Florian Wüsts fortlaufendes künstlerisches Rechercheprojekt DIENST AN DER NOTWENDIGKEIT untersucht sich verändernde Formen des politischen Protests. Die weitgehend unbekannte Geschichte Hartmut Gründlers, eines westdeutschen Lehrers und Anti-Atomkraft-Aktivisten, der sich im November 1977 in Hamburg auf offener Straße selbst verbrannte, dient hierbei als Hauptbezugspunkt. Neben seinem schnellen Weg zur Selbstverbrennung, einem radikalen, wenn auch kontroversen und tragischen Akt des Widerstands gegen die “fortgesetzte regierungsamtliche Falschinformation” in der Energiepolitik, besonders im Hinblick auf die atomare Endlagerung, zeichnete sich Gründler als ein außergewöhnlich aktiver Kommunikator aus. Er verfasste unzählige Flugblätter, Artikel und Briefe an Politiker. Vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels und der Krisen des Kapitalismus erscheint Gründlers Kritik der Rolle der Sprache zur Beschwichtigung allgemeiner Ängste vor Hochrisikotechnologien heute mehr als aktuell.
DIENST AN DER NOTWENDIGKEIT umfasst Collagen und Linienzeichnungen in verschiedenen Formaten. Die unterschiedlichen Teile der Installation basieren auf historischen und zeitgenössischen Dokumenten, Texten und Bildern, von denen viele aus dem Internet stammen. Das Aufeinandertreffen von Fakt und Fiktion entwirft eine künstlerische Erzählung über das Verhältnis zwischen individuellen Kämpfen, politischen Strukturen und der Macht der Konzerne, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit sozialer Veränderungen.
Die Arbeit widmet sich desweiteren den ambivalenten Prozessen kultureller Transformation, dargestellt am Fall des in einen privat betriebenen Vergnügungspark umgewidmeten Schnellen Brüters in Kalkar (in der Wandzeichnung Nuclear Phase-Out) oder an der Wandlung des Kraftwerk-Songs RADIOACTIVITY von politischer Gleichgültigkeit zur schneidenden Anti-Atom-Botschaft (in der Videoanimation WHEN IT'S ABOUT OUR FUTURE – Kraftwerk’s RADIOACTIVITY (1975/1991) on youtube, re-remixed).
Florian Wüst, geboren 1970 in München, lebt in Berlin. Als Künstler und Filmkurator arbeitet er zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des technischen Fortschritts in der Moderne. Jüngste Ausstellungen: MARQUEURS DE SUBDUCTION, Galerie B-312, Montréal (2011); ALL THAT REMAINS... THE TEENAGERS OF SOCIALISM, Waterside Project Space, London (2010); SHARED.DIVIDED.UNITED, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin (2009); COME IN, FRIENDS, THE HOUSE IS YOURS!, Badischer Kunstverein, Karlsruhe (2009).
Installation mit Wandzeichnung, 1-Kanal Video
Laserdruck, Zeichnungen auf Papier