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106 Min. Japanisch.

Sachiko arbeitet im Buchladen einer Hafenstadt in Hokkaido und hat ein Auge auf ihren ständig zu spät kommenden Kollegen Boku geworfen. Nach einer Nacht im Etagenbett seiner Miniwohnung lernt sie auch dessen arbeitslosen Mitbewohner Shizuo kennen. „Wenn wir älter werden, verlieren wir dann unsere Jugend?“, will sie wissen. Die Sehnsucht, auf ewig in den Tag hineinleben zu können, versucht Kimi no tori wa utaeru mit seiner unbekümmerten Ménage-à-trois in schwülen Sommernächten ins Unendliche zu dehnen. Das Driften – mal als ausgelassenes, mal als melancholisches Lebensgefühl – bestimmt den Rhythmus: Clubbing, Karaoke, Billard. Am nächsten Tag wachen die drei dann nebeneinander auf. Doch was ist das für ein Leben? Wie lange lassen sich Gefühle in der Schwebe halten? Brauchen sie mehr Verbindlichkeit, um sich weiterzuentwickeln? Diese Fragen liegen über dem tanzenden Trio, und jeder muss sie für sich selbst beantworten. Der Film schaut jungen Menschen dabei zu, wie sie allmählich beginnen, sich selbst zu betrachten. Die Kamera fängt ihre Gesichter und Gefühlsregungen in Nahaufnahmen ein, tritt dann einen großen Schritt zurück – und immer mehr Perspektiven tun sich auf am Horizont. (Anke Leweke)

Sho Miyake wurde 1984 in Sapporo (Japan) geboren. 2007 absolvierte er einen Einführungskurs zum Drehen von Spielfilmen an der Eigabi Film School of Tokyo, 2009 schloss er ein Studium der Sozialwissenschaft an der Hitotsubashi University in Tokio ab. 2018 entstand seine erste Videoinstallation World Tour am Yamaguchi Center for Arts and Media.

Gespräch mit Sho Miyake: „Wenn wir mehrere Leben hätten, würden wir uns stets aufs Neue wiederholen“

Ansgar Vogt: Was hat Sie dazu motiviert, mit KIMI NO TORI WA UTAERU Yasushi Satos 1982 veröffentlichten gleichnamigen Roman zu adaptieren, in dem es um die Komplexität der Jugend geht?

Sho Miyake: Ich fand die Darstellung der drei Protagonist*innen und ihre Beziehung zueinander faszinierend. Es gibt etwas Zeitloses und Universelles an ihnen, das ich spürte. Mich interessierten diese Figuren, weil sie an einem Punkt in ihrem Leben stehen, an dem sie zum ersten Mal erkennen, dass sie nur einmal leben werden. Ich glaube, wenn wir mehrere Leben hätten, würden wir uns stets aufs Neue wiederholen, und dann gäbe es weder Kunst noch Kino.

Die Romanhandlung ist in einem Tokioter Vorort angesiedelt. Sie haben sie nach Hakodate auf Hokkaido verlegt. Gibt es noch mehr Elemente in Ihrem Film, die Sie gegenüber dem Roman verändert haben?

Das Projekt wurde von einem Kino namens Cinema Iris in Hakodate entwickelt. Auch der Romanautor kommt aus Hakodate. Die Arbeit an dem Projekt war schon ziemlich fortgeschritten, als ich das Angebot erhielt, die Regie zu übernehmen. Was die Handlung betrifft, habe ich nur die letzte Szene geändert: Während einer der Protagonisten einer anderen Figur im Film seine Liebe gesteht, findet im Roman ein Mord statt. In einem Film kann ein Liebesgeständnis allerdings schmerzhafter, dramatischer und realer sein als ein Mord. Ich habe auch kulturelle Details angepasst, weil der Film in einer anderen Zeit spielt als der Roman. Zum Beispiel habe ich die Musik verändert, die die Protagonisten hören, und die Orte, an denen sie sich aufhalten, aber auch ihre Freizeitaktivitäten an die heutigen Verhältnisse angepasst.

Sie haben bereits in früheren Projekten mit einigen Ihrer Darsteller*innen zusammengearbeitet.

Mit Shizuka Ishibashi (Sachiko) habe ich in einem Jahr zwei Kurzfilme und ein historisches Drama gedreht. Ich finde es aufregend und interessant, Filme mit ihr zu drehen, denn sie fügt sich als Darstellerin nicht perfekt in den vorgesehenen Rahmen des Films ein. Alles, was sie tut, provoziert Veränderungen im Film, es entsteht dadurch noch einmal etwas ganz Neues. Shota Sometani (Shizuo) kenne ich seit unserer Teenagerzeit. Wir hingen damals ganze Nächte zusammen rum, einfach nur um Spaß zu haben. Um mich auf dieses Projekt vorzubereiten, habe ich vor den Dreharbeiten so viel Zeit wie möglich mit den Schauspielern verbracht. Ich wollte, dass wir genau solche Freunde wurden wie die Figuren im Film.

Hatten Sie ein fertiges Drehbuch, oder haben Sie auch mit Improvisation gearbeitet?

Überwiegend haben wir uns an das Drehbuch gehalten, aber in einigen Szenen gab es Raum für Improvisation – zum Beispiel die Regenschirm-Szene vor dem Lebensmittelladen oder die Szene, in der Boku und Shizuo das Blumenarrangement vor einem Gebäude stehlen, aber auch die Szene, in der Shizuo und Sachiko Mundharmonika spielen. Zunächst fanden Proben mit den Schauspielern statt, in deren Verlauf ich bei Bedarf Dialogsätze hinzufügte. Anschließend schaute ich mir alles ein paar Mal an und drehte diese Szenen dann. Manchmal bat ich die Schauspieler auch, bei jeder Aufnahme etwas anders zu spielen.

Zahlreiche Szenen sind vor allem von ihrer Atmosphäre und Tonalität geprägt, weniger vom Plot oder den Dialogen. Was war hier Ihr Konzept, um den richtigen Ton zu treffen?

An jedem der Schauplätze in Hakodate habe ich mich auf die jeweilige Atmosphäre eingelassen. Ich habe Zeit mit den Schauspielern verbracht, mit ihnen getrunken – genauso wie die Figuren im Film es tun. Hinter der Kamera ermutigte ich meine Crew, die Szenen zu ‚leben‘. So tanzten beispielsweise in der Clubszene alle Crewmitglieder hinter der Kamera, vom Kameramann bis hin zu den Lichttechnikern und Assistenten. Das war allerdings ein bisschen hart für die Jungs aus der Tonabteilung, weil wir in dieser Szene Synchronton verwendet haben.

Wir sehen eine ganze Reihe von Szenen auf den Straßen von Hakodate City …

Hakodate ist ein bekannter Ausflugsort. Viele Straßen sind voll von Touristen, weshalb sie für den Film ungeeignet waren. Also habe ich nach Orten gesucht, an denen sich nur Einheimische aufhalten, denn von deren Alltag handelt der Film.

Die Buchhandlung ist einer der Hauptschauplätze von KIMI NO TORI WA UTAERU. Was waren die Gründe dafür, dass Sie sie als Drehort ausgewählt haben?

Ich hatte keine besonderen Auswahlkriterien, nach denen ich diese Buchhandlung ausgesucht habe. Da es heutzutage in einer Kleinstadt wie Hakodate immer weniger Buchhandlungen gibt, hatte ich keine große Auswahl. Glücklicherweise haben wir eine gefunden, die genau die richtige Größe hatte. Aber auch dieses Geschäft ist inzwischen geschlossen.

Was sind das für Schwarzweißaufnahmen in dem Fotoalbum, das in einer Szene auftaucht?

Es handelt sich um mehr als fünfzig Jahre alte Fotos von Straßen in Hakodate. Damals gehörte Hakodate zu den florierendsten Fischereihäfen Japans. Ich kann mir vorstellen, dass mein Film von seinem zukünftigen Publikum auf ganz ähnliche Weise als ein Zeugnis dieser Stadt aus dem Jahr 2017 gesehen werden wird.

Warum haben Sie an einigen Stellen des Films ein Voice-over eingefügt?

Die Sätze, die im Voice-over zu hören sind, sind die schönsten und unvergesslichsten des Romans. Sie beschreiben die Gefühle der Protagonisten und machen die Dinge gleichzeitig rätselhaft.

Irgendwann fragt Sachiko: „Verlieren wir unsere Jugend, wenn wir älter werden?“ Was wäre Ihre persönliche Antwort auf diese Frage?

Die Antwort lautet: ja. In letzter Zeit werde ich müde, wenn ich abends in einen Club gehe. Ich kann nicht mehr die ganze Nacht aufbleiben und Spaß haben. Aber ich hoffe, dass ich später in meinem Leben zu einer anderen Art von Jugend gelangen werde, sodass ich sie nicht ganz verliere.

(Interview: Ansgar Vogt, Januar 2019)

Produktion Kazuhiro Sugawara, Hiroshi Matsui. Produktionsfirmen Cinema Iris (Hakodate, Japan), Pigdom (Tokio, Japan). Regie, Buch Sho Miyake. Kamera Hidetoshi Shinomiya. Montage Sho Miyake. Musik Hi'Spec. Sound Design Takamitsu Kawai. Ton Takamitsu Kawai. Production Design Shinpei Inoue. Kostüm Noriko Ishihara. Maske Sao Ishikawa. Mit Tasuku Emoto (Me), Shizuka Ishibashi (Sachiko), Shota Sometani (Shizuo), Masato Hagiwara (Shimada), Makiko Watanabe (Naoko), Tomomitsu Adachi (Moriguchi), Ai Yamamoto (Mizuki), Takaya Shibata (Hasegawa), OMSB (MC), Hi'Spec (DJ).

Weltvertrieb SDP

Filme

2008: Spy no shita / Tongue of Spy (15 Min.). 2010: Yakutatazu / Good for Nothing (76 Min.). 2012: Playback (113 Min.). 2014: The Cockpit (64 Min.). 2017: Missi to banning / The Courier (60 Min.). 2018: World Tour (Videoinstallation). 2019: Kimi no tori wa utaeru / And Your Bird Can Sing.

Foto: © Hakodate Cinema Iris

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