Australische Landschaft und die Praxis des Filmemachens
In unserem Programm zeigen wir zwei neue Landschaftsfilme, jeder aus einer unterschiedlichen Phase unserer Arbeit. Keiner unserer Filme darf für sich allein genommen werden: Jeder ist deutlich auf die Filme bezogen, die ihm vorangehen, sowie auf bestimmte Zusammenhänge jener Filme. Wie Margaret Preston es ausdrückte: „Sie hat nicht den Eindruck, in ihrer Kunst vorwärtsgekommen – nur weitergezogen zu sein. Die Leiter der Kunst liegt flach, nicht vertikal.“
Während der letzten zwölf Jahre waren wir an Themen wie dem Prozess der filmischen Wahrnehmung, den Möglichkeiten der Filmleinwand sowie dem Potenzial filmischer Verfahrensweisen und der Filmgeschichte (einschließlich unseren eigenen) interessiert. Im Zusammenhang damit steht unsere weitgehende Erforschung der Zwei- und Dreifarbentechnik. Obwohl wir uns auch mit anderem als Landschaft beschäftigt haben – so in HARRY HOOTON (1970), 4.000 FRAMES (1970), SKIN OF YOUR EYE (1972), die BALDWIN-SPENCER-SERIE (1975) etc. – und das auch zweifellos wieder tun werden, haben wir in den vergangenen Jahren mit zunehmendem Interesse die Beziehung zwischen Landschaft und Filmform verfolgt und dabei gleichzeitig unser Bewusstsein vom Australien der Ureinwohner vertieft. Wir sehen dies zum Teil als eine Antwort auf die Fremdbeherrschung des australischen Lebens auf allen Ebenen, eine Fremdbestimmung, die nirgends offenkundiger wird als im Film und insbesondere in der Avantgarde.
In dem Versuch, dem Einfluss modischer Filmtrends aus New York, London und Europa zu entgehen, haben wir uns der australischen Landschaft als Thema zugewandt. Wir müssen anfangen, eine Beziehung zu der Bildwelt der Gegend aufzubauen, in der wir geboren sind, und Formen zu finden, mit denen wir auf ihre Besonderheiten reagieren können. Mit ihrer Menschenleere und dem dadurch vermiedenen Risiko einer persönlichen Identifikation auf emotionaler Basis liefert uns diese Landschaft den Gegenstand für unser formales Interesse. Uns liegt an einem fortgesetzten Dialog zwischen Inhalt und Form. Wir sehen in dieser Synthese zwischen Landschaft und Filmform auch eine Möglichkeit, unsere Auffassungen als Bürger zur Erhaltung des Landes, der Wälder, Küsten und der Rechte der Ureinwohner zu artikulieren. Wir teilen ohne Einschränkung den Glauben der Ureinwohner, dass die Landschaft der Schauplatz des spirituellen Lebens des australischen Kontinents ist.
WARRAH (15 Min., 16 mm, Farbe, Ton, 1980) ist der letzte von zehn Filmen, die während der vergangenen fünf Jahre im Verlauf unserer Experimente in der Dreifarbentechnik entstanden sind. Wir haben eine frühe Technik wiederentdeckt, als wir eine einfache Bolex-Kamera benutzten (im Gegensatz zu den komplizierten Kameras, die für die Technicolor-Entwicklung benötigt werden) und zu James Clerk Maxwells Experiment von 1861 zurückkehrten: Jede Studie wird dreimal auf Schwarzweißfilm nacheinander durch Rot-, Grün- und Blaufilter gefilmt. Farbe ergibt sich, wenn die drei Schwarzweißnegativteile übereinander auf Farbfilmmaterial mit denselben Filtern wie bei der Aufnahme kopiert werden. Die statischen, unveränderlichen Elemente in jeder der drei Studien werden in perfekten natürlichen Farben wiedergegeben, während die beweglichen Elemente (Wolken, Laub, Schatten) in ‚unnatürlichen‘ Primärfarben erscheinen.
Unsere früheren Dreifarbenfilme waren vorwiegend naturalistisch mit nur kleinen Bewegungselementen; die späteren – NOTES ON THE PASSAGE OF TIME..., COAST AT PEARL BEACH und der unmittelbare Vorgänger von WARRAH, ANGOPHORA AND SANDSTONE (1979) – haben sich auf eine stärkere Mischung von Ruhe und Bewegung hinentwickelt.
WARRAH wurde an der Küste des Sandsteinbuschlandes in der Hawkesbury-River-Gegend in New South Wales gedreht. Es ist ein Film über Felsen, Laub, Angophoras, Felsenseen, über Bewegung von Schatten, Wasser, Lichtreflexionen im Wasser und Widerspiegelungen von Bäumen und Wolken in Felsenseen. Die drei Farbschichten der Bilder kommen während des Films auf verschiedenste Weise zur Geltung.
WARRAH ist der erste unserer Dreifarbenfilme, der eine Tonspur hat, in diesem Fall eine unbearbeitete Aufnahme von Insekten und Gesänge von Kookaburras (australische Vogelart; Anm d. Red.), aufgenommen aus unterschiedlichen Entfernungen. Die schichtartige Struktur des Tons steht in Beziehung zur schichtartigen Eigenschaft des Dreifarbenbildes.
Wir stellen diesen Film auf eine Ebene mit BOUDDI, der zehn Jahre früher, nur wenige Meilen von WARRAHs Drehort entfernt, gefilmt worden ist: jeder bearbeitet auf unterschiedliche Weise das visuell komplexe Umfeld der Uferbuschregion.
Auf dieselbe Weise sollte THE SECOND JOURNEY (TO ULURU) AT ULURU (1976) gegenübergestellt werden, der auf unserer ersten Reise nach Zentralaustralien entstand. Beide Filme haben den Inselberg Uluru (Ayers Rock) zum Gegenstand, beide sind etwa gleich lang, beide wurden im Sommer gedreht, im Abstand von zwei Jahren; aber beide sind völlig verschieden voneinander. AT ULURU ist von Klarheit, Einfachheit und Lichtfülle durchdrungen, von Optimismus und Euphorie, die von diesem wunderbaren Ort zu einer Zeit ungewöhnlichen Reichtums der Natur ausgingen. THE SECOND JOURNEY (TO ULURU), der gedreht wurde, nachdem die Gegend durch Flächenbrände schwer geschädigt war, nähert sich diesem Ort mit der Bürde des Pessimismus. Seit unserem ersten Besuch hatten wir sehr viel über die Ansprüche der Ureinwohner auf Uluru hinzugelernt, ebenso über die dort geplanten weitreichenden kommerziellen Entwicklungsvorhaben, die das Wesen des Ortes grundlegend ändern werden. Das größte Problem ist, dass wir uns ohnmächtig fühlen, die hinter diesen Plänen stehenden Kräfte zu verändern, dass wir eine Situation erleben, die sich überall in Australien wiederholt. Nichts ist sicher vor der Profitgier, nicht einmal die erhabene Naturschönheit von Uluru.
AT ULURU ist im Grunde ein Film aus mittlerem Abstand. THE SECOND JOURNEY (TO ULURU) (der Untertitel des Films lautet: Die Praxis des Filmemachens) geht näher heran und rückt Teile des Uluru ins Zentrum, die wir vorher nicht erforscht hatten. Die extreme Hitze diktierte uns unseren Arbeitsplan – bei unserem vorhergehenden Besuch war das Wetter sehr viel milder gewesen –, und die Struktur des Films entwickelte sich aus unserer täglichen Filmarbeit:
Beschäftigungen am frühen Morgen
Sieben Sequenzen des frühen Morgens im Zeitraffer, alle ineinander verschachtelt, aus einiger Entfernung von einem Felsen aufgenommen.
Die Arbeit am späten Vormittag
Wir gehen näher an den Uluru heran, Richtung Lagari, bis zur Lagari-Höhle und auch in diese hinein. In anderen Sequenzen des späten Vormittags bewegen wir uns an der nordöstlichen Seite des Uluru entlang; die Kamera gleitet über die schuppige ‚Haut‘ des Felsens und tastet schattige Vertiefungen ab.
Etüde für drei Felsflächen
Ein räumliches ‚Spiel‘ für Kamera und Felsoberflächen.
Die Aktivitäten am Mittag
Als die Hitze unerträglich wurde, zogen wir uns in eine der vielen Höhlen des Uluru zurück: Einige besaßen gewaltige, furchterregende Ausmaße, andere waren zierlich wie erstarrte Wellen, wieder andere waren mit verblassenden Zeichnungen und Malereien der Ureinwohner versehen.
Die Beschäftigungen des späten Nachmittags
Wir entfernen uns von den Höhlen, bewegen uns zwischen den Bäumen am Fuße des Uluru hindurch in die offene Ebene und zu den Sandhügeln, wo wir eine Reihe von Abendsequenzen drehen. Die warmen Farben des späten Nachmittags verbinden sich mit den rostigen Brauntönen des Felsens.
Früher Abend
Der Film endet mit einer Reihe von Mondaufgängen über dem Uluru: Er regt zu einem Vergleich zwischen den fernen Felsen und Kratern des Mondes mit dem alleinstehenden Monolithen an (beide bestehen aus demselben Grundstoff).
Abgesehen von unserer jeweils unterschiedlichen Gemütsverfassung, als wir AT ULURU bzw. THE SECOND JOURNEY (TO ULURU) drehten, und abgesehen von der Verschiedenheit von Klima und Vegetation während der jeweiligen Dreharbeiten gab es noch einen weiteren Unterschied, den wir erst nach unserer Rückkehr nach Melbourne erkannten: Der ganze Film war von einem Labor schlecht entwickelt worden. AT ULURU besitzt Farbbrillanz und -klarheit, während die Farben von THE SECOND JOURNEY (TO ULURU) wegen dieses Entwicklungsfehlers breiig und matt sind. Wir waren damals sehr bedrückt darüber, aber dann ergab sich aus diesem Fehler eine fundamentale filmische Metapher.
In AT ULURU wurde Ton nur selten und dann auf naturalistische Weise, vorwiegend ungemischt eingesetzt. In THE SECOND JOURNEY (TO ULURU) besteht der Ton aus komplexen Mischungen von Vogelrufen und elektronisch bearbeiteten Insektengeräuschen, die in den Höhlen des Uluru aufgenommen wurden. Diese Höhlen sind im Sommer von Millionen von Sandfliegen, Wespen, Moskitos, Fliegen und anderen Insekten bevölkert, und ihre Geräusche klingen manchmal wie menschliches Singen und Flüstern. Während wir die Höhlen durchstreiften, änderte sich der Charakter der Geräusche. Es stellte sich heraus, dass dieser flüchtige Effekt schwer aufzunehmen war. Aber durch Isolierung und Hervorhebung einzelner Frequenzen mit einem grafischen Equalizer waren wir in der Lage, eine Folge von verschiedenen Tonmischungen herzustellen, die unserer Wahrnehmung des Geräuschs in den Höhlen ähnelte und gleichzeitig auf die ungeheure Ausdehnung der verflossenen Zeit in Uluru verwies: auf die Jahrmillionen von geologischen Veränderungen, die Wechselwirkung zwischen diesen langsamen Veränderungen des Berges und der Wüste, zwischen dem Staub, dem Rauch, der Feuchtigkeit, den Insekten, den Tieren und der Menschheit. (Arthur und Corinne Cantrill, Katalog des 30. Melbourne Festivals 1981)