Von der Kraft des Mitgefühls
Gemessen an der Intensität des Schmerzes über den Tod eines Nahestehenden ist die in unserer Gesellschaft übliche Form des Tröstens seit jeher eine eher dürftige Geste. Mangelndes Einfühlungsvermögen kann den Schmerz noch verstärken.
Ich hoffe, mein Film kann Trauernden ein wenig Trost spenden und der Gesellschaft etwas von der Kraft des Mitgefühls vermitteln. (Shin Dong-seok)
Gespräch mit Shin Dong-seok: „Man kann andere nur mit Aufrichtigkeit wirklich trösten“
Wie kam es zur Arbeit an LAST CHILD?
Shin Dong-seok: Als ich Anfang zwanzig war, gab es in meinem Umfeld eine Reihe von Todesfällen. Es war für mich eine extrem herausfordernde Zeit mit vielen Höhen und Tiefen. Die oft klischeehaften Worte, mit denen die Menschen um mich herum mich trösten wollten, trafen mich tief, sie verstärkten meinen Schmerz. Damals war mir nicht bewusst, dass es sich um eine Phase des Trauerprozesses handelte. Auch ich habe einmal einer Person mit einer konventionellen Beileidsbekundung zusätzlichen Schmerz bereitet. Das Wissen darum, dass man andere nur mit Aufrichtigkeit wirklich trösten kann, verursachte mir regelrechte Qualen: Auf keinen Fall wollte ich Banalitäten von mir geben. In meinen bisherigen Drehbüchern hat die Handlung jeweils nach dem Tod eines Familienmitglieds eingesetzt. Dann begann ich mit der Arbeit an LAST CHILD.
Wie gestaltete sich die Arbeit mit den Schauspieler*innen?
Ich war sehr froh, als die Auswahl der Hauptdarsteller*innen abgeschlossen war. Es waren genau diejenigen, an die ich schon nach dem Fertigstellen der ersten Drehbuchfassung gedacht hatte. Mit seiner langjährigen Erfahrung als Theaterregisseur war Choi Moo-seong in der Lage, meine Gedanken unmittelbar zu erfassen. Oftmals sprachen wir nur über Details oder die Stimmung einer Szene. Seine Art zu spielen stimmte ganz und gar mit meiner Vorstellung von der Rolle überein. Kim Yeo-jin hatte einen beeindruckenden Zugang zum Drehbuch und konnte sich mühelos in die Rolle einfühlen. Seong Yu-bin hatte sich sehr ausführlich auf die Rolle vorbereitet. Als die Kamera dann lief, spielte er völlig natürlich und spontan. Einmal schlug er vor, einen bereits abgedrehten Take noch einmal zu wiederholen, weil er eine emotionale Regung nicht gezeigt hatte, die ihm aber wichtig war. Das hat mich sehr beeindruckt. Für mich war das präzise Feedback der Schaupieler*innen ausgesprochen hilfreich.
Wie entstand der Titel des Films LAST CHILD, auf Deutsch: letztes Kind?
Mir war es bei der Wahl des Titels wichtig, die Entscheidungen der Protagonisten zu betonen, die das zentrale Geschehen im Film durchleben. Aus der Perspektive des Ehepaars geht es um den Prozess, den Jugendlichen zu akzeptieren, den ihr Sohn gerettet hat, auch wenn er dafür mit dem eigenen Leben bezahlt hat. Das „letzte Kind“ ist der gerettete Junge. Darüber hinaus wollte ich auch Kihyuns Entscheidung mit einbeziehen, bis zum Ende bei dem Elternpaar zu bleiben.
Wie würden Sie den Begriff Trost beschreiben?
Der Versuch, Trost zu spenden, kann das Gegenteil bewirken und Schmerz oder Trauer verstärken. Ein und dieselbe tröstende Geste, das gleiche aufmunternde Wort können ihre Wirkung verfehlen, wenn sie für das Gegenüber im falschen Moment kommen. Wenn die Worte jedoch ernst gemeint sind, werden sie nicht ohne Wirkung bleiben. Irgendwann werden sie die andere Person erreichen.
Was war für Sie bei den Dreharbeiten besonders wichtig?
Als ich das Drehbuch schrieb, war es mir wichtig, dass das Publikum die drei Protagonist*innen in gleichem Maße wahrnimmt und sich emotional nicht einer dieser Figuren in besonderem Maße zuwendet. Der Film wird aus der Perspektive des Ehepaars erzählt, wobei die Eheleute auf jeweils ganz unterschiedliche Weise trauern – schon hier können Konflikte entstehen. Auch wenn man den Schmerz der Eltern nachvollziehen kann, wollte ich Aufmerksamkeit auch auf die Veränderungen lenken, die bei Kihyun sichtbar werden. Lange nachgedacht habe ich außerdem über den angemessenen Abstand, um die komplexen Gefühle der Figuren darzustellen. Die Kamera sollte wie ein enger Freund der Figuren wirken und in den Close-ups als eine Art Stütze der Charaktere empfunden werden. In Momenten der tiefen Trauer sollte die Kamera den Figuren zwar etwas mehr Raum geben, jedoch in der Nähe bleiben, bis der Schmerz nachgelassen hat.
Was war der Ausgangspunkt für die Szene, in der Sungcheol und Misook Kihyun in die Nähe des Flusses mitnehmen, wo ihr Sohn gestorben ist?
Sungcheol und Misook sind zunächst nicht in der Lage, um ihren Sohn zu trauern; auch die Gründe für seinen Tod liegen anfangs im Dunkeln. In diesem Moment muss der Drang der beiden, einfach aufzugeben, übergroß gewesen sein. Sungcheol verspürt in erster Linie Wut, er gibt Kihyun die Schuld daran, dass sein Leben sinnlos geworden ist. Misook hingegen möchte, dass der Schmerz so schnell wie möglich aufhört. Normalerweise wird die Arbeit am Drehbuch von dem Wunsch begleitet, das Verhalten und die Gefühle der Figuren weitestgehend zu verstehen. Auf der anderen Seite hilft es, sich zu Beginn der Dreharbeiten einzugestehen, dass es letztlich unmöglich ist, die Charaktere vollständig zu erfassen. Genau so ging es mir, als wir die Szene drehten, die Sie in Ihrer Frage erwähnen. Erst nachdem die Szene abgedreht war und ich gesehen hatte, wie die Schauspieler*innen darin spielten, hatte ich das Gefühl, Sungcheol und Misook besser zu verstehen.
(Interview: ato)