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106 Min. Französisch.

Zwölf Wochen dauert die Grundausbildung der jungen Rekruten – Männer und Frauen – in der kanadischen Armee, die der Film uns zeigt. Ordnung, Sauberkeit und Disziplin sind hier die Grundtugenden, in denen mancher Nachhilfe braucht. Endlos werden T-Shirts gefaltet, Kommandos verinnerlicht, Marschschritte und Waffengebrauch geübt. Jean-François Caissy sieht den Film als Teil einer dokumentarischen Serie, in der er sich mit Übergängen und Lebensabschnitten beschäftigt. Nach dem Schulabschluss (La marche à suivre) und dem Leben in einem Altersheim (La belle visite) nun der freiwillig gewählte Übergang vom Zivilleben zum Militär. Eine Berufswahl, für die die jungen Protagonisten unterschiedliche Motive nennen, vor allem die Suche nach Herausforderung. Die Kamera darf überall dabei sein, manchmal wird ein Befehl um die Anweisung „Achtet auf die Kamera!“ ergänzt. Die nüchtern-neugierige Beobachtung wirft Fragen auf: Wie vertragen sich Individualität und Gehorsam? Werden diese Soldaten und Soldatinnen tatsächlich in den Krieg ziehen müssen? Und womöglich auch die nach dem Zusammenhang zwischen der Verteidigung einer freiheitlichen Gesellschaft und der korrekten Technik, ein Hemd zu falten. (Anna Hoffmann)

Jean-François Caissy wurde 1977 in Carleton-sur-Mer in der kanadischen Provinz Québec geboren. Caissy ist ausgebildeter Fotograf und neben seiner Arbeit als Filmemacher auch als Bildender Künstler tätig. Seine Bilder werden international in zahlreichen Galerien und Museen ausgestellt. Zu seinen Videoinstallationen zählen Derby (2011) und Exposition agricole (2017). 2005 drehte er seinen ersten Dokumentarfilm, La saison des amours. Jean-François Caissy lebt in Montreal.

Soldaten werden schnell erwachsen

Ich bin ausgebildeter Fotograf, meinen Dokumentarfilmen habe ich mich immer intuitiv genähert, indem ich schrittweise vorgegangen bin, ohne Drehbuch oder festgelegte Protagonisten. Die Themen meiner Filme sind immer so beschaffen, dass sie meine Neugier wecken, aber die Recherchephase für jedes neue Projekt kommt nur in Gang, wenn ich einen Raum dafür finde, in dem ich arbeiten möchte und in dem ich das Gefühl habe, dass der jeweilige Film sich gut entwickeln kann.  
PREMIÈRES ARMES ist der dritte Teil einer fünfteiligen Dokumentarfilmserie, die man als eine frei fließende Meditation über die verschiedenen Phasen des Lebens bezeichnen kann. Dieses ambitioniert wirkende Projekt ist tatsächlich ziemlich spontan entstanden. Der erste Film dieser Reihe, LA BELLE VISITE (Forum 2010), ist in einem Seniorenheim entstanden und beschäftigt sich mit dem Thema Altern. Während der Dreharbeiten ermöglichte mir der Umstand, dass dieser Film über einen langen Zeitraum in einer geordneten Umgebung mit geregelten Abläufen entstand, mit bestimmten Ereignissen lange im Voraus rechnen zu können. Ich konnte also an den Szenen des Films noch vor den eigentlichen Aufnahmen arbeiten – ein großer Luxus, wenn man Dokumentarfilme dreht. Meinen nächsten Film wollte ich unter ähnlichen Bedingungen drehen, obwohl er von jüngeren Menschen handeln sollte. LA MARCHE À SUIVRE (Forum 2014) ist ein Film über Teenager, und er entstand in einer High School auf dem Land. Paradoxerweise kam mir die Idee, diese Reihe von Filmen fortzusetzen, während der Berlinale: Nach einer Vorführung von LA MARCHE À SUIVRE fragte mich ein Zuschauer, um welche Altersgruppe es in meinem nächsten Projekt gehen würde.
Das zentrale Thema von PREMIÈRES ARMES ist die Phase kurz vor dem Erwachsensein: jene Zeit zwischen 18 und 30, in der wir versuchen, unseren Platz in der Gesellschaft zu finden und bestimmte Entscheidungen treffen – unter anderem die für einen Beruf. Im Zentrum von PREMIÈRES ARMES stehen junge Rekruten und ihre Ausbildung bei der Armee. Der Fokus lag hier nicht in erster Linie auf dem Schritt in eine neue Lebensphase wie bei den beiden vorherigen Filmen; das Thema ermöglichte aber einen konzentrierten Blick auf den Weg zum Erwachsensein: Den jungen Soldaten wird große Verantwortung übertragen, das zwingt sie dazu, schnell erwachsen zu werden. Auf einer anderen Ebene hat das Militär mich schon immer fasziniert. Es ist eine Art Parallelwelt zum zivilen Leben und das völlige Gegenteil dessen, womit ich mich sonst beschäftige. Ich hatte das tiefe Bedürfnis, diese Welt mit der Kamera zu erkunden. Ich war weder ideologisch noch politisch voreingenommen, sondern wollte einfach, dass es zu einer Begegnung zwischen dieser Institution und meinem Ansatz als Filmemacher kommt.
Die Struktur des Films ergab sich ganz von selbst: Die Dreharbeiten fanden im Verlauf von zwölf aufeinanderfolgenden Wochen statt, während der sogenannten Grundausbildung. Ich habe die militärischen Übungen dazu benutzt, die Handlung des Films voranzutreiben. Es dauerte beinahe ein Jahr, bis wir die Dreherlaubnis hatten. Am Ende erteilten mir die Kanadischen Streitkräfte unbeschränkte Handlungsvollmacht. (Jean-François Caissy)

Die inneren Mechanismen einer Welt mit eigenen Regeln

Jean-François Caissy blickt tief in die gesellschaftlichen Mikrokosmen; in seinen Filmen verbindet sich sein ausgeprägter Sinn für Komposition mit seiner sehr menschlichen Herangehensweise an die Themen, um die es jeweils geht. In LA BELLE VISITE und LA MARCHE À SUIVRE beschäftigte er sich mit den Themen Alter und Jugend, in PREMIÈRES ARMES gibt er Einblick in die Phase zu Beginn des Erwachsenenlebens – jene Zeit, in der junge Menschen damit beginnen müssen, an ihrer Zukunft zu arbeiten und wichtige Entscheidungen zu treffen, auch bezüglich ihres Berufslebens.
Im Verlauf von zwölf intensiven Ausbildungswochen wird eine Gruppe junger Zivilisten allmählich zu Soldaten geformt. Diese militärische Basisqualifikation ist die Grundvoraussetzung für jeden, der sich in den Dienst der Kanadischen Streitkräfte begeben möchte. Sie wird zur Schnittstelle, um die inneren Mechanismen einer Welt zu erforschen, die von ganz eigenen Regeln und Wertvorstellungen regiert wird. Caissy beobachtet ohne jegliche Wertung diesen Prozess, in dessen Verlauf die Kandidaten ausgebildet und in die Armee aufgenommen werden. Plötzlich leben die Rekruten in einer strengen Umgebung, in der Disziplin an erster Stelle steht; mit gemischten Gefühlen, zwischen Begeisterung und Befürchtungen schwankend, beginnen sie, sich einzuarbeiten. Ihnen ist bewusst, dass die Bedürfnisse der Gruppe und des Landes von jetzt Vorrang gegenüber denen des Einzelnen hat.
Die meisten von ihnen sind in den Zwanzigern, manche haben schon Kinder. Sie haben sich aus unterschiedlichen Gründen für die Armee entschieden: weil sie eine Herausforderung suchen, weil sie sich einen sicheren Arbeitsplatz wünschen oder weil sie das Bedürfnis haben, irgendwo dazuzugehören. Gemeinsam bilden sie eine disparate Ansammlung von Männern und Frauen. Vom ersten Tag ihres Eintritts in die Armee bis zur Abschlussparade am Ende der Ausbildung gewährt PREMIÈRES ARMES Einblick in eine besondere Welt und dokumentiert die Erfahrungen einer Gruppe von Rekruten, die bisher wenig vom Leben beim Militär wissen.
Der Filmemacher behält konsequent die Perspektive eines Beobachters bei, während er diese Welt zeigt. Er verzichtet auf jeglichen Kommentar und entscheidet sich stattdessen dafür, die Erfahrungen zu filmen, die im Verlauf einer Routine entstehen, die durchsetzt ist von symbolischen Handlungen und Ritualen. Die Kamera konzentriert sich auf den Alltag der jungen Erwachsenen, sie hält Blicke und Gesten fest, die deren Individualität besser ausdrücken, als Worte es könnten. In seltenen privaten Momenten kommunizieren sie mit der Außenwelt und denken über das nach, was sie zurückgelassen haben. Eine stete Abfolge unerwarteter Ereignisse lässt den Rekruten keine Zeit, zur Ruhe zu kommen. Auch der Zuschauer wird in den Strudel eines Ausbildungsprozesses hineingezogen, der manchmal vergessen lässt, was das eigentliche Ziel dieses Berufes ist. (National Film Board of Canada)

Produktion Johanne Bergeron. Produktionsfirma National Film Board of Canada (Montreal, Kanada). Regie, Buch Jean-François Caissy. Kamera Nicolas Canniccioni. Montage Mathieu Bouchard-Malo. Sound Design Frédéric Cloutier.

Weltvertrieb National Film Board of Canada

Filme

2005: La Saison des amours / Mating Season (72 Min.). 2009: La belle visite / Journey’s End (80 Min., Forum 2010). 2014: La marche à suivre / Guidelines (76 Min., Forum 2014). 2018: Premières armes / First Stripes.

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