Michael Robinson im Gespräch mit Z. W. Lewis
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Z. W. Lewis: Einige deiner Filme stießen auch außerhalb der üblichen Kreise für experimentellen Film auf Interesse. Wie war das für dich, „viral zu gehen“?
Michael Robinson: Oh, ich bin viral gegangen? Keine Ahnung. Ich kann nicht erkennen, dass die häufiger abgerufenen Arbeiten, die ich online gestellt habe, es zu tatsächlichem Internet-Ruhm oder so etwas gebracht hätten. Gut, ein Clip von THE DARK, KRYSTLE, den ich auf Instagram gepostet hatte, entwickelte sich zu einem kleinen Meme. Das wurde dann vielleicht ein paar Millionen Mal angeklickt, aber da gab es keine Verbindung mehr mit mir, dem Film oder irgendetwas sonst. Das war tatsächlich eher so ein „Alexis trinkt, TGIF!“-Ding. Das fühlte sich komisch an. Der Gedanke, warum zum Teufel ich nichts davon habe, kam mir dabei schon. Aber es liegt am Ende in der Natur derartiger Werke, dass sie nicht wirklich etwas einbringen. Ich möchte meine Zeit auch nicht damit verschwenden, darüber nachzudenken, wie man aus so etwas ein Maximum herausbekommt. Klar fände ich es fantastisch, wenn meine Videos viral gingen. Aber gleichzeitig würde mir das wahrscheinlich auch große Kopfschmerzen bereiten. [...]
Lewis: Du bist Absolvent des MFA-Programms der Universität von Illinois. War die Zeit dort für dich prägend?
Robinson: Ja, sehr sogar. Das war fantastisch dort – ein richtig intensives Zweijahresprogramm. Ich wollte irgendwohin gehen, wo es möglich war, zwar vor allem mit Video zu arbeiten, sich damit aber innerhalb einer weiter gefassten Kunst-Community zu bewegen. Ich fand es super dort. Deborah Stratman war meine Betreuerin. Von ihr habe ich unglaublich viel gelernt. Sie hat mir zum Beispiel eine Menge über Klang beigebracht. Ich fühlte mich stets zu den immer gleichen unterschwelligen Motiven hingezogen, und was das angeht, hat sie mir definitiv geholfen, meine Arbeit zu öffnen.
Lewis: Diese frühen Videos leben von einem ganz bestimmten Look – besonders ALL THROUGH THE NIGHT (2008) und WE ALL SHINE ON (2006): eine Art Textur, die so aussieht, als hielte jemand die Kamera zu nahe an einen Röhrenfernseher, sodass diese „Scanzeilen“ sichtbar werden. Verbindest du mit dieser Textur etwas Spezielles?
Robinson: Wenn es sich so anfühlt, als säße jemand derart nahe vor dem Fernseher, dann denkt man doch normalerweise, dass hier eine gewisse Form der Obsession vorliegt: dass jemand etwas vom Fernseher abgefilmt hat oder dass hier im Bild etwas gesucht wird, das dem Film eine gewisse Dringlichkeit oder meinetwegen auch Pervertiertheit verleiht. Ich habe einen Großteil meiner jungen Jahre damit verbracht, auf ein TV-Gerät zu starren und Videospiele zu spielen; oder damit, mir ein ums andere Mal die immer gleichen Filme auf langsam verschleißenden VHS-Kassetten reinzuziehen. So gesehen gibt es für mich vielleicht so etwas wie eine emotionale Komponente bei der Ästhetik alter Fernsehgeräte.
Lewis: Deine Filme sind sehr musikalisch. Sie scheinen selbst dem Rhythmus eines Songs zu gehorchen und setzen meist auf eine Art Crescendo. Hast du diese Rhythmen schon im Kopf, wenn du ein Projekt beginnst? Oder ergibt sich das eher beiläufig aus dem Material?
Robinson: Meiner Meinung nach ergibt sich das beim Schnitt. Eigentlich beginne ich weniger mit einem Rhythmus, sondern vielmehr damit, ein Gefühl einzukreisen. Beispielsweise in THESE HAMMERS DON’T HURT US. Dort gibt es jede Menge kleine Teile, die aus der Dunkelheit auftauchen – und ein eher undefinierteres, offenes Stöhnen auf der Tonspur. Das hat sich erst im Verlauf so ergeben. Es gab viele Bruchstücke und Versionen, und ich habe die Dinge nach und nach zusammengefügt, um zu sehen, wie sich eine Art Vorwärtsbewegung herstellen ließe. Ähnlich ist es bei meinem neuen Film ONWARD LOSSLESS FOLLOWS. Auch dort gibt es viele unterschiedliche Segmente, auch wenn sie eher länger sind und deswegen mehr für sich selbst stehen dürfen.
Lewis: Kannst du noch etwas zum Thema Narration und zu den irren Geschichten deiner jüngsten Arbeiten sage? Ich denke an MAD LADDERS (2015), LINE DESCRIBING YOUR MOM (2011), IF THERE BE THORNS (2009) und eben ONWARD LOSSLESS FOLLOWS.
Robinson: Ich tendiere dazu, meine Werke vom Start weg narrativ aufzubauen. Meiner Meinung nach gelingt das emotionale Gerüst eines Films nur dann, wenn es ein Gefühl für eine Narration gibt, dafür, dass etwas auf dem Spiel steht. Ich ziehe eine Menge Inspiration und Befriedigung aus Narrativen. Und das schlägt sich natürlich ziemlich direkt auf meine Arbeit nieder. Mir gefällt die Idee, mit etwas zu arbeiten, das an ein Narrativ erinnert, jedoch ohne konkrete Charaktere oder einen Plot auskommt, es aber eben erlaubt, Gefühle zu modellieren und die emotionale Schubwirkung des Geschichtenerzählens zu nutzen. So etwas entsteht im Schnitt aus der Anziehungskraft konkreter Momente oder konkreter Elemente in Stimme oder Text. Ein derart „geisterhaftes“ Narrativ stellt sich in meinen Filmen auch durch die Art und Weise ein, wie Bild und Ton begriffen werden. Für THESE HAMMERS DON’T HURT US beispielsweise wusste ich, wie der Film sich anfühlen sollte, nämlich so, als ob Liz Taylor Michael Jackson in ein Leben nach dem Tod hinübergeleiten würde. Ich wusste aber nicht, wie das zu bewerkstelligen wäre. [...]
Lewis: ONWARD LOSSLESS FOLLOWS ist ein ziemlich seltsamer Titel. Kannst du ihn uns erklären, ohne zu viel vom Geheimnis zu lüften?
Robinson: Naja, dieser Titel stand am Anfang des Films, so wie es eben oft der Fall ist. Meist kommt ein Titel von irgendwoher zu mir. Und dann liegt er eine Weile herum, bis sich das Gefühl einstellt, dass ein konkreter Film dazu passen könnte. Ich denke, man kann diesen Titel auf zwei Arten verstehen. Zum einen kann man ihn als „,onward‘ lossless will follow“ lesen – also in dem Sinne, dass man einfach weitermachen kann, weil in der Zukunft eh alles besser sein wird. Zum anderen könnte man ihn aber auch als „onward lossless ,follows‘“ lesen. Dann ist das „follows“ mehr im Sinne sozialer Medien zu verstehen – als eine Art, sich der Gegenwart zu unterwerfen, um ihr zu entkommen. Das ist wahrscheinlich die treffendere Variante.
Lewis: Woher kommt dieses Tonfragment über Astrologie zu Beginn des Films? Wo hast du das gefunden?
Robinson: Der Prediger? Den habe ich online gefunden. Ich kann mich aber nicht an seinen Namen erinnern – es ist ein Prediger aus einer Kirche in L.A. in den 1970er- und 1980er-Jahren, ein Mann wie ein Radio. Seine Predigten sind allesamt online abrufbar. Diese eine habe ich vor einiger Zeit gehört, als ich mit dem Auto über Land fuhr. Soweit ich mich erinnere, war ich gerade irgendwo in Tennessee. Ich war einfach komplett überwältigt von dieser irren Mischung aus religiösem Furor, dem Geplapper über Venus und all dieses Zeug, das sich ziemlich antiwissenschaftlich und gleichzeitig gegen die Astrologie gerichtet anhörte. Ich hörte mich durch ein paar Stunden mit Aufnahmen seiner verschiedenen Predigten, aber in keiner davon fand ich etwas, das mich auf dieselbe Art und Weise ansprach. Also habe ich einfach die Aufnahme verwendet, die ich zuerst gehört hatte, dann aber den Großteil der religiösen Details rausgeschnitten.
Lewis: Ich erinnere mich an diesen „Stranger Danger“-Clip, den du wirklich sehr gut eingesetzt hast. Der Text der Unterhaltung, die direkt darauf folgt, lässt das Ganze ebenso verstörend wie fantastisch erscheinen.
Robinson: Ja klar, vom Thema her ist das jetzt nicht gerade lustig, aber die Kombination von billigen Produktionsmitteln mit Laienschauspielern macht es derart charmant und seltsam, dass auf eine Art einfach alles andere übertönt wird. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, als Kind ebenfalls derartige Filme gesehen zu haben. Meist hat mich daran vor allem fasziniert, wie unglaublich seltsam sich all das anfühlte.
Lewis: Du hast hier den Flicker-Effekt besonders intensiv und brutal eingesetzt, aber eben nicht in Form eines Crescendos, wie beispielsweise in LIGHT IS WAITING. Wie verhält es sich mit dem Flicker-Effekt hier? Warum kommt er in diesem Film zum Einsatz?
Robinson: Im Großen und Ganzen ist das für mich eine Möglichkeit, dem Film eine Portion Überwältigendes und Chaos mitzugeben. Es stimmt, normalerweise setze ich so einen Effekt eher als eine Art Crescendo ein, aber in ONWARD LOSSLESS FOLLOWS arrangiert er eher die verschiedenen Teile der Erzählstränge. Ich mag es, wie der Film mit dem Flicker beginnt – und wie dieser Flicker-Effekt zur Mitte des Films erneut für eine Weile zum Einsatz kommt, um dann gegen Ende noch einmal ein wenig aufzutauchen. Es handelt sich wahrscheinlich eher um eines dieser vielen Teile, die hier und da erst auf- und dann wieder abtauchen und dabei langsam zu ihrer Umgebung in Beziehung treten. Ich habe jetzt aber keine „Theorie der Bedeutung des Flicker-Effekts“ oder so etwas.
Lewis: Ich stelle mir ONWARD LOSSLESS FOLLOWS gerne als eine Art Western vor. Es gibt schließlich jede Menge Bilder von Trips in die Wüste, ein Pferd ganz am Ende, ein paar Jungs, die körperliche Arbeit verrichten – und eben Americas „Horse with No Name“.
Robinson: Eine schöne Idee! Ich lebe nun doch auch schon seit einigen Jahren in L.A. Und wahrscheinlich habe in diesen Jahren auch einige Zeit damit verbracht, in die Wüste zu fahren. Die Liebesgeschichte, die sich ereignet, dieses abgefahrene Westerngefühl, außerdem eben dieser Priester, der von der Dürre und vom Weltraum spricht – auch all das fühlt sich nach Western an.
Lewis: Ich bin ehrlich gesagt etwas überrascht gewesen, dass ONWARD LOSSLESS FOLLOWS der erste Film ist, für den du auf Stock-Videomaterial zurückgegriffen hast. Eigentlich dachte ich, dass das etwas ist, zu dem du sowieso eine Affinität hast. Im Film setzt du Stock-Video eher „cheesy“ ein: Leute starren ekstatisch auf ihre Laptops und klatschen – eine fast cartoonhafte Variante des Feierns.
Robinson: Mir war nicht klar, dass man online so unglaublich viel Stock-Video abrufen kann. Ich war einfach davon fasziniert, wie viel Material es zu diesem einen konkreten Motiv gab, eben zu diesen Frauen, die ganz aus dem Häuschen vor dem Computer etwas zu feiern scheinen. Das Ganze ist schon ziemlich stark gegendert. Natürlich lassen sich auch viele Geschäftsmänner finden, die so etwas tun – aber dann eben nicht mit diesem „Schmeiß die Hände in die Luft“-Gefühl. Bei den Männern ist es eher die geballte Faust: „Ja Mann, du hast es geschafft!“ Für mich hat sich das wie eine ziemlich seltsame, düstere und kommerzielle Zeremonie angefühlt. Normalerweise stehen solche Szenen für die Idee von beruflichem Erfolg, dafür, Geld verdient oder irgendeinen Deal abgeschlossen zu haben. Diese Koppelung von Person, Computer und finanziellem Erfolg empfand ich als sehr düster. Ich habe diese Szenen wie einen Chor eingesetzt oder eben als Publikum bei einer Predigt meines Predigers. [...]
Z. W. Lewis ist Autor und Dozent. Er lebt in Brooklyn, New York, und ist Chefredakteur der Film- und Politikzeitschrift „Year Zero“.
(Z. W. Lewis: „Michael Robinson with Z. W. Lewis,“ in: „The Brooklyn Rail“, 13.12.2017, URL: https://brooklynrail.org/2017/12/film/IN-CONVERSATION-Michael-Robinson-with-Z-W-Lewis)