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Am Anfang war nicht das Wort. Oder das Licht. Die Urerzählung der menschlichen Genesis in einer kapitalistischen Ordnung setzt ein mit dem Geld. Mit dem Moment, als der Tauschhandel der ehemaligen Jäger und Sammler eine neue Währung bekam. Eine, die man nicht essen kann, die nicht wärmt oder die Sippe vor Eindringlingen beschützt. Sie hilft nicht beim Hüttenbau oder Zerlegen von Wild, sie würzt nichts, heilt nichts und wäre, von allem losgelöst, in anderen planetarischen Systemen zu nichts zu gebrauchen. Doch weil sie nicht so schnell zerfällt, klimatischen Bedingungen und Fäulnis gegenüber gleichgültig ist, so leicht von Hand zu Hand geht, ihren faktischen Gegenwert nur behauptet und ihre Wertdramaturgie ganz den Narrativen der Macht überlässt, hat sie sich durchgesetzt. Mit nichts als Symbolik. Und mit dieser eigenen Phänomenologie schreibt sie unsere Geschichte, unsere Träume von individuellem Glück und den Verheißungen der Warenwelt fort.

Am Anfang von Olanda ist die Dunkelheit. Ein Sternenhimmel. Eine Stimme aus dem Off, die uns mit dem knarzigen Sound einer körperlos bleibenden Weisheit in den Beginn von allem führt und weiter begleiten wird. Durch eben jene Metageschichte von Sehnsucht und Plackerei, Mangel und Beharrlichkeit, unaufhörlicher Suche und einem ebenso apodiktischen wie menschlichen Trotzdem. Wir sehen eine Grotte unter der Erde, die sich als Übergang vom Pilzkörper zu seinem Hyphengeflecht erweisen wird, mit dem das Gewächs seine eigenen Versorgungswege aufbaut. Dann das Lager einer Truppe Pilzsammler*innen. Einer, der unter dem Vordach mit der Taschenlampe nach löslichem Kaffee sucht. Eine Familie, die sich unter dem Mond und um den Campingkocher versammelt. Viel zu müde, um zu reden, und zu eingespielt, um mit dem anstehenden Tagwerk zu hadern. Ein „Vaterunser“ soll helfen, die Plastikkiepen mit Blaubeeren und Dickröhrlingen zu füllen. Im Auto, das sich wie ein Glühwürmchen durch die Karpatenkulisse bewegt, erzählt ein Lied aus dem Radio vom Glück und vom Geld, von verkommenen Arbeitgebern und davon, wie hart es ist, Vater von Töchtern zu sein. Der Himmel wird weiß und hebt seine Wolkendecke vom Fuß der Berge. Wir ziehen mit den Pilzsucher*innen tief hinein in die Fichtenwälder in der Gegend von Obarsia Lotrului, beginnen mit ihnen nach Steinpilzen und Pfifferlingen Ausschau zu halten, hören die zur Seite gedrückten Halme, erschrecken über die Plötzlichkeit eines unter ihren Schritten wegknacksenden Astes. In solchen Momenten ist Olanda auch mit seinem vergrößernden Ton ganz im Jetzt, in Rhythmus und Bild einer Conditio humana und selbst auf Schatzsuche. Und egal, welcher oder welchem der saisonalen rumänischen Arbeiter*innen der Film folgen wird, es geht ihm nicht um die Individualisierung seiner Erzählung, sondern um das Systemische der existenziellen Situation. Die mit den schmerzenden Rücken, mit den auf den Schultern scheuernden Körben und den mitarbeitenden Kindern sind austauschbar. Mit ihnen zieht der Blick vorbei an den gehämmerten Klangritualen des orthodoxen Priesters im Tal, refrainartig begleitet von einer Schafherde, dem Impuls der Masse, wenn man so will, der hier nicht immer dem Hirten und seinem Hund vertraut. Wir treffen sie wieder, wenn sie auf den Sammelplätzen durchschnittlich hundert Lei (entspricht etwa zwanzig Euro) für fünf Kilo Pilze, 13 Lei pro Kilo Blaubeeren bekommen, wenn aus Pilzen und Beeren Grundnahrungsmittel, Zigaretten und Benzin werden. Bis zum späten Nachmittag streifen sie durch das Gehölz, folgen Tipps und Instinkten. Wenn nicht wieder einer vor ihnen da war, reicht es diesmal vielleicht für das, was fehlt. Bis ihnen der Zwischenhändler erklärt, dass er keine stabilen Preise zahlen kann, weil nicht er – so das ebenso globale wie volkstümliche Mantra des Spätkapitalismus –, sondern der Konsument am Ende der Nahrungskette diese bestimmt. In der Pause rauchen sie, trinken Kaffee, der sich im kalten Wasser nicht auflöst, reparieren Werkzeuge, laden Telefone an Autobatterien auf. Und manchmal zeigen sie der Kamera mit Finderstolz Handybilder von besonders prächtigen Pilzen, noch im feuchten Waldboden.

„Bald werden sie unten im Tal schlafen und von ihnen träumen. Dann wachsen sie. Sind weder Tier noch Pflanze, mehr Geheimnis als Wissenschaft. Eine Gattung der dritten Art, errichten sie ihr eigenes Königreich. Gehen Allianzen ein mit Bäumen, übermitteln Botschaften. Sind Droge, Gift, Arznei und Nahrung zugleich“, fasst die Erzählerin aus dem Off den Pilzmythos ihrer Heimat zusammen. Rumänien hat dem Fichtensteinpilz 1958 erstmals eine eigene Briefmarke gewidmet. Mehr als tausend Tonnen sollen jährlich allein in Deutschland verzehrt werden. Je nach Küchentrend und Schwermetallbelastung. Nach Hiroshima war der Matsutake-Pilz das einzige, was noch wuchs. Einer der teuersten Speisepilze, der sich zum Leben verseuchte Böden in postindustriellen Landschaften aussucht. Die Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing hat aus diesem Phänomen in „Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ eine viel beachtete Allegorie über wirtschaftliche Beziehungsgeflechte entwickelt. Der Pilz, mit seinen unterirdischen Baumsymbiosen, wird auch in Olanda bis in seine Magie hinein ambivalent.


Und wenn der Filmtitel erst im letzten Drittel Weiß auf Schwarz erscheint, ist es ein bisschen so, als habe Olanda selbst von unten nach oben geschaut. Von seinen Myzelien in der Erde zum blauen Leuchten eines beginnenden Tages. Von den verborgenen Schichten des kapitalistischen Narrativs hoch zu einer Naturmystik, der das Erhabene nicht mit der Analyse existenziellen Mangels auszutreiben ist. Auch davon erzählt Olanda, wenn er über Berggipfel schaut oder dem weichen Lichtspiel im Wald seine Zeit lässt. Wenn sich das Naturschöne über die schwerer werdenden Schritte oder die Morgengebete der Saisonarbeitenden legt. Das ist im Zweifel universeller und näher an den Überlebensinstinkten der Schatzsucher*innen als die Systeme der Religion und des Kapitals. Wie der Film von Bernd Schoch all das in ein Wechselspiel der Deutungen und Symbole bringt, wie er das Atmosphärische mit dem Geopolitischen, das Feinstoffliche mit dem Existenziellen verzahnt, ist klug, eigensinnig und filmkünstlerisch beeindruckend.

Am Ende von Olanda bleibt der Pilz. Und wächst. Als Pars pro Toto für Verwertungssysteme und Warenkreisläufe. Als Symbol für die Installierung von Notgemeinschaften, Resilienz und Anpassung. Und, dank Olandas komplexer erzählerischer Schichtung, die viel mehr als bloße Kapitalismuskritik im Sinn hat, und einer multiplen Bildästhetik, für eine unerschütterliche und kinematografische Magie.

Birgit Glombitza ist Filmkritikerin und -kuratorin und lebt in Hamburg.

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