"Für mich sind Worte doch nur Geräusche." (Caroline de Bendern in DETRUISEZ-VOUS, Serge Bard 1968)
Mit der Reihe "Underground, Übersee: Von Jack Smith und Andy Warhol bis Zanzibar" widmen wir uns den bislang unbeachteten Verbindungen zwischen der französischen und amerikanischen Underground-Filmszene der 1960er Jahre. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei einer Gruppe wiederentdeckter französischer Experimentalfilme – die Zanzibar-Filme –, die in Paris während und in der Folge der politischen Auseinandersetzungen um 1968 entstanden sind. Da einige ProtagonistInnen der Zanzibar-Gruppe in der damals von Andy Warhol stark geprägten Kulturszene New Yorks lebten, wodurch bestimmte ästhetische Sensibilitäten wiederum nach Paris gelangten, werden wir neben den französischen Filmen wichtige Beispiele aus der New Yorker Underground-Filmszene präsentieren. Dabei handelt es sich um ausgewählte neu restaurierte Filme von Andy Warhol sowie die in Deutschland bislang nie gezeigte komplette Retrospektive der Filme von Jack Smith. Einige ganz besonders herausragende Werke dieser Reihe werden im Rahmen von "Forum expanded" während der Berlinale präsentiert.
Um die Komplexität des transatlantischen Austausches zu verdeutlichen, präsentiert die Reihe außerdem Beispiele anderer Filmemacher des Pariser Umfelds: Etienne O'Leary, Piero Heliczer, Michel Auder und Warhol-Superstar Taylor Mead. Fast alle dieser Filme, die die Entwicklungslinie politischen und ästhetischen Filmschaffens in Europa und den USA der 1960er sehr stark geprägt haben, werden erstmalig für ein Berliner Publikum zu sehen sein. Durch die Verknüpfung der drei Fokusbereiche der Filmreihe – Zanzibar, Jack Smith und Andy Warhol – wird "Underground, Übersee" in ein Filmschaffen und in künstlerische Subkulturen einführen, die bisher nur begrenzte Aufmerksamkeit erhalten haben. Darüber hinaus soll die Filmreihe zeigen, wie in der politisch-turbulenten und ästhetisch-abenteuerlichen Atmosphäre der 1960er ein produktiver Austausch der Filmszenen zustande kam – nicht nur "Underground", sondern auch "Übersee".
Die rund 15 Zanzibar-Filme entstanden zwischen 1968 und 1973 und wurden alle von der jungen Öl-Erbin Silvina Boissonas finanziert. Wie sich Jackie Raynal (Filmemacherin, Cutterin und später auch Kinomacherin in New York) erinnert, gab es eine kleine Anzeige im "International Herald Tribune", in der stand: "Geld für Kunstprojekte zu vergeben. (…) Kommt zur Rue de l'Échaudé 33. Tel: …" Jeder, der dort etwas präsentierte – wirklich jeder – ein Bild, eine Fotografie, ein Film, Buch oder Musikprojekt, erhielt einen Scheck von dieser unglaublich wunderbaren, interessierten und exzentrischen Frau, die nie etwas von jemandem für ihr Geld verlangte."
Die Zanzibar-Gruppe bestand aus einem informellen Zusammenschluss von etwa zwölf KünstlerInnen, die sich nach der damals maoistischen Insel benannt hatten. Die verschiedenen MalerInnen, FilmemacherInnen, SchauspielerInnen und MusikerInnen (u.a. Philippe Garrel, Jacqueline Raynal, Patrick Deval, Oliver Mosset, Pierre Clémenti, und Serge Bard) waren damals alle Anfang 20. Aufgrund ihres exzessiven Lebenstils und der starken Verbindung zur Modewelt sind die Zanzibar-FilmemacherInnen von der amerikanischen Filmwissenschaftlerin Sally Shafto als die "Dandies des Mai 1968" beschrieben worden. Diese FilmemacherInnen sind neben der wesentlich bekannteren Nouvelle Vague diejenige Generation, die das französische Kino entscheidend weiterentwickelt hat.
Es ist uns eine besondere Freude, Sally Shafto am 22. und 23.1. als Gast begrüßen zu dürfen. Shaftos Arbeit zu den Zanzibar-Filmen hat maßgeblich zu deren Wiederentdeckung beigetragen. Ihr soeben auf Englisch und Französisch erschienenes Buch "The Zanzibar Films and the Dandies of May 1968" (Editions Paris Expérimental, 2007) wird im Februar präsentiert.