The interview was conducted in German.
Barbara Wurm: Ich freue mich riesig, Romuald, dass du mit deinem Film DER UNSICHTBARE ZOO zurück im Forum bist. Und ich begrüße natürlich Olaf Möller, den Verfasser einer Monografie über dein Werk und großen Kenner deiner Arbeit. Auf der einen Seite ist DER UNSICHTBARE ZOO zwar ein langer Film, gleichzeitig aber ist ‚Länge‘ etwas, was bei diesem Film gar nicht in den Sinn kommt. Viel mehr Dauer, aber noch viel mehr Verdichtung, denn er hat eigentlich nicht sehr viele Einstellungen. Die Einstiegsfrage also betrifft Zeit und Dauer und Verdichtung dieses Projekts, und wie du über das Verhältnis von Filmlänge, Einstellungszahl und Produktionsjahren nachgedacht hast.
Romuald Karmakar: Der Film hat drei Stunden Länge und arbeitet mit 350 Einstellungen. Das habe ich auch erst jetzt im Color Grading erfahren. Ich hatte sie nicht gezählt. DAS HIMMLER-PROJEKT, der vor 20 Jahren im Forum lief (2000), hat 80 Einstellungen und ist auch drei Stunden lang. Und wenn man einen 90-minütigen Spielfilm mit durchschnittlich ungefähr 1000 Einstellungen als Vergleich nimmt, dann kriegt man ein ganz gutes Verhältnis zum Schnitt und vielleicht auch zur Ästhetik. Die Produktionsgeschichte selber befindet sich jetzt (2024) im neunten Jahr. Die ersten drei Produktionsjahre und die ersten zehn der 50 kalkulierten Drehtage haben wir im Zoo in Westberlin verbracht. Dafür war auch die Finanzierung mit deutschen Partnern aufgebaut. Im Sommer 2018 haben wir dann wegen fortgesetzter und nachhaltiger Behinderung der Dreharbeiten die Arbeiten dort eingestellt.
BW: Und dann?
RK: Unter den Top fünf Zoos in Europa – basierend auf dem Sheridan Ranking – haben wir dann versucht, eine Alternative zu finden. Zuerst in Leipzig, danach haben wir über einen österreichischen Produktionspartner versucht, nach Wien zu kommen, der damaligen Nummer 1 in Europa. Dann haben wir versucht, in Basel Fuß zu fassen. Über einen Kontakt vom Kunsthaus Zürich bin ich dann glücklicherweise beim Zoo Zürich gelandet. So konnten wir im Herbst 2018 den gesamten Film von vorne beginnen. Mit dem gleichen Budget haben wir dann wie ursprünglich geplant über die vier Jahreszeiten hinweg bis Herbst 2019 gedreht. 2020 kam dann die erste Corona-Welle. Da hat natürlich auch der Zoo Zürich schließen müssen, bis zur Wiedereröffnung im Sommer 2020. Irgendwann war klar, dass die ursprünglich kalkulierte Länge von 90 Minuten diesem Projekt nicht mehr entspricht, weil deutlich wurde, dass ich im Zoo Zürich eine Möglichkeit bekommen habe, dieses Projekt in größerer Form umzusetzen. Und jetzt komme ich zurück zum Forum und freue mich natürlich sehr, dass ich den dritten dreistündigen Film bei euch präsentieren kann. Der erste war 1993 WARHEADS. Und insgesamt freue ich mich natürlich auch, weil es jetzt meine zwölfte Teilnahme bei der Berlinale ist.
Olaf Möller: Mir drängen sich bei dem Projekt noch weitere Fragen zur Planung auf. Du hattest offenbar eine genaue Idee, was du filmen wirst, bei einem Zoo vermutlich naheliegend, weil Zoos sind ja – denke ich – sehr viel Struktur. Man muss die Tiere versorgen. Die müssen zu einer bestimmten Zeit bestimmte Dinge tun. Andererseits gibt es viel, was dann plötzlich passiert. Ein Tier wird krank und ähnliches. Was hat das für die Dreharbeiten bedeutet? Du wohnst ja nicht in Zürich. Wie bist du damit umgegangen, dass es einerseits ganz klare Dinge gab, die fast wie bei einem Spielfilm abgearbeitet werden konnten, und dass es dann andererseits Situationen gab, die eine schnelle Reaktion brauchten.
Es gab von Anfang an den Wunsch, den Film aus drei Perspektiven darzustellen: Besucher*innen, Ställe und die Verwaltungs- oder Administrationsebene.
RK: Ja, das ist eine sehr interessante Frage. Das ursprüngliche Konzept war immer, über die vier Jahreszeiten hinweg diesen einen dramaturgischen Ort zu erzählen. Dann gab es von Anfang an den Wunsch, den Film aus drei Perspektiven darzustellen: Besucher*innen, Ställe und die Verwaltungs- oder Administrationsebene. Diese drei Perspektiven wollte der Zoo Zürich mir erlauben. Die einzige Ausnahme für den Stallbereich waren die Menschenaffen und die Elefanten. Alles andere war möglich. Das ist dieser besondere Wert und ein echter Schatz, dass sie das mitgemacht haben. Wir haben mit der Kommunikationsabteilung des Zoos immer im Vorfeld des Drehs besprochen, was als nächstes passiert. Das konnte eine Sitzung der Geschäftsleitung oder der Tierkurator*innen sein, der Transport eines Tieres oder eines in Quarantäne.
BW: Aber es ging ja auch um das „Wie drehen“, nehme ich an.
RK: Genau, um die Berücksichtigung von Wünschen, die ich hatte. Wie kann man das am besten machen? Wie passt jetzt das Tier an dem Tag da am besten rein? Das lässt sich im Stallbereich vielleicht am besten erklären. Da gibt es einen sehr strengen Tagesablauf. Wenn wir da drehen, dann unterbricht das den Tagesablauf der Tierpfleger. Und das heißt, sie arrangieren extra, uns in dieser kurzen Zeit zu betreuen. Das Schwierige war dann, dass ich die betreuende Person erst zehn Minuten vor Drehbeginn zum ersten Mal gesehen habe – ganz anders als sonst, wo man vielleicht den Protagonisten vor den Dreharbeiten schon ein paar Mal getroffen hat, um zu gucken, wie er erzählt, was er erzählt. Das war eine große Herausforderung, für mich sowieso, aber auch für die Leute dort, die Tierpfleger und Tierpflegerinnen, und die Leute in der Geschäftsleitung. Da musste man dann jeweils in der Situation gucken, wie man das löst. Bevor wir nach Zürich geflogen sind, haben wir so eine Art Drehplan gehabt. Also wirklich einen stündlich getakteten Drehplan. Ich bin dann meistens an den Wochenenden noch alleine in Zürich geblieben, um im Besucherbereich, wo ich mich frei bewegen konnte, andere Dinge und auch die Tiere aus der Besucherperspektive zu filmen. So hat sich das Material angesammelt und am Ende waren es dann 6500 Einstellungen, die wir gedreht haben.
OM: Was hat es eigentlich mit dir und dem Tier auf sich? Es ist ja nicht das erste Mal, dass du Tiere filmst. Schon auf deiner YouTube-Webseite hast du einige Filme über Tiere gehabt. Was fasziniert dich so daran?
RK: Kinematographisch gesehen gibt es ja eine sehr starke Verbindung zwischen dem Kino und den Tieren, wenn man jetzt an BIRDS von Hitchcock denkt oder AU HASARD BALTHAZAR von Bresson. Das heißt, guckt man Kino, sieht man auch Tiere. Ein Auslöser war sicherlich ein Besuch bei der documenta auf Einladung der Süddeutschen Zeitung in den 2000er Jahren. Damals hat mir der ebenfalls eingeladene DJ WestBam erzählt, dass er eine Jahreskarte für den Westberliner Zoo hat. Und das hat mich überrascht, denn ich wohne in der Nähe des Westberliner Zoos, war aber noch nie dort. Auch davor in München war ich nie im Zoo. So bin ich dann auf die Idee gekommen, den Westberliner Zoo zu besuchen. Und mit diesen kleinen Kameras – damals gab es diese Flip-HD-Handkameras auf dem Markt – habe ich dann angefangen, im Westberliner Zoo zu drehen. Ein Film aus dieser Serie, über das Panzernashorn, ist auch 2013 bei der Kunstbiennale in Venedig im Deutschen Pavillon einer meiner Beiträge gewesen. Und mein Kurzfilm ESEL MIT SCHNEE, der zuvor eigentlich nur auf meinem YouTube-Kanal war, wurde zuvor 2011 nach Oberhausen eingeladen (von Cord Riechelmann, im Rahmen des von ihm kuratierten Themenprogramms „Das Kino der Tiere“). Da kam dann erstmals die Idee auf, daraus einen abendfüllenden Film zu machen.
BW: Ich wollte noch eine etwas konkretere Rückfrage stellen, zu den – vermutlich nicht rein pragmatischen, sondern auch ideologischen – Schwierigkeiten und Widerständen in den Institutionen?
Für sie war es schon ein Problem, dass wir einen Film ohne Kommentar drehen. Dass ich in meinem Film Bilder präsentiere, die alle Zuschauer*innen in ihrer Weise interpretieren können. Es ging auch um die Deutung eines halböffentlichen Raums.
RK: Da muss man wirklich unterscheiden zwischen dem Zoo Berlin und dem Zoo Zürich. Die Probleme im Zoo Zürich waren meist einfach datenschutzrechtliche Probleme. Und ein anderes, eigentlich ziemlich interessantes Problem war so eine Art Überidentifikation der Tierpfleger*innen mit ihrem Tier. Das heißt, es gab dann Momente, wo dann die Tierpfleger*innen das Gefühl hatten, ich würde in ihrem eigenen Wohnzimmer filmen – obwohl es ja eigentlich ihr Büro ist, ihr Arbeitsplatz. Ich habe mal mit dem Zoodirektor darüber gesprochen, er sagte: „Das Problem kenne ich, seitdem ich den Zoo leite.“ Die Probleme im Westberliner Zoo waren völlig anders gelagert. Da ging es um – wenn man das so big-picture-mäßig sagen will – die Vereindeutigung der Welt. Für sie war es schon ein Problem, obwohl alles schriftlich vorgegeben war, dass wir einen Film ohne Kommentar drehen. Das bedeutet, dass ich in meinem Film, der keinen Kommentar hat und keine Musik, Bilder präsentiere, die alle Zuschauer*innen in ihrer Weise interpretieren können. Und gerade mit dem Westberliner Zoo ist man über mehrere 100 Dokusoaps der ARD, sagen wir mal, visuell vertraut. Diese haben natürlich immer versucht, über den Kommentar der Sprecher*innen oder die Aussagen der Mitarbeiter*innen des Zoos, eigentlich eine Kontrolle über das Bild zu behalten. Und das war eines der Probleme. Das versuchten die dann mit 21-Punkten-Leitfäden zu lösen. Es ging so weit, dass selbst die Tatsache, dass ich im Winter oder im Herbst drehen wollte, für sie ein Problem war, weil der Zoo im Berliner Herbst halt „betongrau“ aussieht. Oder der Einwand, dass man im Winter, wenn es keine Blätter an den Bäumen gibt, die dicken Rohre im Rhinozerosstall deutlicher sieht als im Sommer. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es trotz aller offiziellen Genehmigungen in diesem mittelständischen Betrieb eigentlich gar nicht mehr möglich war, zu drehen. Es ging auch um die Deutung eines halböffentlichen Raums. Und zu dem Zeitpunkt hatten wir noch gar nicht im Backstagebereich oder in der Verwaltung gedreht.
BW: Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, ist der Film, der jetzt da ist, auch eine Antwort…
RK: Ja! Ja.
BW: … auf andere Formate, die eben mit Zuschreibungen oder Einengungen von dem, was man sieht, aber auch weiß, arbeiten. Und dein Film öffnet das jetzt und weist dem Nachdenken ganz viele Richtungen. Dafür sind die Einstellungen auch immer wunderschön lang, sodass man in alle Richtungen anfängt zu überlegen, was sich gerade hier abspielt an Verhältnissen von Hegung und Grenzen, oder von Industrialisierung und vom Unsichtbarmachen von Industrialisierung. Schlussendlich bist du in diesem Zoo gelandet, der sich zum Ziel setzt, ‚unsichtbare Architektur‘ zu sein und als sehr fortgeschritten gilt, was die künstliche Herstellung von Natürlichkeit betrifft.
Je unsichtbarer die Inszenierung sein soll, desto größer der Aufwand.
RK: Ich glaube, der Wunsch, als Zoo nicht sichtbar zu sein, den haben alle führenden Zoos. Also mindestens die, die einen wissenschaftlichen Anspruch haben und Mitglied in bestimmten Verbänden sind. Und das stellt natürlich erstmal architektonische Anforderungen, weil die meisten Zoos in den westeuropäischen Großstädten Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden und damals so eine Art Pavillon-Struktur hatten. Da gab es dann den afrikanischen Pavillon und so fort, Tempel, Bauten.
BW: Wie die Biennalen, die Kunstbiennalen…
RK: Ja, das ging ja dann alles so ein bisschen über in die Pariser Weltausstellung am Ende des 19. Jahrhunderts. Der Zoo Zürich ist 1929 gegründet worden, also ein bisschen später. Und die haben überhaupt keine Pavillons dieser Art, die haben zwar so Katzenhäuser, aber das lösen sie fast alles auf. Das ist ihr Wunsch und ich würde sagen, die höchste Form dieser Inszenierung ist dann eigentlich die immersive Inszenierung, wo man z.B. durch eine Temperatur von über 25 Grad in einer Ökosystemhalle das Gefühl hat, nicht auf dem Zürichberg zu sein, nicht in einer industrialisierten Metropole, sondern in Madagaskar irgendwo im Regenwald. Und diese immersive Inszenierung ist natürlich nur mit großem technischen Aufwand zu erzielen. Also man kann sagen, je unsichtbarer die Inszenierung sein soll, desto größer der Aufwand. Früher hattest du Tiere im Stallbereich im gekachelten Ambiente, das man mit dem Schlauch sauber halten kann. Das sind die Gegenmodelle, und das ist halt wirklich sehr schwierig und nicht immer konfliktfrei. Es ist natürlich eine große Aufgabe für die Landschaftsarchitektur, die dann versucht, die natürliche Umgebung des Ortes so zu gestalten, dass ein Brillenbär aus den Anden in die bergige Landschaft von Zürich passt. Das ist wahnsinnig faszinierend, das zu sehen, weil es irgendwie parallel läuft zu Inszenierungstechniken des Kinos, wenn man an Kulissen denkt.
OM: Gibt es denn dieser Logik folgend auch Tiere, die nicht im Zoo sind, weil keine entsprechende Umgebung für sie geschaffen werden kann?
RK: Ja, es gibt auf jeden Fall Entscheidungen, Tiere aufgrund der Disposition, in der der Zoo sich befindet, nicht aufzunehmen und andere dafür eher. Manchmal kommt noch der Faktor hinzu, ob das Tier Winterschlaf hält oder nicht, und deswegen auch das ganze Jahr über sichtbar wäre. Aber wahrscheinlich würden Zoos auch versuchen, dem Tier den Winterschlaf zu nehmen.
Ich habe mich leiten lassen von dem, was ich dort entdeckt habe. Ich hatte keine Vorgabe. Letztendlich geht man ja in den Zoo und entdeckt auch dort erst völlig neue Tiere.
BW: Nach welchen Kriterien hast du denn deine Tiere ausgesucht?
RK: Ich habe mich leiten lassen von dem, was ich dort entdeckt habe. Ich hatte keine Vorgabe. Ich habe mich gefragt, welche Tiere wir auf den ältesten Kunstbildern in unserer Kultur sehen? Welche Tiere hat Aristoteles beschrieben? Dazu gehört dann natürlich ein Elefant oder ein Löwe, aber letztendlich geht man ja in den Zoo und entdeckt auch dort erst völlig neue Tiere, von denen man nichts wusste. Dazu gehört für mich zum Beispiel die gesamte Tierwelt Südamerikas. Die ganzen Löwenäffchen zum Beispiel. Oder die Gelbbrustkapuziner. Faszinierende Affen. Aber auch Ameisenbär und Tapir. Und dann ist auch entscheidend, wie schwierig es ist, ein bestimmtes Tier zu filmen. Zum Beispiel bei den Gelbbrustkapuzinern – die sind fast meine Lieblingstiere geworden, aber ich konnte sie nicht gut filmen. Die Stallsituation und auch die Außenanlagen haben leider irgendwie nicht das ergeben, was mir gefallen hat.
OM: Gab es auch Tiere, wo es dich sozusagen ansprang, dass man das unbedingt machen muss? Ich frage, weil ich bei meinem letzten Zoobesuch extrem fasziniert vom Faultier war. Das Faultier ist ja wirklich quasi statisch. Aber wenn man mal genau hinguckt, konnte man irgendwann sehen, dass es wirklich atmet und wie es atmet. Und je länger man beobachtet hat, desto klarer wurden die Bewegungsabläufe des Faultiers.
RK: Das ist großartig, das zu sehen. Es lebt sozusagen auf dem Kopf und hat einen umgekehrten Magen. Und hat sensationelle Bewegungsabläufe, die eigentlich unserem Tagesrhythmus komplett widersprechen. Da fallen mir Stücke aus der elektronischen Musik ein, die zehnmal so lang sind wie ein normaler Popsong. Ähnlich ging es mir bei den Phasmiden. Das sind Insekten, die Meister der Tarnung sind. Eines davon heißt „Wandelndes Blatt“. Und das sieht wirklich aus wie ein Blatt. Und dann hast du so ein Terrarium von 1x2 Metern und denkst erstmal okay, wo ist das Tier? Ich sehe es nicht. Anderen ging es genauso. Und wenn du es dann mal erkennst, das dann in eine interessante Szene zu bringen, in eine interessante Einstellung... Da müsste man sich, glaube ich, fast noch mal einen ganzen Film Zeit nehmen, um das irgendwie hinzubekommen. Dasselbe gilt für die Gespenstheuschrecken, die aussehen wie Äste. Vielleicht treffen wir uns alle mal im Terrarium und gucken einfach mal … da kann man wirklich lange Zeit verbringen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, im Zoo Zürich, dass es wirklich keinen anderen Ort gibt, an dem sich die Begeisterung der Besucher*innen über das Nichtsehen, das Nichterkennen so verdichtet hat wie vor dem Terrarium mit den Phasmiden.
BW: Wie hältst du es denn mit den Leuten, die neben dir standen, wenn du Besucher warst und auch fotografiert haben? Hast du dich mit denen auch darüber unterhalten, was sie faszinierend finden?
RK: Ja, das war ein bisschen schwierig, weil ich natürlich beim Drehen oft angesprochen wurde. Also auch im Sinne von „Wo ist denn das Tier?“. Und das hat natürlich dann immer den O-Ton kaputt gemacht. Das ästhetische Konzept des Films ist, dass wir wirklich nur mit Originalton arbeiten. Der gesamte Film verwendet nur Originaltöne, wir haben kein Sounddesign. Und dann war das halt immer eine unangenehme Situation. Grundsätzlich war es so, dass die Leute gerade da in Zürich wahnsinnig zuvorkommend und rücksichtsvoll waren. Einfach wirklich super. Aber es gab eigentlich keine tiefergehenden Diskussionen mit Besucher*innen. Aber es gab eine Sache, an die ich mich gut erinnern kann. Es gibt ja so eine seltsame Generations-Asymmetrie. Wir verbinden Zoos mit etwas, das gut für kleine Kinder ist. Und die Zoos selber merken, dass diese Kinder ab einem bestimmten Alter nicht mehr im Zoo sind und dann vermutlich als Erwachsene mit eigenen Kindern wieder auftauchen. Und dann ist mir aufgefallen, dass diese Erwachsenen, wenn ich gefilmt habe, ihre Kinder vorschieben. Das heißt, sie bleiben in der zweiten Reihe, als würde das, was das Kind jetzt interessiert, nichts mehr sein, was einen Erwachsenen interessieren könnte. Das war schon sehr auffällig, wie wir das disponieren. Und wenn man es jetzt mal böse ausdrücken will, dann sind die Erwachsenen erst in dem Moment, in dem es um die Zerstörung der Lebensräume dieser Tiere geht, wieder im Spiel. BW: Du setzt Beobachtung bewusst neben Beobachtet-Werden. Du wählst 350 von 6500 Einstellungen aus, wobei deine Leitlinien die Besucher-, die Stall- und die Verwaltungsperspektive sind. Steht für dich bei jeder Einstellung fest, zu welcher der drei Perspektiven sie gehört? Kannst du noch mehr zu Schnitt und Dramaturgie sagen?
Die vier Jahreszeiten haben natürlich dann auch mir geholfen, meinen Weg durch die 6500 Einstellungen zu finden.
RK: Also die filmische Vorgabe für das Projekt, sich an den vier Jahreszeiten zu orientieren, ging im Lauf der Sichtung des Materials, die sehr lange gedauert hat, in die Struktur der fünf Akte über. Tatsächlich habe ich es dann so gebaut, dass die vier Jahreszeiten den ersten vier Akten des Films entsprechen. Und der letzte Akt, der fünfte Akt, ist die Nachbetrachtung der vier Akte geworden. Das hat sich so ganz gut gefügt. Die vier Jahreszeiten haben natürlich dann auch mir geholfen, meinen Weg durch die 6500 Einstellungen zu finden. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Stelle, in der in der Geschäftsleitungsrunde über die Ankunft von Koalas aus Australien berichtet wird. Das ist im Frühling, und im Sommer-Akt sehen wir dann, wie sie versuchen, ein männliches und ein weibliches Koala zusammenzuführen für die Zucht. Das zweite ist, dass ich schon während der Dreharbeiten einen Überblick über das Gedrehte haben wollte. Ich habe dann eine Software gefunden von Deutschen, die in Amerika leben, und habe mir mit dieser Software eine Datenbank aufgebaut, in der ich immer einen Überblick hatte, ob wir diesen einen Zooweg schon mal gefilmt haben, und in welcher Jahreszeit. Aus diesen Daten habe ich dann 6500 Einzeldaten erstellt zu jeder Einstellung und die mit 23.000 Screenshots aufgefüllt und mit entsprechenden Tags versehen. Ich habe neulich einen Film von Peter Przygodda wieder gesehen, der meine ersten beiden Spielfilme geschnitten hat. Und da war es immer so, dass die Kontrolle über das Material, also über die Muster, das Entscheidende war. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich dann irgendwann gesagt, man muss das Material in einer Hand halten können. Aber der Weg dahin ist schrecklich. Also das kann man nicht anders sagen, der ist wirklich schrecklich, der ist auch nicht finanzierbar heutzutage. Das muss man, glaube ich, auch noch mal betonen. Dass jemand beauftragt wird, monatelang Muster zu gucken, das kann sich produktionstechnisch fast niemand leisten. Es können sich nur die Leute leisten, die bereit sind, das selbst zu tun. Dass der Film beim Festival gezeigt wird, ist jedenfalls ein großes Geschenk und ich glaube, dass es besonders interessant ist, dass er hier in Berlin läuft, in der unmittelbaren Nähe des Westberliner Zoos. Weil dieser wirklich noch für eine andere Kultur steht.
BW: Jetzt merke ich gerade, wir haben einen Fehler gemacht. Wir hätten den Film natürlich im Zoo Palast zeigen sollen.
RK: [lacht] Na ja, vielleicht ist das Delphi nahe genug.