Eine verlorene Illusion
Kurz nachdem ich OLD LOVE fertiggestellt hatte, traf ich nach fast 30 Jahren zufällig meine alte Liebe wieder. Das war ein seltsames Erlebnis. Äußerlich hatte sie sich sehr verändert. Sie war älter geworden, so wie ich auch, aber sie benahm sich auf jene vertraute jugendliche Art und Weise wie damals, als wir ein Paar waren, und brachte mich dazu, das Gleiche zu tun. Allerdings war die Atmosphäre zwischen uns alles andere als romantisch: Wir fingen sofort an zu streiten und uns gegenseitig zu kritisieren, und mir wurde klar, dass ich nach all diesen Jahren einer Illusion nachgejagt war, einer Fantasie, die ich mir ausgedacht hatte.
Am Ende bedauerte ich dieses Wiedersehen. Warum bloß hatte ich ihren Vorschlag, uns zu verabreden, angenommen? Ich hätte sie lieber eine Erinnerung sein lassen sollen, anstatt sie in mein reales Leben zurückzuholen. Aber was kann man schon dagegen tun, dass das Leben eine ständige Wiederholung von Kummer und Enttäuschungen ist. (Park Kiyong)
Gespräch mit Park Kiyong: „Die Koreaner mittleren Alters stecken fest“
Ansgar Vogt: Warum haben Sie die Handlung rund um das koreanische Neujahrsfest angesiedelt?
Park Kiyong: Das Neujahrsfest verbringt man in Korea traditionell mit seinen Angehörigen. Weil die Familien der beiden Hauptfiguren Yoonhee und Jungsoo zerbrochen sind, sind die beiden angesichts der bevorstehenden Festlichkeiten ziemlich traurig.
Vordergründig geht es in OLD LOVE um eine unerfüllte Liebesgeschichte, die nur in der Erinnerung existiert. Gleichzeitig werden im Film aber auch Generationenkonflikte der heutigen koreanischen Gesellschaft sichtbar.
Ich denke, die beiden Hauptfiguren repräsentieren ziemlich genau die Koreaner mittleren Alters von heute. Ihnen geht es hauptsächlich um ihre finanzielle Situation. Geld und auch die Gesundheit sind wohl die wichtigsten Interessen dieser Generation, wobei das Geld mehr Bedeutung für sie hat. Die Koreaner mittleren Alters stecken fest zwischen der älteren und der jüngeren Generation, und sie verlieren sich zwischen alten und neuen Wertvorstellungen und Normen. Ich glaube, dass sie diese Situation nur überwinden können, indem sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen. Die Frage ist, ob das angesichts der zahlreichen Wünsche, von denen die koreanische Gesellschaft beherrscht wird, möglich ist. Während man früher eher danach strebte, ein „anständiges Leben“ zu führen, gilt heute die Devise: „Erfülle dir deine Wünsche, mit allen Mitteln.“ Meiner Ansicht nach sollte man das gesamte Bildungssystem dahingehend verändern, dass Kindern ethische Werte vermittelt und sie zu ehrbaren Menschen erzogen werden.
In Ihrem früheren Film CAMEL(S) (Forum 2002) hatten sie in Vorbereitung der Dreharbeiten lediglich Outlines der Szenen und eine Figurenskizze. Gab es bei OLD LOVE ein Drehbuch?
Ich habe ein vollständiges Drehbuch geschrieben, allerdings nur für die Filmförderung Kofic. Die Schauspieler haben es nicht zu lesen bekommen. Stattdessen habe ich ihnen an jedem einzelnen Drehtag morgens beschrieben, was genau wir drehen würden. Anschließend haben wir darüber gesprochen, wie sie die Dialoge improvisieren könnten. Mit dieser Arbeitsweise möchte ich verhindern, dass die Schauspieler zu viel über die Handlung des Films erfahren; sie sollen nicht wissen, was als Nächstes passiert oder wie die Geschichte endet, sondern die einzelnen Handlungsschritte im Verlauf der Dreharbeiten selbst entwickeln und aus ihrer Figur heraus auf die Situationen reagieren. Deshalb müssen sie die inneren Zustände der Figuren möglichst unmittelbar erfassen. Ich habe für OLD LOVE Schauspieler ausgesucht, die sich dieser Herausforderung stellen wollten. Während des Drehs löste diese Arbeitsweise aber manchmal auch Ängste in ihnen aus: Dann verschlossen sie sich beim Spielen, um sich zu schützen. Kim Moon-hee, die die Ehefrau des sterbenden Freundes der beiden Hauptfiguren spielt, war bei diesem Projekt die größte Überraschung für mich, eine echte Entdeckung. Ich würde gerne wieder mit ihr zusammenarbeiten.
Worin unterscheidet sich der fertige Film am meisten von dem Drehbuch, das Sie geschrieben hatten?
Die Handlung ist im Grunde die gleiche geblieben, aber die Gefühle der Figuren werden durch diese Arbeitsweise besonders greifbar. Während der Dreharbeiten folge ich meinem Gespür, um das Beste aus der Situation herauszuholen. Für mich ist ein Film eine Art Organismus, der sich permanent verändert.
(Interview: Ansgar Vogt, Januar 2018)