FILM ALS POLITISCHE PRAXIS: Produktion, Präsentation und Partizipation
22.–24. August 2019
Jedes Jahr im August bietet das Arsenal – Institut für Film und Videokunst eine Summer School an. Drei Tage lang setzen sich die Teilnehmer*innen mit einem Thema an der Schnittstelle von Theorie und Praxis auseinander.
Wie kann das Medium Film im Kino und im Ausstellungsraum Orte für gesellschaftlichen Diskurs und politisches Handeln herstellen?
Die Beiträge und Workshops der diesjährigen Summer School werfen einen Blick auf unterschiedliche Ausdrucksformen einer künstlerischen Praxis, die die Einflussnahme auf gesellschaftliche und politische Prozesse dezidiert mitdenkt, sei es durch Arbeit im Kollektiv, künstlerischen Aktionismus oder ästhetische Strategien, die auf die Arbeit des*r Zuschauer*in gerichtet sind, indem sie Rezeption als Partizipation begreifen. Im Fokus stehen Filme oder filmkuratorische Konzepte, die weniger als Aussage denn als politische Handlung betrachtet werden können. Anhand von historischen wie gegenwärtigen Beispielen geht es darum, was getan werden muss, um im Zusammenspiel von Bild-Politik und gesellschaftlicher Praxis etwas zu bewegen.
Mit Beiträgen von Filipa César, Tamer El Said, Katja Eydel, Stephan Geene, Nanna Heidenreich, Karrabing Film Collective, Birgit Kohler, Lemohang Jeremiah Mosese, Savvy Contemporary, Stefanie Schulte Strathaus, Clarissa Thieme und Philip Widmann.
Die Veranstaltungen finden teils in deutscher, teils in englischer Sprache statt.
Anmeldung
Die Teilnehmer*innenzahl ist auf 30 Personen begrenzt. Plätze werden nach Eingang der Anmeldungen vergeben. Teilnahmegebühren: 135 Euro / 115 Euro (Mitglieder, Studierende, Berlin-Pass) / 95 Euro (Mitglieder im Arsenal-Freundeskreis)
Anmeldeschluss ist der 5. August 2019.
Anmeldeformular als PDF zum Download
Veranstaltungsorte
silent green Kulturquartier
Gerichtstr. 35, 13347 Berlin
&
Kino Arsenal im Filmhaus am Potsdamer Platz
Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Kontakt
Angelika Ramlow | Projektkoordination
summerschool(at)arsenal-berlin.de
Programm
Donnerstag, 22.8.
9:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Ankunft und Begrüßung
10:30–12:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Archivpraxis - Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.
von Stefanie Schulte Strathaus
Die Filmsammlung des Arsenal – Institut für Film und Videokunst umfasst rund 10.000 Titel aus der Geschichte des unabhängigen Kinos. Wenn sie etwas verbindet, dann ist es der Begriff eines „Gegenkinos“: Die Filme fordern die Sinne heraus, klären auf, bieten andere Narrative, überwinden Grenzen. Sie wollen verändern. Eine Archivpraxis, die diesen Filmen gerecht werden will, muss in erster Linie die Möglichkeitsräume erhalten, die sie schaffen.
In Archiven spiegeln sich Realitäten und Utopien vergangener Zeiten – gleichzeitig prägt archiviertes Wissen die Gegenwart. Wie übersetzen Archive historische Wirklichkeiten in gegenwärtige Erzählungen? Was können Archive für die heutige Gesellschaft leisten?
12:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Mittagessen im Restaurant Mars
14:00–16:00 Uhr, silent green Kulturquartier
A-Clip – 53 Kinospots als Intervention im Werbeblock der Kinos
von Stephan Geene und Katja Eydel
A-Clip war ein Projekt, das von der Grundidee ausging, die Aufmerksamkeit des Zuschauers im abgedunkelten Kinoraum für die Platzierung politischer und subjektiv-künstlerischer Aussagen zu nutzen. Dafür wurden Kurzfilme produziert, die sich an der Werbefilmästhetik orientierten, die sie teilweise aufgriffen, persiflierten oder brachen, und die sich mit dem Thema der „inneren Verunsicherung“ auseinandersetzten, die Menschen erfasst und zur Entsolidarisierung führt. Die einzelnen A-Clips, jeweils ca. 50 Sekunden lang, wurden zwischen die vor dem Hauptfilm gezeigten Werbeclips eingeschnitten. Die A-Clip Produzent*innen sind Filmemacher*innen oder Künstlerinnen, die neue Wege suchten, um eine politische Öffentlichkeit herzustellen.
Die 53 gezeigten A-Clips wurden im April 2003 in drei Studios in Berlin, London und Los Angeles produziert. Entstanden sind 53 sehr subjektive Auseinandersetzungen mit dem Medium Film und den Möglichkeiten des Kinos. Das Projekt A-Clip ermöglichte diesen Filmen eine allgemeine, über den Kunstraum oder die Festivalstrukturen hinausgehende Öffentlichkeit.
Es wird eine Auswahl aus den drei produzierten Staffeln gezeigt (1997/1998/2002-03).
16:30–18:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Ogawa Pro – Hingabe in Zeiten des Wirtschaftswunders
von Philip Widmann
Die Arbeiten von Ogawa Shinsuke (1935-1992) und seines Produktionskollektivs Ogawa Pro(ductions) zählen zu den wichtigsten Positionen des japanischen Dokumentarfilms. Ihre Serie von Filmen mit den Landarbeiter*innen, die während der 60er- und 70er-Jahre in Sanrizuka gegen den Bau des internationalen Flughafens Narita kämpften, ist ein außergewöhnliches Dokument politisch motivierter Filmarbeit. Spätere Filme von Ogawa Pro erkundeten in jahrelanger Forschung das bäuerliche Leben als Mikrokosmos japanischer Gegenwart und Komplement zu den dominanten Nachkriegs- und Wirtschaftswundererzählungen. Im Archiv des Arsenal lagern einige Filme von und über Ogawa.
Filmbeispiele und kurze Texte zeigen die Entwicklung und Transformation des Werks von Ogawa und Ogawa Pro zwischen den Mitt-60er und späten 80er Jahren. Unter welchen Bedingungen war die kompromisslose Hingabe von Ogawa und seinen Mitarbeiter*innen an ihre filmischen Gegenstände und die Menschen hinter ihnen möglich? Und wie wird dieses Erbe heute gezeigt und neu kontextualisiert?
anschließend Umzug ins Arsenal
20:00 Uhr, Kino Arsenal
Filme des Karrabing Film Collective
WINDJARRAMERU (THE STEALING C*NT$) (2015, 36 min) verbindet indigenes Geschichtenerzählen mit der beunruhigenden Bestandsaufnahme der sich unaufhaltsam abzeichnenden Umweltzerstörung und des zunehmenden Drogenmissbrauchs. Während um sie herum das Land von Rohstoffminen verseucht wird, sind einige junge indigene Männer gezwungen, sich in einem von chemischen Stoffen kontaminierten Sumpfgebiet zu verstecken, nachdem sie fälschlicherweise verdächtigt wurden, Bier gestohlen zu haben.
Schon mit WHEN THE DOGS TALKED (2014, 34 min) prägte das Karrabing Film Collective seinen Stil des „improvisierten Realismus“. Eine Gruppe Indigener streitet darüber, ob sie entweder ihren öffentlichen Wohnungsbau oder ihre heiligen Landschaftsgebiete retten sollen, während ihre Kinder zu verstehen versuchen, wie das von den Ahnen stammende „Dreaming“ in ihrem heutigen Leben zwischen hip-hop und Dinosaurier-Knochen einen Sinn ergeben könnte.
Freitag, 23.8.
10:00–11:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Ethan Jorrock, Angelina Lewis, Elizabeth A. Povinelli und Kieran Sing für das Karrabing Film Collective im Gespräch mit Filipa César
Das Karrabing Film Collective ist ein indigenes Medienkollektiv, das sich 2008 gründete und am oberen Ende des Northern Territory in Australien seinen Sitz hat. Es versteht sich als Basisbewegung, die ihre ästhetische Praxis als Mittel zur Selbstorganisation nutzt. Ihre Filme zeigen ihr Leben, schaffen Verbindungen zu ihrem Land und greifen in das globale Bild von Indigenität ein. Sie entwickeln eine eigene künstlerische Sprache zwischen Fiktion und Dokumentation sowie Geschichte und Gegenwart, die als neue Form des kollektiven indigenen Handelns verstanden werden kann. Das Medium Film ist eine Form der Überlebensstrategie – eine Weigerung, das eigene Land zu entäußern und ein Mittel zur Erforschung gesellschaftlicher Bedingungen der Ungleichheit.
11:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Mittagessen im Restaurant Mars
13:00–14:30 Uhr, silent green Kulturquartier
"Can't You See Them?" – The Library Hamdija Kreševljaković Video Archive Sarajevo
Künstlerische Strategien und Kollaborationen resultierend aus subjektiver Zeugenschaft
von Clarissa Thieme
Auf der Grundlage einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Library Hamdija Kresevljakovic Video Archive in Sarajevo, einer privaten Sammlung von Amateurvideos, in denen die Einwohner Sarajevos ihr Leben während der Belagerung (1992 - 1996) dokumentierten, entwickelt Clarissa Thieme seit einigen Jahren künstlerische Interventionen.
Dabei geht sie der Frage nach, ob die Sichtbarmachung der Subjektivität der Videos eine mögliche Strategie sein kann, um vorherrschenden Diskursen, die zu einer Objektivierung von Geschichte führen, mit der Komplexität einer Polyfonie von Erinnerungen kritisch entgegenzuwirken.
Zu diesem Zweck setzt sie die Zeugnisse aus dem Archiv nicht nur in Bezug zur heutigen Gegenwart. Vielmehr bezieht sie dieselben Personen, die das Material gedreht haben, in ihren künstlerischen Prozess ein und fügt dem Archivmaterial so nach 25 Jahren eine weitere zeitliche Dimension von subjektiver Zeugenschaft hinzu.
14:30–16:00 Uhr, silent green Kulturquartier
Savvy Contemporary
Der Drang, über Fragen von Gemeinsamkeit und Gastlichkeit nachzudenken, mit diesen zu experimentieren und sie erfahrbar zu machen, ist einer der Schwerpunkte der Arbeit von SAVVY Contemporary. In Anbetracht des Anstiegs an xenophober und rassistischer Gewalt, der sich weitenden Gräben zwischen Klassen und wirtschaftlichen Realitäten, der wieder aufpolierten hegemonialen Strukturen in den letzten Jahren und Jahrzehnten, ist es notwendiger denn je, über Gastlichkeit nachzudenken.Als Kunstraum, diskursive Plattform, Ort für gutes Essen und gute Getränke, Njangi-Haus und Raum für Gastlichkeit positioniert sich SAVVY Contemporary an der Schwelle zwischen Vorstellungen und Konstrukten des Westens und des Nicht-Westens, vor allem um zu verstehen und zu verhandeln, und natürlich auch um die Ideologien und besonderen Konnotationen dieser Konstrukte zu zerlegen.
Eine große Rolle spielt das außerdisziplinäre Arbeiten. Bei Teammitgliedern aus zwölf Ländern und fünf Kontinenten, die als Biotechnolog*innen, Kunsthistoriker*innen, Kulturtheoretiker*innen, Anthropolog*innen, Designer*innen und Künstler*innen ausgebildet sind, geht SAVVY Contemporary davon aus, dass interdisziplinäres Arbeiten nicht genug ist; man muss auch fähig sein, sich selbst vom engen Korsett der eigenen Disziplin zu befreien.
Zusammengefasst: SAVVY Contemporary schafft Raum, um die Kolonialitäten von Macht (Anibal Quijano) zu reflektieren und darüber nachzudenken, wie diese Geschichtsschreibungen, Geografien, Gender und Ethnizität beeinflussen. Es ist ein Raum, in dem epistemologischer Ungehorsam und Entkoppeln (Walter Mignolo) praktiziert werden, ein Raum für dekoloniale Praxis und Ästhetik.
16:30–18:30 Uhr, silent green Kulturquartier / Kuppelhalle
Screening: Mother, I Am Suffocating. This Is My Last Film About You. (2019, 76 min)
Anschließend: Lemohang Jeremiah Mosese im Gespräch mit Nanna Heidenreich
Die Menschen auf den staubigen Straßen Lesothos starren neugierig auf die junge Frau, die – wie Jesus – ein Holzkreuz auf dem Rücken trägt. Sie schaut zurück, in Gesichter, auf mystisch-schöne Landschaften, eine Schafherde und ein Paar Hände, die unablässig stricken. Was sie sieht wird visuell durch Schwarzweiß präzisiert, durch Verlangsamungen abstrahiert und durch Erinnerungen gefiltert. Eine raue Off-Stimme, die sich bewusst ist, nicht von denen gehört zu werden, an die sie sich richtet, formt den Bilderfluss zu einem filmischen Klagelied. Lemohang Jeremiah Mosese gelingt es in diesem Essayfilm, die Chronik einer sich radikalisierenden Trauer nachzuerzählen, die sich vom persönlichen Abschied von der Mutter zur politisch bewussten Lossagung vom Mutterland steigert. Der schmerzhafte Prozess der Verschiebung von der Innen- zur Außenperspektive auf das kleine afrikanische Land wird zutiefst persönlich visualisiert und kommentiert – von heute aus, aus dem Berliner Exil. Ein hübscher Engel begleitet den Transit. Dieses ungewöhnliche Lamento zu einer afrikanischen Migrationsgeschichte erhellt schmerzlich und intensiv einen nicht nur im Kino tabuisierten Erfahrungsraum. (Dorothee Wenner)
Lemohang Jeremiah Mosese wurde 1980 geboren und wuchs in Lesotho auf. Er lebt in Lesotho und Berlin. MOTHER, I AM SUFFOCATING. THIS IS MY LAST FILM ABOUT YOU., sein erster abendfüllender Film, hatte seine Weltpremiere beim Berlinale Forum 2019.
19:00 Uhr, silent green Kulturquartier
gemeinsames Abendessen im Restaurant Mars (im Preis inbegriffen)
Samstag, 24.8.
10:00–11:30 Uhr, silent green Kulturquartier
ONSHORE MEDIATHEQUE
von Filipa César
Im Dialog mit Cadjigue, einem in Bubaque, Guinea-Bissau, ansässigen Filmkollektiv, haben Filipa César und Sana N’Hada vor Ort das Projekt „Onshore Mediatheque“ initiiert, um zu den Bijagós, der dort lebenden indigenen Bevölkerung, wie auch zu ihrer Kultur eine Beziehung aufzubauen. Die Mediatheque soll zukünftig neben der Schaffung eines Medienzentrums für Film und audiovisuelle Produktionen, die Entwicklung von Web-Veröffentlichungen wie auch einer Online-Bibliothek und die Möglichkeit von Künstler*innen-Residenzen in Bubaque, der zentralen Insel des Bissago-Archipels, ermöglichen. Die Schaffung eines solchen Medienzentrums, das auch Workshops mit Künstler*innen und Personen im Feld der Medienpraxis anbietet, könnte die Entfaltung eines internationalen Netzwerkes befördern, das die Bijagós unterstützt, ihre eigenen Belange künstlerisch wie politisch zu artikulieren und nach außen zu tragen.
Die Nachwirkungen der kolonialen Herrschaft münden nun in postkapitalistische Bestrebungen, in der Ausbeutung und Zerstörung der Natur, die die Bijagós aufzudecken und zu bekämpfen versuchen, um ihren Lebensraum zu bewahren. Es geht um einen lebhaften Austausch zwischen Medienaktivist*innen vor Ort und Studierenden wie Künstler*innen aus aller Welt, um langfristig ein sich selbst tragendes autonomes Zentrum zu etablieren.
11:30–13:00 Uhr, silent green Kulturquartier
Partizipation
von Tamer El Said
Nach einer langen Vorbereitungsphase, während der gleichzeitig die Revolution in Ägypten stattfand, eröffnete eine Gruppe unabhängiger Filmschaffender 2015 die Cimatheque – Alternative Film Centre in Downtown Cairo. Mit ihrem Kino, einer Bibliothek, einem Labor und einem stets wachsenden Archiv dient sie als dynamischer Arbeitsraum, an dem Filmemacher*innen, Künstler*innen, Autor*innen, Kurator*innen und Filminteressierte sich vernetzen, forschen, Projekte entwickeln und arbeiten können. Grundlegende Voraussetzungen werden zur Verfügung gestellt: Produktionsstätten, Ressourcen, Ausbildung, öffentliche Vorführungen und Diskussionsveranstaltungen.
Insbesondere durch die Zugänglichmachung eines „Gegenarchivs“ sowie durch kuratierte Filmprogramme, die Geschichte und Gegenwart in engen Bezug zueinander setzen, entstehen hier neue Narrative vor dem Hintergrund von Austausch und Partizipation: Filmschaffende reichern mit ihren Privatbeständen das Archiv an, Besucher*innen und Nutzer*innen sind an der Programmgestaltung beteiligt, in Veranstaltungen und Workshops wird Wissen ausgetauscht.
Mitbegründer Tamer El Said spricht über kuratorische Modelle, die auf Partizipation beruhen und dabei kollektive Handlungsräume ermöglichen.
13:00 Uhr, silent green Kulturquartier
Mittagessen im Restaurant Mars
14:30–16:30 Uhr, silent green Kulturquartier
Praxis-Workshop „Was tun“?
Die Teilnehmer*innen erarbeiten kuratorische oder künstlerische Konzepte, Filmideen oder Manifeste, um die diskutierten Themenfelder zu reflektieren und präzisieren.
16:30–18:00 Uhr, silent green Kulturquartier
Präsentation und Diskussion der Ergebnisse im Plenum
18:00 Uhr, silent green Kulturquartier
Abschlussdiskussion
19:00 Uhr, silent green Kulturquartier
Drinks