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84 Min. Deutsch, Schweizerdeutsch, Französisch.

Afrika dient insbesondere den Europäern seit jeher als eine gigantische Projektionsfläche. Dieser spezifische Blick auf den Kontinent ist weniger eine Folge des (Post-)Kolonialismus als seine Voraussetzung. Es ist das Anliegen von African Mirror, diese komplexen Zusammenhänge beispielhaft darzustellen. In der Schweiz, einem Land ohne eigene Kolonien, prägte René Gardi (1909–2000) als Reiseschriftsteller, Fotograf, Filmemacher und Vortragsreisender das Afrikabild einer ganzen Generation. Aus dem umfangreichen Fundus von Gardis Filmaufnahmen, hauptsächlich aus Kamerun, von Tonbandaufzeichnungen und Texten aus seinen bislang unveröffentlichten Tagebüchern, konstruiert Mischa Hedinger ausschließlich mit Archivmaterial einen Filmessay, der weniger das Porträt eines Abenteurers sein will als vielmehr kinematografische Feldforschung. Es geht um transkontinentale Mediengeschichte, ihre Produktionsbedingungen – und wie diese in der Schweiz im vergangenen Jahrhundert maßgeblich von einer schillernden Persönlichkeit beeinflusst wurden. African Mirror funktioniert – nicht nur für Schweizer – tatsächlich wie ein Spiegel, der sich auch zur Reflexion heutiger Bilder von Afrika anbietet. (Dorothee Wenner)

Mischa Hedinger wurde 1984 in Jegenstorf (Schweiz) geboren. Er studierte Video an der Hochschule Luzern sowie Design, Kunst und Film an der École cantonale d'art de Lausanne (ECAL). 2013 realisierte er seinen ersten Dokumentarfilm, Assessment. Hedinger lebt und arbeitet als Filmemacher und Editor in Zürich.

Die Geschichte unseres Afrikabildes

Durch längere Aufenthalte in Westafrika wurde ich mir meiner persönlichen Verstrickung in Vorurteile und klischierte Afrikabilder bewusst. Ich verbrachte unter anderem sieben Monate in Burkina Faso, wo ich für eine NGO Imagefilme realisierte. Die Rolle als weißer Filmemacher in einem Land, mit dessen Geschichte und Kultur ich nur bedingt vertraut war, löste in mir oft Unbehagen aus. Ich wurde sensibilisiert für Afrikabilder und deren mediale Vermittlung.
Ich erinnerte mich an die Afrikabücher von René Gardi in meinem Elternhaus. Der Schweizer René Gardi (1909 – 2000) erklärte uns über Jahrzehnte hinweg den afrikanischen Kontinent und seine Bewohner. In unzähligen Büchern, Fernseh- und Radiosendungen und Filmen schwärmte er von den schönen nackten Wilden und der vormodernen Zeit, in der sie angeblich lebten. Gardis Erzählung stieß weit über den deutschsprachigen Raum hinaus auf großes Interesse. Seine Bücher wurden in Dutzende Sprachen übersetzt, seine Filme liefen im japanischen und im britischen Fernsehen. Für seinen Dokumentarfilm MANDARA – ZAUBER DER SCHWARZEN WILDNIS, der 1960 im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin gezeigt wurde, erhielt Gardi eine lobende Erwähnung.
Dann erfuhr ich von seinem noch kaum bearbeiteten Nachlass, einem Archiv mit Tagebüchern, Briefen, Zeitungsartikeln, Filmrollen, Tonbändern und mehr als 30.000 Fotografien, der größte Teil davon unveröffentlicht. Wir konnten den gesamten Nachlass erwerben und dem Staatsarchiv Bern übergeben. Somit hatte ich unbeschränkten Zugang zu dem Archiv und begann zu recherchieren.  
Gardis Afrika war subjektiv und konstruiert. Die Szenen in seinen Filmen sind großenteils sorgfältig inszeniert, sodass sie keine Spuren von ‚Modernität‘ zeigen. Das Leben in den Großstädten wurde bewusst ausgeblendet. Diese Sicht auf Afrika erzählt viel über Europa, wo man sich nach einfachen, bäuerlichen Zeiten fern jeglicher Industrialisierung zurücksehnte. Andererseits wollte man aus den konservativen Gesellschaften ausbrechen und eine andere Form von Freiheit finden. Die Freiheit des Weißen beruhte auf der Unfreiheit des Schwarzen. Sobald die afrikanischen Staaten unabhängig wurden, die Bewohner also ihre Freiheit erlangten, fühlten sich die Weißen in Afrika nicht mehr frei.
Es ist bemerkenswert, dass René Gardi selbst die Widersprüche in seinem Werk nie thematisiert hat. Ich frage mich, ob sie ihm bewusst waren. Aus Gardis Sicht war Afrika das Land der Freiheit, Afrikaner waren wahre Demokraten, denen man jedoch selbstverständlich die Gehöfte niederbrennen musste, wenn sie die koloniale Steuer nicht bezahlten. Sich selbst verstand Gardi dabei nicht als Teil des Problems. Er sah sich als Beobachter, der die Wahrheit möglichst ungekünstelt festhielt.
René Gardi ließ die Europäer von Abenteuern und Freiheiten träumen, in einer Zeit, in der den meisten Menschen solche Reisen unmöglich waren. Viele Schweizerinnen und Schweizer haben Afrika durch Gardi kennengelernt. Es ist, als kreierte er mit seinem Werk Kolonien für die Schweiz. Das Verhältnis der Schweiz zum Kolonialismus wird heute oft als ‚Kolonialismus ohne Kolonien‘ beschrieben. Die Schweiz besaß selbst nie Kolonien, profitierte aber finanziell vom Handel mit den Kolonialmächten. Auch das Bildermachen und -verkaufen, wie Gardi es praktizierte, war ein wichtiger Bestandteil dieser anderen Art von Kolonialismus. Bis heute gab es keine kritische Auseinandersetzung mit Gardis Werk, immer wieder erlag man seinen Schwärmereien.
Als ich während meiner Recherchen auf einen Gerichtsfall im Zusammenhang mit René Gardi stieß, war ich sehr überrascht. Er wurde 1945 wegen „Unzucht mit Kindern“ verurteilt. Diese Missbrauchsfälle sind noch immer nicht aufgearbeitet, man schwieg sich darüber aus. Es lassen sich unschwer Verbindungen zwischen Gardis sexueller Neigung und seiner Afrikaobsession erkennen. Die Suche nach einer ‚unschuldigen Reinheit‘ beispielsweise scheint ein Leitmotiv für ihn zu sein.
Mein Film AFRICAN MIRROR besteht fast vollständig aus Bild-, Ton- und Textdokumenten aus dem Archiv von René Gardi. In der Montage des Materials versuche ich, die Widersprüche und die Konflikte dieses Archivs herauszuarbeiten. Bild und Ton werden in ein neues Verhältnis gesetzt, die Bilder beginnen zu denken.
AFRICAN MIRROR erzählt die Geschichte unseres Afrikabildes. Das Afrikabild des Westens ist bedingt durch die Selbstwahrnehmung. Man sieht sich im Anderen. Jede Gesellschaft hat das Bedürfnis nach Bildern des Anderen, um dadurch ihre eigene Identität zu bestimmen. Ich denke, dass Gardis Werk nicht nur von Afrika und den Afrikaner*innen handelt, sondern von uns und unserer Geschichte erzählt. Oder, um es mit den Worten des kamerunischen Philosophen Achille Mbembe zu sagen: „Das, was wir ‚Afrika‘ nennen, ist eine Ansammlung von Wünschen, Sehnsüchten und naiven Fantasien. Diese werden gefördert, weiterverbreitet und bewirtschaftet.“ (Mischa Hedinger)

Wie René Gardi zum Reiseschriftsteller und Filmemacher wurde

Das Frühwerk Gardis war stark von der Pfadfinderbewegung geprägt. Im Alter von siebzehn Jahren trat René Gardi den Pfadfindern der Abteilung Berna bei, die er später sechs Jahre lang leitete. Seine ersten Texte schrieb er für deren Unterhaltungsabende. Gardis ‚Pfadi‘-Aktivitäten wurden zur Grundlage seines ersten Buchs „Mit Rucksack, Zelt und Kochtopf“, das er 1936 publizierte und das in fünf Auflagen erschien. Dieses Ratgeberbüchlein erscheint wie ein Programm für sein späteres Leben: Lagerleben, Organisation, Reisen. Aus dem Umfeld der Pfadfinderbewegung entstanden auch seine erfolgreichen Jugendromane „Schwarzwasser“ (1943) und „Gericht im Lager“ (1944).
René Gardis erste große Reisen führten ihn in den hohen Norden: 1936 bereiste er Finnland, weitere Skandinavienreisen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg folgten. Schon damals auf der Suche nach dem einfachen, ursprünglichen Leben, war er unter anderem fasziniert vom Volk der Samen (damals Lappen genannt).
1943 kam es zu einem Bruch in Gardis Biografie: Als Sekundarlehrer in Brügg bei Biel angestellt, verübte er einen Suizidversuch und zeigte sich anschließend selbst an. 1944 wurde René Gardi vom Obergericht Bern wegen „Unzucht mit Kindern“ zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt. Da es ihm verboten wurde, weiter als Lehrer zu arbeiten, machte Gardi seine Passion zu seinem Beruf und arbeitete fortan als selbstständiger Reiseschriftsteller, Fotograf und Filmemacher.
Nach seiner Verurteilung reiste Gardi erneut nach Skandinavien. Durch einen Zufall kam er 1948 nach Afrika: Ein enger Freund überredete ihn zu einer Reise nach Algerien. Das Reisebüro, über das die Buchung erfolgt war, ging jedoch während der Reise in Konkurs. Gardi und sein Freund entschieden sich, alleine weiterzureisen und erkannten, wie erstaunlich einfach dies möglich war. Anschließend folgten Afrikareisen in einem Rhythmus von jeweils etwa 18 Monaten. Seine letzte Reise machte Gardi 1992 im Alter von 82 Jahren.
René Gardi war vierzig Jahre lang unterwegs. Er lebte vom Verkauf seiner Artikel, Bücher und Bilder. Er arbeitete als Unternehmer in eigener Sache, war weder Medienkorrespondent noch in Hilfsprojekten tätig. Neben der Sahara hatte es ihm der Norden Kameruns besonders angetan. Während einer Expedition zum Tschadsee hielt er sich zum ersten Mal für kurze Zeit in den Mandarabergen auf. Fasziniert von den nackten Schmieden an den Hochöfen, plante er eine weitere Expedition mit dem Ethnologen Paul Hinderling, der für das heutige Museum der Kulturen Basel arbeitete. Allein von dieser Reise brachte Gardi mehr als 2.000 Fotografien, sieben Filmrollen, über 400 Minuten Tonaufnahmen und ein 102 Seiten umfassendes Tagebuch in Maschinenschrift mit nach Hause. Seinen erfolgreichen abendfüllenden Dokumentarfilm MANDARA – ZAUBER DER SCHWARZEN WILDNIS drehte er 1959 mit einem Team während seiner vierten Kamerunreise. Dank seiner Kompetenz in der medialen Vermittlung und seinem Erzähltalent wurde Gardi zu einem gefragten Afrikaexperten. Zusätzlich profitierte seine Karriere vom Aufkommen der Massenmedien. Seine Fernsehsendung „Gardi erzählt“ war der Präsentationsform eines Diavortrages ähnlich: René Gardi saß an einem Tisch, erzählte von Erlebnissen auf seinen Reisen und hielt von Zeit zu Zeit mitgebrachte Gegenstände in die Kamera.
Ab dem Ende der 1970er-Jahre ließ das mediale Interesse an seiner Person nach. Zwar setzte er seine Reise- und Vortragstätigkeit fort, veröffentlichte aber fast nichts mehr. Der Afrikadiskurs in der Schweiz begann sich mit dem Aufkommen von neuen Stimmen wie der Organisation „Erklärung von Bern“ [seit 2016 umbenannt in „Public Eye“] zu ändern, die sich kritisch mit dem Umgang der „Ersten“ mit der sogenannten Dritten Welt auseinandersetzten. Wie aktuell aber Gardis Afrikabild blieb, zeigt der Umstand, dass seine Filme von schweizerischen Schulen auch nach seinem Tod weiter verbreitet und gezeigt wurden.
Für sein Schaffen erhielt René Gardi verschiedene Auszeichnungen, darunter 1963 den Jugendbuchpreis des Schweizerischen Lehrervereins, 1967 den Ehrendoktor im Fach Ethnologie der Universität Bern sowie 1969 den Literaturpreis der Stadt Bern für sein Buch „Heiteres aus Afrika“. Viele seiner Publikationen erschienen in mehreren Auflagen und wurden in diverse Sprachen übersetzt. Sein Kinofilm MANDARA – ZAUBER DER SCHWARZEN WILDNIS wurde nach seiner Weltpremiere im Rahmen der Berlinale 1960 im japanischen und britischen Fernsehen ausgestrahlt. Wissenschaftler*innen sind sich einig über die Bedeutung René Gardis. So formuliert Christraud Geary, Kuratorin für Kunst aus Afrika und Ozeanien am Museum of Fine Arts in Boston: „Kein Schriftsteller und Fotograf, der sich mit Afrika befasste, übte von den fünfziger Jahren bis in die siebziger Jahre hinein einen so prägenden Einfluss im deutschsprachigen Raum aus wie er.“ (ton und bild GmbH)

Produktion Simon Baumann, Urs Augstburger. Produktionsfirmen ton und bild GmbH (Biel, Schweiz), Schweizer Radio und Fernsehen (Zürich, Schweiz). Regie, Buch Mischa Hedinger. Montage Mischa Hedinger, Philipp Diettrich. Dramaturgie Philipp Diettrich. Musik Machinefabriek (Rutger Zuydervelt). Sound Design Fabian Gutscher. Mit Markus Amrein (Sprecher René Gardi), Rachel Braunschweig (Sprecherin).

Weltvertrieb ton und bild GmbH
Uraufführung 08. Februar 2019, Forum

Filme

2013: Assessment (49 Min.). 2019: African Mirror.

Gefördert durch:

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