Liebe kennt nur eine Sprache
Meistens ist die Liebe ein unendlicher Kampf zwischen unterschiedlichen Sprachen – dabei kann sie nur eine akzeptieren. Wenn wir in diesen Kampf verstrickt sind, bekommen wir oftmals keinen Ton heraus, uns fehlen die Worte. Manchmal entspannen wir uns und erhaschen dann einen flüchtigen Blick auf eine Fata Morgana von schmelzenden Gletschern und von Blumen, die in der Wärme des Frühlings erblühen. (Zhang Lu)
Gespräch mit Zhang Lu: „Nur die Geister können uns das sagen!“
Ansgar Vogt: In den Dialogen von FUKUOKA taucht einige Male das Wort „Geist“ auf. Wollen Sie mit Ihrem Film eine Geistergeschichte erzählen – und wenn ja, warum?
Zhang Lu: Das Wort, das im Film verwendet wird, ist „gui“ (Geist), aber ins Englische übersetzt wird daraus ein „Gespenstergeist“. Tatsächlich hat der Begriff „Geist“ im Kontext der ostasiatischen Literatur die Bedeutung von etwas Geheimnisvollem oder sogar Übernatürlichem. Das Wort hat in der Umgangssprache verschiedene Bedeutungen. Scherzhaft würde ich auf die Frage, ob FUKUOKA eine Geistergeschichte ist, antworten: Nur die Geister können uns das sagen! Ich möchte mit dem Film Momente des Alltagslebens hervorheben; das Wort „Geist“ ist ein gängiges Wort in der ostasiatischen Sprache, es gehört also zu unserem Alltag, zu unserem Menschsein. Es gibt im Chinesischen die Redewendung „weder Mensch noch Geist“. Sie ist natürlich abfällig gemeint, aber mir gefällt dieser Ausdruck schon seit meiner Kindheit. FUKUOKA lässt etwas von der Verwirrung wieder aufleben, in die mich bestimmte Worte versetzt haben, als ich noch klein war.
Die beiden Buchhandlungen spielen eine wichtige Rolle. Was haben sie für eine Bedeutung?
In einer solchen Umgebung wird die Erinnerung stimuliert. Die Jugend der beiden männlichen Protagonisten liegt in den 1980er-Jahren. Wenn sie ihren Gefühlen erlauben, in diesen Zeitraum zu fließen, während die Zeit vergeht, dann ist das, als besäßen sie die gleiche Textur wie eine vergilbte Seite in einem Buch.
Zu Beginn der Handlung spielt der chinesische Roman „Jin Ping Mei“ (Die Pflaumenblüte in der goldenen Vase) aus dem 16. Jahrhundert eine Rolle. Was hat es damit auf sich? Haben Sie Teile daraus adaptiert?
„Jin Ping Mei“ ist ein verbotenes Stück Literatur, an dem ich mich in meiner Jugend heimlich erfreut habe. Unabhängig davon, dass es für seine expliziten und pornografischen Beschreibungen berüchtigt ist, ist es noch immer ein großes Werk, so etwas wie ein Lexikon der Ming-Dynastie. Da meine Protagonistin eine seltsame Figur ist, die die einzigartige Fähigkeit besitzt, mit der Vergangenheit zu kommunizieren, mag sie diesen Roman vielleicht. In der alten Buchhandlung in Seoul, die im Film vorkommt, war zufällig eine vollständige „Jin Ping Mei“-Ausgabe vorhanden, natürlich in koreanischer Sprache. FUKUOKA ist keine Adaption dieses Buchs, aber das heißt nicht, dass ich keinerlei Bezüge zu diesem bedeutenden Roman herstellen möchte. Tatsächlich bin ich ziemlich schüchtern und nicht sehr geschickt im Umgang mit erotischen Dingen.
Einmal zitiert eine Figur das Gedicht „Palast der Liebe“ des Lyrikers Yun Dong-ju. An anderer Stelle erwähnt ihre Hauptdarstellerin So-dam ein Buch von Haruki Murakami. Nach welchen Kriterien haben Sie diese Literaturbeispiele ausgewählt?
Yun Dong-ju ist einer der größten koreanischen Dichter. Seine Gedichte sind gleichzeitig sehr gefühlvoll und derb, und so gut wie nie geht es darin um Politik. Leider starb der Dichter während des Zweiten Weltkriegs, als Korea unter japanischer Besatzung stand, in einem Gefängnis, das sich ausgerechnet in der schönen Stadt Fukuoka befand.
Bei dem erwähnten Buch handelt es sich um „Die Ermordung des Commendatore“ von Haruki Murakami. Eine chinesische Schauspielerin, eine Bekannte von mir, kam mich während der Dreharbeiten zu FUKUOKA am Set besuchen, und ich habe mir bei der Gelegenheit eine Szene für sie ausgedacht. Ich erkundigte mich, was der damals meistverkaufte japanische Roman in China war, und erfuhr, dass dies „Die Ermordung des Commendatore“ war. Daraufhin bat ich die Schauspielerin, dieses Buch mit an den Drehort nach Fukuoka zu bringen, und so entstand diese Szene.
Ist FUKUOKA ein Film über Geister oder über Sprache? Oder geht es vielleicht noch um etwas ganz anderes?
Ich werde diese Frage etwas doppelbödig beantworten: FUKUOKA ist ein Film über Menschliches. Um einander zu verstehen, benötigen Menschen die Sprache; manchmal aber hat die Sprache ihre eigenen Mauern und Barrieren. Ein Satz, der versehentlich entgleitet, kann Zwietracht auslösen, auf ästhetischer, politischer oder auch emotionaler Ebene. Aber wir Menschen haben nun einmal keine besseren Mittel, um uns zu verständigen. Möglicherweise können Geister und Gespenster ein wenig Unterstützung beim Umgang mit diesen Schwierigkeiten leisten. Aber egal, ob der Film von Geistern oder von Sprache handelt – letztlich geht es um Menschen.
Die Handlung konzentriert sich auf drei sehr lebendig gezeichnete Figuren, sie ist gleichermaßen ernst und unbeschwert. Gab es vor Beginn der Dreharbeiten Absprachen mit dem Kameramann über die Tonalität der visuellen Darstellung?
Ich habe die Angewohnheit, gewissermaßen mit leeren Händen am Drehort zu erscheinen. Dementsprechend weiß der Kameramann nicht, wie das nächste Bild aussehen soll. Wenn ich am Set ankomme, verschwinden alle anderen für zehn Minuten, und ich denke allein über die Gestaltung der anstehenden Szenen nach. Wenn der Kameramann dann hinzukommt, erkläre ich ihm, wie ich mir die Umsetzung der Aufnahmen vorstelle. Die Kommunikation läuft zügig ab, anschließend geht es dann gleich mit den Beleuchtern weiter. Wir hatten zehn Tage Zeit für die Dreharbeiten, sodass keine Zeit für Experimente war. Voraussetzung für ein solches Arbeiten ist natürlich ein extrem fähiger Kameramann. Bei der Kommunikation zwischen ihm und mir ging es vor allem um den Rhythmus und um die physische Inszenierung der Darsteller im Film.
Der Film ist von einer Atmosphäre der Intimität geprägt. Wie haben Sie mit den Schauspielern zusammengearbeitet, um diese Atmosphäre herzustellen?
Am Set spreche ich in der Regel nicht viel mit den Schauspielern. Ich pflege aber jenseits der Dreharbeiten einen freundschaftlichen Umgang mit ihnen und erfahre dadurch viel über ihr künstlerisches Potenzial. Mit Jea-moon Yoon und So-dam Park habe ich bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet, deshalb kennen wir uns gut. Mit Hae-hyo Kwon habe ich bei FUKUOKA erstmalig gearbeitet. Er ist ein sehr leidenschaftlicher, offener Mensch. Ich hatte bereits vor den Dreharbeiten ein Bild von ihm im Kopf. Als wir am Drehort zusammenkamen, stellte sich heraus, dass es perfekt mit ihm übereinstimmte. Das ersparte uns Zeit, uns miteinander vertraut zu machen. Wir hatten beide das Gefühl, als würden wir uns schon lange kennen.
Während der Handlung verschwindet So-dam mehrfach und taucht dann wieder auf. Welches Muster steckt dahinter?
So-dam hat etwas von einer Geistergestalt, die Inszenierung soll das aber nur andeuten. Im wirklichen Leben ist es ja auch so: Manche Menschen tauchen aus dem Nichts auf und verschwinden dann plötzlich spurlos. Mit den üblichen Kriterien der Vernunft lässt sich das nicht immer erklären. So-dam ist so ein Charakter, deshalb gibt es im Film keine wirklichen Erklärungen für ihr Verschwinden und Wiederauftauchen. Diese Bewegungen werden vor allem vom Rhythmus des Films gesteuert. Welche Veränderungen löst sie als Geistergestalt bei den anderen Figuren aus, die sich in rationalen Denkmustern bewegen, und was geschieht dann umgekehrt bei ihr?
Warum sind die Namen der Figuren und der Schauspieler identisch?
Das ist ein Ausdruck meiner Faulheit: Auf diese Weise musste ich mir nicht so viele Figurennamen merken. Dieses Vorgehen hat aber noch einen weiteren Vorteil: Wenn man die Namen der Schauspieler verwendet, hilft ihnen das dabei, sich in die Figuren hineinzuversetzen, weil deren Name bereits ein Teil von ihnen ist. Statt viel über ihre Rolle nachzudenken, können sie sie auf diese Weise eher intuitiv erfassen.
Mehrere Szenen spielen auf den Straßen von Fukuoka. Nach welchen Kriterien haben Sie diese Straßenschauplätze ausgesucht?
Unser Hauptaugenmerk lag auf Schauplätzen, die zu Fuß von der Unterkunft der Crew erreichbar waren. Da alle auf verschiedene Pensionen im Stadtzentrum verteilt waren, haben wir hauptsächlich Straßen in der Innenstadt ausgewählt, sodass wir jeden jederzeit an den Drehort bekommen konnten – besonders weil ein Großteil der Szenen aus Improvisation bestand. Außerdem haben wir nach Drehorten gesucht, an denen wir den Funkturm ins Bild setzen konnten.
(Interview: Ansgar Vogt, Januar 2019)