Direkt zum Seiteninhalt springen

60 Min. Englisch.

David schickt seinem Mitbewohner Todd eine Postkarte aus Mailand; Madeline sei bereits gut angekommen. Zurück in den USA besucht er seine Eltern, erhält einen Scheck, trifft Todd in Brooklyn und vereinbart Bewerbungsgespräche. Dann sehen wir eine Seitenstraße zwischen hohen Gebäuden, David erscheint im Bild, Opernmusik flutet die Tonspur, er entfernt sich und verschwindet allmählich. Todd und Madeline suchen in der ganzen Stadt nach ihm, zwischen Lesungen, Vernissagen, One-Night-Stands und Café-Geplauder. Schon vor seinem Verschwinden werden immer wieder Spuren seines Lebens eingeblendet: der Scheck, der Boarding-Pass, Tagebucheinträge. Nur sind jetzt andere Dokumente gefragt: Suchfotos, Vermisstenanzeigen, die Postkarte aus Mailand. Aber es nützt alles nichts. David hat vor seinem Verschwinden den Besitz des umstrittenen toten Philosophen Steven Taubes katalogisiert. Auch der hinterließ Spuren: Videos entlegener Städte, Aufnahmen, in denen vom Ende der Politik die Rede ist, kritische Neubewertungen, Gerüchte einer wachsenden Bewegung. Dossiers sollen Gewissheit schaffen, aber das tun sie nicht mehr. Es ist beunruhigend, wenn man feststellt, dass das Leben jetzt die Lücke ist. (James Lattimer)

Ricky D’Ambrose wurde 1987 in Livingston, New Jersey (USA) geboren. Er wuchs auf Long Island auf und studierte Anglistik und Filmwissenschaft an der New York University. 2012 schloss er ein Filmstudium an der Columbia University in New York mit dem Master ab. Seit 2013 drehte er für das Online-Filmmagazin MUBI Notebook eine Reihe von Videofilmen über bekannte Filmregisseure, darunter Chantal Akerman, Bruno Dumont und Matías Piñeiro. Ricky D’Ambrose ist Autor von Filmkritiken und Essays, die in The Nation, Film Quarterly, dem Times Literary Supplement und The White Review erschienen sind. Nach vier Kurzfilmen ist Notes on an Appearance sein erster abendfüllender Spielfilm.

Ahistorische Betrachtungen

Der erste Entwurf für NOTES ON AN APPEARANCE entstand vor mehr als acht Jahren, in einem ganz bestimmten Abschnitt meines Lebens. Zwischen 2008 und 2012, gegen Ende meines Studiums, hatte ich in New York mehrere Jobs, war immer knapp bei Kasse, oftmals niedergeschlagen – desillusioniert von einem fragwürdigen Weltbild, das den größten Teil meiner Kindheit geprägt hatte: die Welt der 1990er Jahre, eine Zeit des Überflusses und der Sicherheit, in der die Geschichte an ihr Ende gekommen schien. (Es hieß damals, die Welt – diese neue Welt – sei zu groß, um unterzugehen.)
Was als weitgreifender Entwurf begann – ein unförmiges Ensemblestück über eine Handvoll junger Leute, die mit den Konsequenzen eines diskreditierten Weltbilds hadern –, ist inzwischen deutlich komprimiert und auch verkleinert. Das Ergebnis ist ein Film in der Form eines Sammelalbums mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, handgeschriebenen Tagebucheinträgen, Stadtplänen, Postkarten aus Übersee, mit Schreibmaschine geschriebenen Manuskriptseiten, Gesprächsfetzen und flüchtigen Handlungsmomenten, die zusammengenommen einen – wenn auch etwas schrägen – Eindruck von den unausgesprochenen Umständen eines Verschwindens vermitteln.
Dieser Ansatz erforderte das Minimieren, wenn nicht sogar Eliminieren einiger für den narrativen Film üblichen Erzähltechniken wie zum Beispiel das psychologische Porträtieren, das Entwerfen von Vorgeschichten, die das Verhalten und die Äußerungen einer Figur begründen oder glaubhaft werden lassen. Und was rückte an die Stelle dieser Techniken? Die Oberfläche von Objekten (Fotografien, Notizbücher, Kaffeetassen, Zugtickets) und Geräusche (von Straßenkundgebungen, von Schritten, zufällig gehörten Plaudereien, sich öffnender und schließender Türen) ohne irgendeinen symbolischen Wert oder eine Funktion. Mir gefällt dieses an Oberflächen orientierte, monotone, ahistorische Betrachten von Menschen und Dingen, vor allem in Bezug auf einen Film, der eine mehr als flüchtige Ähnlichkeit mit einer Detektivgeschichte hat, in der die Suche nach der fehlenden Person mit willkürlichen Signalen und kleinen vorläufigen Hinweisen übersättigt ist.
Wie das Notizbuch, das der verschwundene David zurückgelassen hat – eine ordentliche Auflistung seiner täglichen Ausgaben, zusammen mit Reisetickets, Zeichnungen, Quittungen und Postkarten von Gemälden –, ist NOTES ON AN APPEARANCE kein tiefes Bekenntnis. Ich wollte vielmehr so etwas wie einen stummen Tonfilm erstellen, einen Film, der gezielt Informationen in Form unbearbeiteter Schnipsel gibt und der auf einen reichen Fundus von wiederholtem, beredtem Schweigen, von Umwegen und Auslassungen zurückgreift.
Es ging mir nicht so sehr darum, einen zeitgemäßen Film zu realisieren. Dennoch ist ein Film über den Verlust, der in einer dunklen, kranken, von Extremismus und Not geprägten Zeit spielt, in dem die Gründe für das Verschwinden einer Figur entweder verborgen oder vollständig unverständlich sind, heute, fürchte ich, von großer Relevanz. Auf einer eher persönlichen Ebene fasst der Film viele meiner Gedanken und Gefühle der letzten Jahre zusammen. (Ricky D’Ambrose)

Produktion Graham Swon. Produktionsfirma Graham Swon (New York, USA). Regie, Buch Ricky D’Ambrose. Kamera Barton Cortright. Montage Ricky D’Ambrose. Sound Design Kevin T. Allen. Ton Sean Dunn. Production Design Ricky D’Ambrose. Mit Keith Poulson (Todd), Tallie Medel (Madeleine), Bingham Bryant (David), Madeleine James (Karin), Daryl Jade Williams (Brandon), Stephen Gurewitz, James N. Kienitz Wilkins (Ethan), Kathryn Danielle (Mutter), A. S. Hamrah (Vater), Jessica Pinfield (Valerie).

Weltvertrieb Partisan Films

Filme

2011: The Stranger (31 Min.). 2012: Pilgrims (13 Min.). 2015: Six Cents in the Pocket (14 Min., Berlinale Shorts 2016). 2016: Spiral Jetty (15 Min.). 2018: Notes on an Appearance.

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur