Gespräch mit Luise Donschen: „Der Balztanz der Finken war schön anzusehen“
Adnan Softić: In der ersten Einstellung von CASANOVAGEN betritt eine als Flamingo verkleidete Person die eindeutig in Venedig verortete Szenerie, die dann von Fotografen und Touristen sukzessive verstellt wird, bis der Flamingo verschwindet. Alles wirkt choreografiert, selbst die Touristen wissen scheinbar, was zu tun ist. Warum beginnst du mit dieser Einstellung den Film?
Luise Donschen: Diese Einstellung trägt vieles in sich, was später im Film wieder auftaucht. Der von dir erwähnte Auftritt ist wichtig, wie auch das Ritualisierte im Ablauf: die Verkleidung, die genussvolle Bewegung, das Changieren zwischen den Geschlechtern. In all dem liegt eine große Schönheit und gleichzeitig etwas sehr Profanes.
Der Film bietet nebenher Einblicke in die vogelkundliche Forschung: Das Finkenmännchen jagt das Weibchen in einem Käfig hin und her. Eine Wissenschaftlerin beobachtet das auf ihrem Computer. Das Bild, aber vor allem auch die Geräusche, die die Vögel dabei machen, erinnern mich stark an ein einfach programmiertes Videospiel, in dem man durch eine Hüpfbewegung Punkte sammelt.
Ein Zeitungsartikel über die Finken war der Ausgangspunkt für den Film. Er handelte von den Finkenweibchen und dem sogenannten Casanova-Gen, das die Ursache ihres Fremdgehverhaltens sein soll und als genetischer Kollateralschaden der evolutionär sinnvollen Polygamie der Männchen beschrieben wurde. Ich fand diesen zutiefst konservativen Ansatz im modernen Gewand der Genetik interessant und fuhr zum Max-Planck-Institut für Ornithologie im oberbayerischen Seewiesen. Entgegen meinen Erwartungen mochte ich den Ort, diese Räume inmitten des Waldes, sofort. Ich mochte auch die Ernsthaftigkeit und Ruhe, mit der dort gearbeitet wurde. Der Balztanz der Finken war schön anzusehen, und ich lernte bald, die Weibchen anhand ihres Gesangs von den Männchen zu unterscheiden. Die Finken und die Wissenschaftler, die über sie forschen, haben mich also vom Nachdenken ins Schauen und ins Hören gebracht. Diese Bewegung habe ich im Schnitt wieder aufgenommen.
Du kommst im Film auch selbst vor, als Filmemacherin, die aber nicht unbeteiligt bleibt. Wie war deine Beziehung zu den Protagonisten?
Mir ist die Trennung zwischen dem Darsteller und dem Menschen dahinter wichtig. Der Darsteller schützt den Menschen, und ich habe immer darauf geachtet, auf welcher Seite der Grenze ich mich bewege. Dafür war es gut, dass die erste Einstellung, die wir überhaupt für den Film gedreht haben, die Szene mit John Malkovich war, in der ich selbst mitspiele. Die Erfahrung des Sich-Zeigens und der Konkretheit des Materials haben mich während der gesamten Dreharbeiten begleitet. Ich kann die Menschen nur bis zum Ende des Drehs beschützen; danach sind sie Figuren und in ihrer Zwangsläufigkeit unnachgiebig wie das Material.
Auf der anderen Seite beobachten wir Undine. Bei ihr wird Sadomasochismus als Sexualtrieb kultiviert und zum Dienstleistungsangebot. Warum verzichtest du dabei auf explizite und harte Szenen?
Ich habe viele Sessions bei Undine im Studio gesehen, und das meiste davon hat mich befremdet. Hingegen faszinierte mich von Anfang an ihre leise Stimme und ihre Fähigkeit, jeden so zu nehmen, wie er zu ihr kommt. Davon ausgehend haben wir dann gemeinsam die Session konzipiert, die im Film zu sehen ist.
In CASANOVAGEN spielt auch die Jesusfigur des Christentums als unfassbares, körperloses Objekt der Begierde eine Rolle. In der Episode fällt auf, dass du die Rolle der Beobachterin aufgibst, selbst zur Akteurin wirst und dabei deine Beziehung zu dem Priester thematisierst. Ihr betrachtet gemeinsam ein Gemälde mit Blumen, und du umarmst ihn plötzlich.
In der Kunsthalle habe ich versucht, mit wenigen Einstellungen zu erzählen, was unsere Beziehung ausmacht. Konstitutiv für sie ist, dass wir beide jeweils ganz wir selbst bleiben. Elija ist ein Mönch. Er glaubt. Ich glaube nicht. Bei dem Versuch, uns einander anzugleichen, würde unsere Beziehung in sich zusammenfallen. Deshalb sind bestimmte Themen nur über Umwege verhandelbar – beispielsweise über Kunst. Dennoch stehen wir uns nahe. Dafür habe ich die Bilder gefunden, die nun im Film sind.
Die Episoden sind auf eine leise Art miteinander verknüpft. Weder erzählen die Protagonisten von sich selbst, noch verwendest du im Film eine Off-Stimme. Du inszenierst die Szenen jeweils auf ganz eigene Art und Weise. Es war vermutlich eine große Herausforderung, dem Film einen Rhythmus und eine Ordnung zu geben.
Die Montage war kompliziert. Über fünf Jahre lang habe ich immer wieder geschrieben, gedreht, geschnitten. Der letzte Dreh fand im Frühsommer 2017 statt. Ich wollte unbedingt vermeiden, den Film am Ende über Interviews oder einen Off-Text zusammenhalten zu müssen, und habe deshalb ganz sanft versucht, andere Zusammenhänge im Material herzustellen. Ich habe mit bestimmten Motiven gearbeitet, mit Bewegungen, mit Kleidung. Im Schnitt musste ich mich von diesen Verknüpfungen wieder lösen und den Film als solches zu spüren bekommen. Dafür habe ich, von Inseln ausgehend, nicht linear geschnitten.
CASANOVAGEN ist mit sehr geringen Mitteln produziert. Trotzdem hast du dich für Super-16-mm-Material entschieden. Warum?
Bestimmte Restriktionen habe ich mir selbst auferlegt, andere, die von außen kamen, habe ich akzeptiert. Die Szene mit John Malkovich war die erste, die wir für den Film gedreht haben. Um ihn überhaupt gewinnen zu können, hatte ich beschlossen, das Gespräch in einer einzigen Einstellung zu filmen. John Malkovich kam also nach seinem Auftritt von der Bühne, und wir haben unser Gespräch innerhalb von elf Minuten – das entspricht der Länge einer Rolle 16mm-Material – gefilmt. Danach war er umgezogen und verließ die Garderobe. Ich habe diese Restriktion als Befreiung empfunden, die es mir erleichterte, mich auf meine gleichzeitige Arbeit als Regisseurin und Darstellerin zu konzentrieren. Auf der Basis der Gegebenheiten in der Garderobe, in der wir drehten, und des Bildaufbaus zu Beginn der Szene haben die Kamerafrau Helena Wittmann und ich entschieden, im Format 16:9 zu drehen. Damit waren Material und Format gesetzt.
(Interview: Adnan Softić, Lektorat: Sabine Boshamer, Januar 2018)