"Zum Film brachte mich vor allem der Drang, Geschichten von lebendigen Menschen zu erzählen, von lebendigen Menschen, die inmitten der Dinge lebendig sind, nicht von den Dingen an sich. Das Kino, das mich interessiert, ist ein anthropomorphes Kino." Dieser Satz entstammt Luchino Viscontis manifestartigem Artikel "Das anthropomorphe Kino", der wenige Monate nach der Erstaufführung seines Spielfilmdebüts OSSESSIONE (1943) in der italienischen Filmzeitschrift "Cinema" erschien. Visconti formulierte darin nicht nur das persönliche Credo seiner frühen Schaffensperiode, sondern markierte damit gleichzeitig den Beginn einer Entwicklung des italienischen Films, die als Neorealismus zu einer der wichtigsten Filmströmungen in der Nachkriegszeit wurde. Als Mitbegründer des Neorealismus revolutionierte Visconti (1906 - 1976) nicht nur das italienische Kino; mit zahlreichen Inszenierungen erneuerte er nach 1945 auch Theater und Oper in Italien. Die Erfahrungen, die er an der Bühne sammelte, übertrug er in seine Kinoarbeit und umgekehrt. Seine späteren Filme, sowohl seine Klassiker des veristischen Films wie auch seine historischen Dramen, trugen zunehmend opernhafte Züge, verbanden filmische Opulenz mit theatralischer Choreografie. Visconti war von der untergegangenen Kultur des Fin de Siècle, in deren Geist er als Sohn einer alten Mailänder Aristokratenfamilie erzogen wurde, ebenso fasziniert wie von den (Klassen-)Kämpfen seiner Zeit.
"Er formte das Kino, die Kunstform des 20. Jahrhunderts, neu aus dem epischen Atem, der die Literatur und Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts prägte. In Viscontis Kino entstand ein Portrait der geschichtlichen Kräfte, die das politische und ästhetische Empfinden des 20. Jahrhunderts bestimmt haben. Mit atemberaubender Dekorversessenheit, die ein Maximum an realistischem Detail und kunstvoller Stilisierung anstrebte, rekonstruierte er eine 'verlorene Zeit', deren Untergang unausweichlich erschien." (Harry Tomicek)