Eine jugoslawische Jugend
KAD BUDEM MRTAV I BEO erzählt die Geschichte von Janko Bugarski, dessen Spitzname Džimi Barka (Jimmy, das Boot) lautet. Er ist ein junger Mann in seinen Zwanzigern ohne festen Job, ohne geregeltes Leben. Ziellos zieht er durch die serbische Provinz, die von heruntergekommenen Arbeitersiedlungen, Landwirtschaftskollektiven und Dorffesten geprägt ist – von Orten, die harte Lebensumstände bezeugen und von einer „anti-ästhetischen“ äußeren Erscheinung (sprich: Hässlichkeit) gezeichnet sind. Im Mittelpunkt steht Jimmys „Reise durchs Leben“, die der Film anhand einer losen, an ein Roadmovie erinnernden Episodenstruktur beschreibt. Jimmy hat keine Ambitionen, ihm fehlt die Orientierung, er ist, wie der Regisseur sagt, ein „Mann ohne Kompass“. Sein nomadisches und in vielerlei Hinsicht absurdes Leben endet abrupt und auf absurde Weise: In der beeindruckenden letzten Szene des Films wird Jimmy in einer Toilette erschossen. (Angeblich hat Arthur Penn diese Szene in seinem Film THE MISSOURI BREAKS, 1975, übernommen. John Schlesinger wiederum hatte Pavlovićs Film in New York gesehen und gibt ihn als Inspirationsquelle für seinen MIDNIGHT COWBOY, 1969, an.)
Jimmy ist kein typischer Repräsentant der Figuren aus den Filmen oder Büchern von Pavlović, der neben seiner Tätigkeit als Regisseur auch ein bekannter Romanschriftsteller, Essayist und Autor zahlreicher Kurzgeschichten war. (...) Als eine Figur, die weder weiß, was sie will, noch was sie nicht will, ist Jimmy für Pavlović eher ein Vertreter einer bestimmten Verfassung, die der Regisseur Mitte der 1960er Jahre (und damit noch vor den Studentenunruhen von 1968) unter der jugendlichen Bevölkerung in Jugoslawien für weit verbreitet hielt: eine Geisteshaltung, gezeichnet von intellektueller und moralischer Apathie, Resignation gegenüber den Ideologien der damaligen Zeit und völliger Ermattung im Umgang mit den großen Narrativen menschlicher Emanzipation – seien es die traditionellen aus dem Bereich der Religion oder die modernen bei Marx.
Bei aller Desorientiertheit fehlt es Jimmy nicht an Energie und Lebensfreude: Die Kraft des Lebens fließt durch seine Adern. Für den Filmwissenschaftler Nebojša Pajkić ist Jimmy nicht einfach eine Figur ohne Identität, sondern ein gesellschaftlicher Außenseiter, dessen Leben weder Vergangenheit noch Zukunft kennt, sondern aus einer Aneinanderreihung intensiver Momente besteht, die Teil der permanenten Gegenwart sind.
„Das Ergebnis zufälliger Begebenheiten“
Pavlović betont diese Dimension seines Protagonisten, indem er den/die Zuschauer*in mit einer Abfolge von Szenen konfrontiert, die im Moment der Montage ihre dramatische Exposition bzw. ihre Auflösung eingebüßt haben – ein Verfahren, das an Jean-Luc Godards elliptische Erzählweise in Filmen wie À BOUT DE SOUFFLE (1959) erinnert. So gesehen, könnte man Jimmy auch als jugoslawische Version von Michel Poiccard (gespielt von Jean-Paul Belmondo) in Godards Film sehen oder mit Antihelden wie Augie March in Saul Bellows Roman „The Adventures of Augie March“ (1953) bzw. mit Dean Moriarty in Jack Kerouacs Werk „On the Road“ (1957) vergleichen. (Kritiker wie Pajkić, Nenad Polimac und Dinko Tucaković werten KAD BUDEM MRTAV I BEO zudem als einen Film, der thematisch und in Bezug auf seine Erzählweise die Entwicklung des New Hollywood Cinema vorweggenommen hat.)
(…) Deutlich im Vordergrund der Bildsprache steht in KAD BUDEM MRTAV I BEO die unaufdringliche, antirhetorische Plansequenz, ein stilistisches Mittel, das besonders geeignet scheint, die Komplexität und Widersprüchlichkeit der vielschichtigen profilmischen Realität wiederzugeben. Mit dem offenkundigen Verzicht auf inszenatorisches Eingreifen und in Anlehnung an eine rein dokumentarische Wiedergabe von Fakten folgt der Film Pavlovićs (...) Ideal, „eine Atmosphäre zu erzeugen, die in keiner Weise arrangiert wirkt, sondern wie das Ergebnis zufälliger Begebenheiten“. Ein vielgepriesenes Beispiel für diesen Ansatz ist der lange Schwenk über die Arbeitersiedlung in der serbischen Provinz: Jimmy und ein Armeeoffizier gehen zunächst an einer Gruppe Bauern vorbei, die sich unterhalten, treffen dann auf einen Zug demonstrierender Arbeiter (die gegen die „politischen Fabriken“ protestieren), während im Hintergrund singende Soldaten vorbeiziehen, denen eine Schar spielender Kinder folgt.
Eine andere oft zitierte Szene ist die des Gesangswettbewerbs in Belgrad, bei dem die in den 1960er Jahren entstehende urbane Jugendkultur und das traditionelle kulturelle Leben der serbischen Provinz aufeinandertreffen. Die Szene ist ausschließlich im Stil des Cinéma verité gehalten und zeigt einen Auftritt der Black Pearls, einer der ersten jugoslawischen Rockbands. In der langen Eröffnungseinstellung wartet der Schlagzeuger auf seinen Einsatz. Als er voller Energie zu spielen beginnt, bewegt die Kamera sich zur Seite, schwenkt über den Veranstaltungsort und die anderen Musiker.
Pavlovićs Streben nach einer umfassenden Erzählweise, einer Raumanordnung, die ganz an der Mise en Scène orientiert ist, mag zum Teil seiner wachsenden Begeisterung für das italienische neorealistische Kino geschuldet sein, (...) aber auch seiner Bewunderung für die älteren Meister wie Jean Renoir und Carl Theodor Dreyer. Realismus im Film war für Pavlović jedoch nie Selbstzweck, sondern eine formale Herangehensweise, ein Instrument, um sein eigentliches Ziel zu erreichen: den/die Zuschauer*in mit „drastischen“ oder „krassen“ Bildern zu konfrontieren und beim Publikum eine starke Reaktion auszulösen (...).
(Pavle Levi: „The Raw Image“, in: Gal Kirn, Dubravka Sekulić, Žiga Testen (Hg.): Surfing the Black. Yugoslav Black Wave Cinema and its Transgressive Moments, Maastricht 2012)