Producer’s Statement
Im Jahr 1263 geschah angeblich ein Wunder in der Kirche Santa Cristina in Bolsena in der Provinz Viterbo in Italien. Eine Hostie blutete auf das Korporale, das Altartuch, auf dem die Hostienschale und der Kelch stehen. Die Erscheinung von Blut auf dem Korporale, die sogar an das Profil von Jesus Christus erinnerte, wurde als Wunder angesehen und bekräftigte die römisch-katholische Wandlungslehre. Für die Unterbringung des heiligen Tuchs sollte auf Befehl Papst Urbans IV. eine Basilika im nahegelegenen Orvieto errichtet werden. Das Städtchen liegt auf einer vulkanischen Erhebung und bot somit sowohl Prominenz als auch einen natürlichen Schutz. Unter der Leitung des Baumeisters Fra Bevignate da Perugia wurden Blöcke aus weißem Travertin und schwarzem Basalt zu der Erhebung gebracht und abwechselnd Schicht für Schicht gestapelt. 300 Jahre ununterbrochener Anstrengung vergingen, in denen das gotische Muster aus Siena, das von Fra Bevignates Nachfolgern Giovanni di Uguccione und Lorenzo Maitani Anfang des 14. Jahrhunderts entworfen worden war, akribisch von den nachfolgenden Generationen weiter ausgeführt wurde. Aus Florenz und Siena kamen hervorragende Baumeister, Steinmetze, Holzschnitzer und Maler, die der Basilika Santa Maria Assunta eine Fülle wunderbarer Kunst schenkten, wie die Holzarbeiten von Giovanni Ammannati, den Freskenzyklus Luca Signorellis über die Geschichte des Antichristen, die mysteriös leuchtenden Alabasterfenster oder die spektakuläre Westfassade mit ihren unzähligen Skulpturen, Flachreliefs und glasierten Mosaiken, die wie ein kristallklarer Ozean von unglaublicher Tiefe glitzern.
Im Jahr 1913 schwebte dem Ingenieur und Baumeister P. V. Jensen-Klint eine große Kathedrale vor, gänzlich aus einem Material: gelbem Backstein. Millionen von Backsteinen. Die Kirche ist offiziell eine Hommage an den Dichter und Geistlichen N. F. S. Grundtvig, tatsächlich aber eine späte Ehrung des Geistes der gotischen Architektur. P. V. Jensen-Klint beschreibt die Grundtvigskirche als vergrößerte Version einer typischen dänischen Dorfkirche und als eine Ansammlung alter Kirchtürme, die wie ein riesiger „Kristallknoten“ zusammengefügt wurde. Jensen-Klint war fasziniert von den imposanten Kathedralen Zentraleuropas und träumte davon, eines Tages solch ein Bauwerk in Dänemark errichten zu können. Aber hier oben, so überlegte er, haben wir keine Steine, keinen Marmor, nur Kalk und Ton. Folglich wurden ab 1921 Tausende kleine gelbe Backsteine in den Stadtteil Bispebjerg am Rande von Kopenhagen geliefert. Über sechs Jahre hinweg arbeiteten nur sechs ausgebildete Maurer am dreiteiligen Westturm. Über 700 Backsteine wuchsen – sorgfältig zu den Nischen, Konsolen und Winkeln, die Jensen-Klint entworfen hatte, aufeinandergeschichtet – wie ein Fels aus gebranntem Ton in die Höhe. Von außen wild und grimmig, fast bedrohlich, von innen glatt wie eine sorgfältig ausgeschabte Höhle. Oder wie eine sanft rauschende Muschel, die geheime Botschaften aus längst vergangenen Zeiten sendet, Stimmen, die immer noch unter den zahllosen aneinandergereihten Gewölben widerhallen.
Die beiden Basiliken sind sich in der Typologie ähnlich, unterscheiden sich aber stark in der Atmosphäre. Sie gehen geschichtlich gesehen auf die gleiche architektonische Urform zurück, aber die Assoziationen und Vorstellungen, die sie jeweils anstoßen, gehen in unterschiedliche Richtungen: Süden und Norden, Katholizismus und Protestantismus, farbenprächtig und enthaltsam, warm und kühl. Wir wissen um diese Unterschiede, aber in diesen überwältigenden Räumen werden unsere Gedanken in endlose unvorhergesehene Richtungen geführt, hervorgerufen durch ein kleines Detail, das aufwendige Material oder die räumliche Vielschichtigkeit, die uns in Staunen versetzt.
(Thomas Bo Jensen)