dass an diesen Verdrängungsmechanismen aber ein ganzes Körper- und folglich auch Lebensbild hängt, wurde selten so deutlich gezeigt wie hier. Pervertieren wir unseren Bezug zum Leben, weil wir diese Bilder nicht gut genug kennen? Sind wir im Besitz sowohl unserer Körper als auch der Bilder, die wir von ihnen haben? Solche Fragen wirft NOTRE CORPS auf, und es lohnt, ihnen nachzusinnen.“ NZZ
Claire Simon, geboren in London, arbeitete zunächst als Editorin und drehte mehrere Kurz- und Dokumentarfilme, bevor sie 1997 ihren ersten abendfüllenden Spielfilm SINON, OUI drehte. Neben ihrer Tätigkeit als Regisseurin und Drehbuchautorin arbeitet Claire Simon auch als Kamerafrau und als Schauspielerin. Sie war wiederholt im Forum der Berlinale zu Gast, zuletzt 2018 mit PREMIÈRES SOLITUDES.
Filme: 1989: Les patients (75 Min.). 1991: Scènes de ménage (40 Min.). 1995: Coûte que coûte / At All Costs (95 Min.). 1997: Sinon, oui / A Foreign Body (115 Min.). 1998: Récréations (54 Min.). 1999: Ça c’est vraiment toi (122 Min.). 2000: 800 Kilomètres de différence / Romance (78 Min.). 2002: Mimi (Berlinale Forum, 107 Min.). 2006: Ça brûle / On Fire (111 Min.). 2008: Les bureaux de Dieu / God's Offices (122 Min.). 2013: Géographie humaine / Human Geography (101 Min.), Gare du Nord (119 Min.). 2015: Le bois dont les rêves sont faits / The Woods Dreams Are Made of (144 Min.). 2016: Le concours / The Competition (121 Min.). 2018: Premières solitudes / Young Solitude (Berlinale Forum, 100 Min.). 2019: Le village – Première saison (280 Min.), Le village – Saison deux (255 Min.). 2020: Le fils de l'épicière, le maire, le village et le monde / The Grocer's Son, the Mayor, the Village and the World (111 Min.). 2021: Vous ne désirez que moi / I Want to Talk About Duras (95 Min.). 2023: Notre corps / Our Body.