Director’s statement
Eigentlich wollte ich FALSE BELIEF gar nicht machen. Als weiße Westeuropäerin sah ich mich nicht in der Lage und Position, die spezifischen auf Rassismus basierenden Konflikte innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft zu behandeln und zu thematisieren. Wie sollte ich mich fundiert zu kulturellen Subtexten äußern, mit denen ich nicht aufgewachsen bin?
Als ich nach Harlem zog, um mit D. zusammenzuleben, bemerkte und verstand ich nicht alles, was um uns herum passierte. Es war die Zeit des Beginns der Finanzkrise und Barack Obama hatte gerade die Präsidentschaftswahl gewonnen. Obwohl ich die verstärkte Polizeipräsenz in unserem Block bemerkte, war mit nicht klar, wie schwerwiegend die Konflikte zwischen den Akteur*innen der wirtschaftlichen Erschließung und den alteingesessenen Bewohner*innen von Harlem damals schon waren. Auch war mir nicht bewusst, in welchem Ausmaß Geschichte und Strukturen der Sklaverei die US-amerikanische Gesellschaft immer noch prägen.
Ich war mit einem Künstler*innen-Stipendium nach New York gekommen und schenkte den Streitigkeiten in unserem Block, in die D. hineingezogen wurde, keine Beachtung. Ich dachte, sie seien unbedeutend, selbst, nachdem D. bereits verhaftet worden war. Der Grund für seine Festnahme schien so banal – ich hatte keine Ahnung, in welcher Gefahr er sich tatsächlich befand. Wir arbeiteten zusammen, wohnten zusammen und reisten zusammen. Er wurde erneut verhaftet – und dann wieder. Und ich musste mich mit Begriffen wie „Anklageerhebung“ und „Einstweilige Verfügung“ und „Geschworenengericht“ auseinandersetzen.
Je länger sich der Fall hinzog, desto mehr verwirrte mich die Sache. D. hatte nie eine offizielle Anzeige mit den Anklagepunkten erhalten, nicht einmal zu Beginn des Prozesses. Der Strafverfolger präsentierte „fotografisches Beweismaterial“, doch die Bilder zeigten keinerlei Verbrechen oder verbrecherische Handlungen. Die Anschuldigungen waren absurd – beispielsweise sollte D. die Blumen einer Person zertrampelt oder beim Händeschütteln eine Hand zu lange gehalten haben. Keine Datums- und Zeitangaben wurden gemacht, keine Zeug*innen oder Tatorte genannt.
Doch der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan hielt den Fall drei Jahre lang aufrecht, bis er endlich zur Verhandlung gebracht wurde. Warum gaben sie sich bei der Verfolgung eines so kleinen Falles solche Mühe, zumal in der Sache keine wirklichen Beweise vorlagen? Wie dachten sie, dass sie einen solchen Fall gewinnen könnten? Und das größte Rätsel: Was brachte sie dazu, so viele Ressourcen für einen solchen Fall aufzuwenden?
Ich wollte ganz sicher keinen Film darüber machen – ich wollte, dass es endet. Doch als sich die Situation weiter entwickelte, wurde mir klar: der einzige Weg aus dieser kafkaesken Falle, in der sich D befand, war zu verstehen, was mit ihm – und mit uns – passierte. Mithilfe unserer eigenen Worte und Erinnerungen, mit Fotos und bewegten Bildern, Scherenschnitten und Collagen, Protokollen der Verhandlungen und Spekulationen habe ich versucht, den Fall zu entschlüsseln und zu begreifen.
Zumindest für mich ergibt das alles immer noch keinen Sinn. Doch darum geht es auch nicht. Am Ende handelt FALSE BELIEF vom Glauben eines Menschen an sein Recht auf freie Meinungsäußerung, davon, sein Haar wachsen zu lassen, dort zu leben wo er will und die Menschen zu beschützen, die ihm wichtig sind – und von dem Preis, den er für seine Überzeugungen zahlen musste. Das Gegenteil von Gerechtigkeit ist nicht bloße Ungerechtigkeit, sondern Angst, Misstrauen, Heuchelei und ein gefährliches Moralverständnis der Gesellschaft.
FALSE BELIEF basiert auf einer wahren Geschichte – unserer eigenen Geschichte. Manche werden sagen, dass es eine einseitig erzählte Geschichte ist, denn die andere Seite kommt nur über ihre Aussagen vor Gericht oder gegenüber der Polizei zu Wort. Sie haben jedoch gelogen, wir nicht.
Lene Berg
New York, 27. Dezember 2018