In Beirut traf Abdelwahed auf einen Fotografen aus einer Kleinstadt, die Schauplatz heftiger Gefechte war. Zu dem Zeitpunkt beschloss er, einen Film über diese Bilder und ihre Urheber zu drehen und die Verbindung zwischen „Wahrheit“ und „Bild“ zu ergründen, um so den Bann der Bilder zu brechen. Das Ergebnis ist sein Dokumentarfilm JELLYFISH. „Mein Setting musste klar und einfach sein“, erklärt er. „Ich saß mit einer Kamera und meinem ‚Protagonisten’ in einem abgedunkelten Raum, auf dessen Wand seine/ihre Aufnahmen projiziert wurden, und stellte Fragen. Ich wählte vier Menschen aus, die alle in dieser Kleinstadt aktiv waren. Sie enthüllten und reflektierten erstaunlich offen ihre Absichten und Motivationen und stellten mir breitwillig ihre Bilder zur Verfügung.“
Die vier Porträtierten verkörpern die verschiedenen „devolutionären“ Phasen der politischen Krise, vom gewaltlosen Aufstand bis hin zum offenen Krieg, eine Struktur, die in den veränderten Inhalten und Bedeutungen der Bilder enthalten ist. Er filmte in Beirut, Istanbul und Paris, wohin die Protagonisten geflohen waren und verwendete systematisch das gleiche Setting. „Der einzige Unterschied zwischen den Städten war der Blick aus dem Fenster.“ Während er filmte und sich die einzelnen Geschichten anhörte, wurde zwar der Bann gebrochen, aber seine „Position“ geriet zusehends ins Wanken, wie er selbst ausdrückt: „Ich war gefangen zwischen den Bildern auf der Wand und dem Blick nach draußen. Die Bilder hatten ihre beschwörende emotionale Macht über mich verloren.“
Wäre Syrien besser dran ohne die Tausenden von Aufnahmen, die in den Medien und sozialen Netzwerken kursieren? „Auf keinen Fall. Die Bilder entstehen aus einer Notwendigkeit heraus, mögen ihre Motivation und Verwendung auch stark voneinander abweichen, vielfältig und Teil des Konflikts sein. Mit dem Film wollte ich sichtbar machen, was sich neben und hinter dem Bildausschnitt abspielt. Einer der Protagonisten zum Beispiel, der in Gefängnissen des Regimes gesessen hatte, fuhr nach seiner Freilassung für Foto- und Filmaufnahmen in eine von Rebellen kontrollierte Kleinstadt. Schon nach kurzer Zeit machte er Fotos von einem Gefängnis und seinen Insassen. Sie stellten eine „vertraute“ Erfahrung dar, die er aus der Opferperspektive kannte, nur jetzt erlebte er sie aus der Sicht der Peiniger/Kämpfer.“
Warum Jellyfish? Abdelwahed seufzt schwer. „Ich habe in der Zeitung von einer Mutter gelesen, die mit ihren drei Töchtern übers Meer nach Italien fliehen wollte, um dort Asyl zu beantragen. Das Boot kenterte, die drei Töchter ertranken, nur die Mutter überlebte. In der Reportage stand, dass es keine Bilder von dem Unglück gab. Damals hatte ich das Gefühl in Bildern zu ertrinken und konnte nichts mehr sehen. Die Geschichte ließ mich nicht los. Ich fragte mich, was wohl das Schönste gewesen sein könnte, das die Mädchen beim Ertrinken im Mittelmeer sahen. Vielleicht eine Qualle, warum nicht. Sie sind wirklich sehr schön. Die ertrinkenden Mädchen haben mir mein Sehvermögen zurückgegeben, dieser Film ist auch mein Dank an sie.“