Das Dorf meiner Großmutter
CON EL VIENTO ist ein Spielfilm mit dokumentarischem Ansatz, eine Geschichte, die auf wahren Gefühlen basiert – denen der Protagonistinnen und meinen.
Es ist eine persönliche Geschichte. Mein Großvater starb 2005, im gleichen Jahr zog ich nach Buenos Aires. Als ich nach zwei Jahren wieder nach Spanien zurückkehrte, hatte ich das Bedürfnis, meine Großmutter und das Dorf, in dem sie lebt, zu porträtieren. Das Dorf ist im Begriff zu verschwinden.
Außerdem geht es in dem Film um die Geschichte der beiden Hauptdarstellerinnen: Mónica García, eine 47-jährige Choreografin, und Concha Canal, eine 88-jährige Dorfbewohnerin. Beide sind Laiendarstellerinnen, die bei diesem Projekt Großartiges geleistet haben.
Der Film konzentriert sich auf Monikas Rückkehr und ihre Beziehung zu ihrer Mutter. Es geht um familiäre Bindungen und das Thema Distanz: physische und emotionale Distanz, die Distanz zwischen den beiden Figuren und die generelle Distanziertheit von Mónica, die im Tanz eine Möglichkeit gefunden hat, ihre inneren Veränderungsprozesse auszudrücken.
CON EL VIENTO ist ein persönlicher Film über Schweigen und Isolation, über Familie und über die Schwierigkeiten des Lebens auf dem Land in einer der unbekanntesten Regionen Spaniens. Die unendlich weite, ausgetrocknete Landschaft Kastiliens spiegelt die Gefühle der Protagonisten.
CON EL VIENTO ist ein Film über das Suchen: die Suche nach den Wurzeln, nach Trost, nach einer Vergangenheit, die im Verschwinden begriffen ist, und nach einer einsamen Gegenwart. Vor allem ist dies ein Film, der sich mithilfe seiner Figuren der Realität anzunähern versucht.
Als Filmemacherin ebenso wie als Zuschauerin schätze ich Filme, die man fühlt und die einen dazu bringen, Dinge zu fühlen; Filme, die einem unter die Haut gehen und einen aufwühlen; die etwas in einem zurücklassen, über das man nachdenkt – Filme, die mit einem leben.
Mich interessieren Filme, die es einem ermöglichen, eine Realität zu bewohnen, sie zu leben. Mich interessieren ehrliche, persönliche Geschichten, die einfach und authentisch sind. Es gibt etwas in solchen Geschichten, das einen tief berührt und verwandelt. Um das zu erreichen, sucht man nach den richtigen Bildern, den passenden Gesten, nach der Essenz einer Geschichte. Diese Qualität macht das Kino so komplex und schön für mich. Wenn das passiert, kann der Film unendlich sein. (Meritxell Colell Aparicio)
Gespräch mit Meritxell Colell Aparicio: „Wir probten nur Szenen, die im Film nicht vorkamen“
Was hat Sie zu diesem Film inspiriert?
Meritxell Colell Aparicio: Das war ein ganz persönlicher: Ich wollte meine Großmutter und das Dorf in Nordspanien filmen, in dem sie mit nur sechs anderen Bewohnern lebt; tatsächlich tritt sie in dem Film gar nicht auf, dennoch war meine Großmutter die wichtigste Motivation für mich – nicht nur bei der Planung des Films, sondern während der gesamten Produktion. Ihre Persönlichkeit, ihre Geschichten, ihre Art, sich dem Leben zu stellen, und ihre Beziehung zu dem Dorf haben mich inspiriert. Das Gleiche gilt auch für das Haus, die Landschaft, die Berge, die sich hinter dem Dorf erheben, und die Veränderungen, die der Wechsel der Jahreszeiten mit sich bringt; all das hat dazu beigetragen, dass sich die besondere Atmosphäre dieses Films herstellen ließ.
CON EL VIENTO ist Ihr erster abendfüllender Film als Regisseur. Wie unterschied sich diese Produktion von den Erfahrungen, die Sie mit Ihren Kurzfilmen oder der Montage von Dokumentarfilmen gemacht haben?
Der Schritt von meiner Tätigkeit als Editorin und Dokumentarfilmregisseurin zur Herstellung meines ersten Spielfilms war ein ganz organischer, natürlicher Prozess und eine intensive Erfahrung für mich. Wir beide, der Film und ich – das liegt in der Natur der Sache – brauchten Zeit, um einander zu finden. Am schwierigsten war es für mich, mit dem Schreiben zu beginnen und die Schauspieler zu inszenieren; in diesen beiden Bereichen fühlte ich mich am Unsichersten.
Dadurch, dass man während all der Prozesse und unterschiedlichen Phasen, die zur Herstellung eines Spielfilms gehören, lernt, entdeckt und eigene Erfahrungen macht, wächst man als Filmemacher und als Mensch. Inszenieren bedeutet, dass man permanent exponiert ist und aufmerksam sein muss – sowohl in Bezug auf die fiktive Wirklichkeit, die porträtiert werden soll, wie auch auf die Menschen, mit denen man diesen Prozess gemeinsam erlebt. Das ist sehr bereichernd.
Wie kam die Produktion des Films in Gang? Und wie würden Sie den Produktionsprozess beschreiben?
Die Idee für den Film entstand 2008, aber erst 2013 fing ich an, ernsthaft daran zu arbeiten. Es hatte Jahre der Unterbrechungen und Neuanfänge gegeben, in denen das Schreiben und die Recherchen für den Film parallel zu meiner Arbeit als Editorin und meiner Mitwirkung an „Cinema en curs“ liefen; Letzteres ist ein Projekt an Grund- und weiterführenden Schulen, bei dem Kinder und Jugendliche durch Filmvorführungen und eigene Dreherfahrung das Kino entdecken können.
Im Januar 2014 lernte ich die Schauspielerin Mónica García kennen, und von diesem Moment an wusste ich, dass ich den Film tatsächlich realisieren würde. Im Herbst 2015 begannen die Dreharbeiten. Es war wichtig, den Verlauf der Jahreszeiten Herbst, Winter und Frühling chronologisch aufzunehmen. CON EL VIENTO ist ein Film über das Zusammentreffen von Figuren, sowohl im Spiel als auch als Filmtechnik: Ab dem Moment, ab dem sich die Beziehungen intensivieren, nähert sich auch die Kamera den Protagonisten immer mehr. Ein weiterer zentraler Aspekt der Arbeit mit den Schauspielerinnen war auch das Einbeziehen der Erfahrung des „ersten Mals“: So ließen sich die Spannungen und Unsicherheiten, die für jeden Drehbeginn typisch sind, integrieren und mit den filmischen Mitteln der Fiktion verbinden. Der Zuschauer kann im Verlauf des Films verfolgen, wie die Schauspielerinnen Vertrauen in die Abläufe gewinnen, während parallel dazu auch die fiktionale Beziehung zwischen ihnen immer mehr von Nähe gekennzeichnet ist.
Montage und Tongestaltung beanspruchten ein weiteres Jahr – mit Unterbrechungen, die es uns ermöglichten, mit mehr Abstand auf das Material zu schauen. Da es sich hier um „open fiction“ mit einem sehr feinnervigen Ansatz handelt, wollten wir uns genügend Zeit lassen. Dadurch konnte der Film sich gut „setzen“ und seine endgültige Form finden. All diese Jahre hindurch war es eine wundervolle Erfahrung, den Entstehungsprozess dieses Films gemeinsam mit Freunden, Kollegen und Fachleuten, die jeweils ganz unterschiedliche Sichtweisen hatten, zu erleben.
Den Darsteller*innen blieb der Zugang zum Drehbuch verwehrt, wobei allerdings nur zwei professionelle Schauspielerinnen in dem Film mitwirken. Warum haben Sie sich für diese Vorgehensweise entschieden, und was war Ihr inszenatorischer Ansatz?
Es war mir wichtig, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die von ihrer Lebensgeschichte oder ihrer Einstellung zum Leben her Gemeinsamkeiten mit den Figuren haben. Ich habe von Anfang an versucht, Angehörige und Einheimische in die Arbeit zu integrieren; ihre Mitwirkung als Nebendarsteller schätze ich zutiefst. Ebenfalls unabdingbar war, dass die Figur der Mónica von einer professionellen Choreografin und Tänzerin gespielt wurde, und dass die Rolle der Pilar von einer Frau aus der Gegend übernommen wurde. Der Umstand, dass Laiendarsteller sich die Leinwand mit professionellen Schauspielerinnen wie Elena Martin und Ana Fernández teilen, gewährleistete die dramatische Spannung in den Familienszenen. Die Laien forderten Mónica and Pilar in gewisser Weise heraus und umgekehrt. Das war interessant. Wir probten nur die Szenen, die nicht gefilmt werden sollten. In gewisser Weise haben wir die ganze Zeit über an dem gearbeitet, was nicht auf der Leinwand sichtbar werden würde, an dem, was sich im „Dazwischen“ ereignete.
CON EL VIENTO ist ein Film mit vielen zeitlichen Ellipsen. Um die Szenen vorzubereiten, konzentrierten wir uns auf das, was darin passierte. Mónica García und Elena Martin schrieben während der Dreharbeiten und auch in ihrer Freizeit Tagebuch für die Figuren, die sie spielten. Gleichzeitig schrieb ich Texte für sie über alles, was die Figuren erleben, während sie nicht auf der Leinwand zu sehen sind. Die Herangehensweise war keine psychologische; sie bestand eher darin, dass wir uns auf die emotionale Situation konzentrierten, in der die Protagonistinnen sich befinden. Um die Figuren lebendiger wirken zu lassen, diskutierten wir viel darüber, wie sie auf bestimmte Dinge reagieren würden. Ich wollte nicht, dass die Schauspielerinnen lediglich ein Konzept realisierten, sondern, dass sie etwas von ihrem persönlichen Wesen ausdrückten. Das hatte auch damit zu tun, dass ich sie aus dem Wunsch heraus ausgesucht hatte, sie näher kennenzulernen. Wir arbeiteten also mit Mustern, Stimmungen, mit Atmosphäre und Bewegungen, aber sie hatten die Freiheit, das Tempo zu bestimmen und ihre eigenen Worte zu finden.
Wie lange dauerten die Dreharbeiten, und wo wurde gedreht?
Die Dreharbeiten dauerten insgesamt 13 Wochen, die sich über ein Jahr verteilten. Den größten Teil des Films drehten wir in den Dörfern und Landschaften von Las Loras, einem UNESCO Global Geopark, der in den Provinzen Burgos und Palencia in Nordspanien liegt. Nachdem wir etwa ein Jahr nach Beginn der Dreharbeiten mit der Montage begonnen hatten, reisten wir für eine Woche nach Buenos Aires, um dort den Anfang des Films zu drehen.
(Interview: Polar Star Films)