Sport lügt nicht
In einem Interview mit Jérôme Bureau und Benoît Heimermann, das am 9. Mai 2001 in „L’Équipe“ erschienen ist, hat der Filmregisseur Jean-Luc Godard gesagt: „Ich schaue mir immer noch gerne Sport an, weil er etwas geblieben ist, bei dem der menschliche Körper nicht lügt. Politik, Kino und Literatur können lügen, Sport nicht.“ Mir wurde sehr bald klar, dass dieser Gedanke im Zentrum von L’EMPIRE DE LA PERFECTION steht.
Kino kann lügen, Sport nicht. Auf dem Tennisplatz rennt und schuftet John McEnroe. Er gewinnt oder verliert. Das sind die einzigen Optionen. Keine Zeit für Schnitte oder Spezialeffekte. Auch die Liste seiner Erfolge ist etwas Konkretes. Sie lässt sich verifizieren. Man würde nie auf den Gedanken kommen, eine Rangliste für Mozart, Bach und Haydn anzulegen. Aber wenn man wissen will, ob John McEnroe an einem ganz bestimmten Tag vor Jimmy Connors oder hinter Björn Borg lag, kann man ganz einfach in der ATP-Weltrangliste nachsehen.
In dem Satz „Kino kann lügen, Sport nicht“ liegt ein gewisser Widerspruch, der einen zum Innehalten und Nachdenken auffordert. Und genau damit wollte ich mich beschäftigen, das wollte ich ergründen. Außerdem wollte ich das Bild des (Schau-)Spielers, der sich ständig über irgendetwas beschwert und dabei sehr impulsiv ist, dekonstruieren – die Schublade, die im Nachhinein im Kino und in der Werbung für McEnroe gefunden wurde.
Auf der Basis von unbearbeitetem 16-mm-Material, das vom Institut National du Sport et de l’Education Physique (INSEP) Anfang der 1980er Jahre bei den French Open aufgenommen wurde, habe ich es mir zum Ziel gesetzt, jenen Moment der Wahrheit zu erfassen und mitteilbar zu machen, für den dieser Wettbewerb steht. Ich habe versucht, McEnroe als einen Profisportler zu zeigen, der seiner Arbeit nachgeht – die vor allem darin besteht, das Einzige zu erreichen, das ihn auf dem Tennisplatz wirklich interessiert: seinen Gegner zu bezwingen.
Weil wir so sehr auf die im Fernsehen ausgestrahlten Videobilder konditioniert sind, versetzt uns die kinematografische Textur des 16-mm-Films schnell in den Bereich der Fiktion. Die Theatralität McEnroes und seine vor Publikum oder direkt in die Kamera offenkundig ausgesendeten Signale der Unzufriedenheit führen uns – weil das wirklich so ungewöhnlich ist – in einen Bereich, der eher die Domäne des Actors Studio als des Hochleistungssports ist.
Neben einem hohen Maß an Ambivalenz vermitteln diese unbearbeiteten Aufnahmen auch einen sehr lebendigen Eindruck vom Ort des Geschehens. Das weckte sehr schnell den Wunsch in mir, daraus einen Film zu machen. Das Rohmaterial selbst ist auch Thema von L’EMPIRE DE LA PERFECTION. Es hat den Schreibprozess entscheidend beeinflusst und zu einem großen Teil die Montage bestimmt. Von den beiden Ebenen, die das Rohmaterial enthielt, war ich unmittelbar verblüfft: Die Aufnahmen informieren die Zuschauer*innen über das Turnier und vermitteln zugleich, wie das Turnier gefilmt wurde. Das Rohmaterial zeigt ganz einfach, was hinter den Kulissen vorgeht, und verfügt doch über die Substanz einer filmischen Sequenz. Auf diese Weise verbindet es ununterbrochen die Aktionen vor und hinter der Kamera.
Nicht zuletzt setzt das verwendete Rohmaterial die Grundsätze der Dokumentarfilmgattung außer Kraft, die einen bis zu einem gewissen Grad vergessen lassen wollen, dass hier gerade ein Film entsteht. Für einen Dokumentarfilm gibt es im Grunde nur zwei Herangehensweisen: Entweder man versucht es möglichst glaubhaft zu machen, dass die Menschen, die man filmt, genau so porträtiert werden, wie sie sich im realen Leben verhalten, und dass die Anwesenheit der Kamera daran absolut nichts ändert. In diesem Fall werden die Zuschauer dazu verleitet zu vergessen, dass sie einen Film sehen.
Bei dem anderen Ansatz geht man davon aus, dass die Präsenz der Kamera die Dinge verändert, dass das Projekt – entgegen allen Bemühungen – in die Wirklichkeit, der man begegnet, eingreift, und dass das Thema des Films zu einem Teil dieser veränderten Umstände wird. In diesem Fall bekommt das Publikum eine Arbeit zu sehen, in der dieses neue Verhältnis zwischen „Filmendem“ und „Gefilmtem“ sichtbar wird – das aus seinem Eindringen, seiner Verstrickung resultiert.
Die 16-mm-Aufnahmen sind über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden und enthielten Material, das mich in Richtung des zweiten Ansatzes drängte. Diese Entscheidung erwies sich als äußerst fruchtbar.
Als sich mir die Möglichkeit eröffnete, mit Bildern aus Tennistrainingsfilmen zu arbeiten – die scheinbar keinerlei kinematografischen Wert besaßen –, erinnerte ich mich an einige Sätze aus Jean Epsteins Buch „Esprit de cinéma“: „So wie keine besondere Art von Thema den Erfolg eines Films garantiert, so führt auch keine besondere Art von Thema zwangsläufig zum Misserfolg.“ – „Daher ist das wahrhaftigste und profundeste Thema jedes Gemäldes das Gemälde selbst: Das wahrhaftigste und profundeste Thema jedes Films kann nur das Kino sein.“ (Julien Faraut)