Direkt zum Seiteninhalt springen

75 Min. Französisch.

Der Bilderstrom ist endlos, eng getaktet folgen kurze Ausschnitte aus Hunderten von Spielfilmen aufeinander. Sie illustrieren über die gesamte Dauer dieses Found-Footage-Essays eine tagebuchartige Erzählung des Filmemachers aus dem Off, die den Zeitraum von April bis Oktober 2016 umfasst und ebenfalls in schnellem Tempo vorgetragen wird. Nach der Trennung von seinem Partner, mit dem er sich vor Jahren an einem abgelegenen Ort im Elsass niedergelassen hatte, lebt er dort isoliert, ohne Auto, ohne Arbeit, ohne Perspektive. Es geht um dieses Einsiedlerdasein, um Depression und Panikattacken, um seine Obsession, Unmengen von Filmen anzuschauen, die Heil und Fluch zugleich ist, um das Sterben des Vaters, den Besuch von Filmemacherfreunden aus Portugal, die Terroranschläge in Nizza, den Tod von Prince, Sinn oder Unsinn von Aktivismus, Filmarbeit in der 1. Person Singular, die Flüchtlinge im Mittelmeer und das Entrümpeln der Wohnung vor dem geplanten Umzug nach Paris, der ihn Licht am Ende des Tunnels sehen lässt. Die rasante Montage von Bildern und Off-Text verbindet persönliche Krise und Weltgeschehen und wird so zum Dokument einer Lebensphase und einer Zeit im Ausnahmezustand. (Birgit Kohler)

Frank Beauvais wurde 1970 in Phalsbourg (Frankreich) geboren. Er studierte Anglistik an der Université de Strasbourg. Von 1999 bis 2002 verantwortete er das Filmprogramm des Wettbewerbs des Belfort Entrevues Film Festival. Ne croyez surtout pas que je hurle ist sein erster abendfüllender Spielfilm.

Ausnahmezustand

Januar 2016. Die Liebesgeschichte, die mich ursprünglich in das elsässische Dorf geführt hat, in dem ich lebe, ist vor sechs Monaten zu Ende gegangen. Mit 45 Jahren bin ich jetzt allein, ohne Auto, ohne Job und ohne jede Perspektive. Die üppige Natur, von der ich hier umgeben bin, kann mir in meiner tiefen Verzweiflung nicht helfen. Seit den Terroranschlägen im November 2015 befindet sich Frankreich nach wie vor im Ausnahmezustand.
Ich fühle mich hilflos, ersticke an meiner unterdrückten Wut. Ich fühle mich verloren und sehe mir jeden Tag vier bis fünf Filme an.
Ich beschließe, diese Stagnation aufzunehmen – nicht, indem ich eine Kamera in die Hand nehme, sondern indem ich Aufnahmen von den Filmen, die ich sehe, zusammenfüge. (Frank Beauvais)

Schreien und theoretisieren

Als Zuschauer bin ich immer von der Poesie der Einstellungen berührt, die, vom Kontext des übrigen Films isoliert, ihren Ursprung nicht mehr preisgeben: Einstellungen von Uhren, Fenstern, Schlüsseln, Leinwänden, Möbeln, Verkehrsampeln, Zahnrädern, von Vegetation, Landschaften, aber auch Nahaufnahmen von Gesichtern, von Statisten, die, isoliert vom Kontext, in den Film montiert wurden, ohne später noch einmal aufzutauchen.
Für das Mashup habe ich versucht, diese stummen Einstellungen zusammenzubringen, dabei ihre Heterogenität zu unterstreichen, Aufnahmen in Schwarzweiß und Farbe abwechselnd zu verwenden, das Originalformat der einzelnen Filme zu berücksichtigen und sie in einen Dialog mit der Erinnerung an die dunklen Tage treten zu lassen, die ich 2016 durchlebt habe. Mir ging es darum, eine reflexive Dynamik zu schaffen, die kontinuierlich mit dem Verhältnis von Zwischenraum und Übereinstimmung zwischen dem Gesehenen und dem Gehörten spielt.
Man könnte sagen, dass dies lediglich eine filmische Abhandlung über eine Methode ist, der Versuch, ein Regelwerk aufzustellen, die Versuchung, ein tiefes Bedürfnis zu theoretisieren. Die Idee bestand jedoch in erster Linie darin, einen Schrei erneut erklingen zu lassen, die Wut auszudrücken über das geheime Einverständnis, das zwischen der Chronik meiner Verzweiflung und den Bildern aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort bestand, die dennoch meinen damaligen Alltag besser kommentieren als es meine eigenen Bilder vermocht hätten. Die Bilder und Worte geben meine innere Unruhe, meine Hilflosigkeit, meinen Verfall wieder. Sie drücken meine Angst vor der Polizeigewalt, vor der sozialen, wirtschaftlichen, ideologischen und menschlichen Gewalt aus, die sich in Frankreich und auf der ganzen Welt ausbreitet. Vor diesem Hintergrund musste ich diesen Schrei ausstoßen, um nicht zu ersticken. (Frank Beauvais)

Produktion Justin Taurand, Michel Klein, Matthieu Deniau, Philippe Grivel. Produktionsfirmen Les Films du Bélier (Paris, Frankreich), Les Films Hatari (Straßburg, Frankreich), Studio Orlando (Paris, Frankreich). Regie, Buch Frank Beauvais. Montage Thomas Marchand. Sound Design Matthieu Deniau. Ton Philippe Grivel.

Uraufführung 09. Februar 2019, Forum

Filme

2005: A genoux / On My Knees (21 Min.), Le soleil et la mort voyagent ensemble / Sun and Death Travel Together (12 Min.). 2006: Vosges (Trilogie d’Arno – première partie) / Vosges (Arno’s Trilogy / Part 1) (6 Min.). 2007: Compilation 12 Instants d’amour non partagé (Trilogie d’Arno – deuxième partie) / Compilation, 12 Moments of Unshared Love (Arno’s Trilogy / Part 2) (42 Min.). 2008: Je flotterai sans envie (Trilogie d’Arno – troisième partie) / I’ll be Floating Without Any Desire (Arno’s Trilogy / part 3) (46 Min.). 2009: La guitare de diamants / A Diamond Guitar (35 Min.), Un 45 tours de cheveu (ceci n’est pas un disque) (6 Min.). 2015: Un éléphant me regarde / There's an Elephant Staring at Me (30 Min.). 2019: Ne croyez surtout pas que je hurle / Just Don't Think I'll Scream.

Foto: © all rights reserved

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur