Wir beginnen die Filmgeschichtsreihe im Januar 2007 mit einigen "nachgeholten" Werken des US-amerikanischen Stummfilms. Es gibt ein Programm amerikanischer Avantgarde, denn die existierte schon in den 20er Jahren, wichtig sind MANHATTA (1921), ein Werk des berühmten Fotografen Paul Strand, und LIFE AND DEATH OF A HOLLYWOOD EXTRA (1926). Schließlich zeigen wir den sozialkritischen Klassiker THE CROWD von King Vidor (1928) und den Film eines anderen großen europäischen Emigranten in Hollywood, Victor Sjöströms Natur-Epos THE WIND (1928) mit Lillian Gish.
Zu Beginn des Monats muss noch ein Kapitel "Skandinavien" eingeschoben werden, denn in Dänemark und Schweden entstanden bereits ab 1917 bedeutende Meisterwerke des Stummfilms, die bekanntesten Regisseure sind Carl Theodor Dreyer, Victor Sjöström und Mauritz Stiller. Dreyer kam schon im Dezember im französischen Kapitel vor mit LA PASSION DE JEANNE D'ARC. Von Victor Sjöström zeigen wir jetzt KÖRKARLEN (Der Fuhrmann des Todes, 1921), die bildgewaltige Verfilmung eines Romans von Selma Lagerlöf. Mauritz Stiller, der andere große schwedische Regisseur des Stummfilms, ist präsent mit HERRN ARNES SCHATZ (1919, ebenfalls nach einem Roman von Selma Lagerlöf). Der Film ist berühmt wegen seiner Szenen in Schnee und Eis, ein Leichenzug bewegt sich auf ein im Eis eingeschlossenes Schiff zu. Der Film inspirierte Fritz Lang und Sergei Eisenstein. Ein weiterer Höhepunkt des skandinavischen Stummfilms ist der Film HÄXAN (Dänemark/Schweden 1922) von Benjamin Christensen, eine Chronik mittelalterlicher Hexen-Legenden und ein Lieblingsfilm der Surrealisten wegen seiner subtilen und fantastischen Horror-Bilder.
Das Kapitel des russisch/sowjetischen Stummfilms – ein zentral wichtiger Abschnitt unserer Filmgeschichtsreihe – beginnen wir mit AELITA (1924), dem Science-Fiction-Film von Jakow Protasanow (die futuristischen Kostüme und Dekors der Marsbewohner stammten von der Malerin und Bühnenbildnerin Alexandra Exter), und der Kuleschow-Groteske DIE SELTSAMEN ABENTEUER DES MR. WEST IM LANDE DER BOLSCHEWIKEN (gleichfalls 1924), in welcher – sie ist stark von Vorbildern des amerikanischen Western beeinflusst – Kuleschow sein geniales und bizarres Schauspieler-Ensemble vorführt (allen voran Alexandra Chochlowa als falsche Gräfin, aber auch Pudowkin, Barnet und Obolenski sind erwähnenswert). Dazu kommt noch ein anderer Kuleschow, die Jack-London-Bearbeitung PO SAKONU (Nach dem Gesetz, 1926), ebenfalls mit Alexandra Chochlowa in der Hauptrolle.
Es folgen ausgewählte Stummfilm-Klassiker von Sergej Eisenstein (STREIK, PANZERKREUZER POTEMKIN, OKTOBER, 1924–27), Wsewolod Pudowkin (DIE MUTTER, DAS ENDE VON ST. PETERSBURG, 1926–27) und Alexander Dowshenko (diesmal: SWENIGORA, der ukrainische Märchenfilm von 1927, und ARSENAL, 1928 – mit diesem Film wurde am 3.1.1970 das Arsenal in der Welserstraße eröffnet). In diesen Filmen manifestierte sich ab Mitte der 20er Jahre eine neue Filmsprache. Sie basierte auf der Entdeckung der Montage als Ausdrucksmittel, der Verwendung von rhythmischen Zwischentiteln, einer expressiven Bildgestaltung und einer neuartigen Erzähltechnik. Wie in einem Blitzstrahl wurde in kurzer Zeit eine neue Schule des revolutionären Kinos geboren, deren Werke, im Deutschland der 20er Jahre bekanntgeworden und gefeiert als "Russenfilme", von Berlin aus um die Welt gingen und ganze Generationen von Filmemachern, Schriftstellern, Intellektuellen und Künstlern beeinflussten. Zusammen mit Eisensteins Frühwerk STREIK (1924), einem Film übersprudelnder Fantasie und reich an Ideen, zeigen wir als Ausgrabung auch den wieder aufgefundenen Kurzfilm GLUMOWS TAGEBUCH (1923), der Bestandteil der Eisensteinschen Bühneninszenierung von Ostrowskis "Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste" am Proletkult-Theater in Moskau war.
Ulrich Gregor beleuchtet in einem Vortrag mit Filmbeispielen "DER PANZERKREUZER POTEMKIN in der Filmgeschichte" die vielfältige und weitverzweigte Karriere des POTEMKIN.