Was bedeutet politisches Handeln heute?
Wo stehen wir heute, in Frankreich im Jahr 2018, bezogen auf die politische Situation des Landes und im Land selbst? Es gibt noch Widerstand gegen die vielen Umbrüche in der Welt um uns herum, die weder in ökologischer noch sozialer Hinsicht Anlass zu Optimismus bieten. Doch auch dieser Widerstand hat dem Gefühl der Apathie oder Resignation nichts entgegenzusetzen, das unsere Zeit zu prägen scheint.
Vor diesem Hintergrund kreist NOS DEFAITES um die Frage nach dem momentanen Zustand des politischen Handelns.
Um heutzutage in Frankreich über Politik sprechen zu können, müssen wir in die Vergangenheit zurückblicken, um Vergleichsmomente zu finden. Welche historische Epoche ist so beispielhaft wie die Ereignisse und die Folgen des Mai 1968, wenn man sich mit Politik auseinandersetzen möchte? Der ‚Mai 1968‘ war der letzte revolutionäre Moment unserer Zeit, zumindest, was die umfassende politische Durchdringung des damaligen Alltags betrifft.
Heutzutage in Frankreich über Politik zu sprechen heißt nicht, sich an militante Aktivisten zu wenden. Vielmehr sollte man sich an diejenigen wenden, von denen wir annehmen, dass sie die Welt, in der sie leben, mit all ihren Qualitäten, aber auch ihren Problemen mit offenen Augen wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund schien mir eine Gruppe von Oberschüler*innen, Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsensein, am interessantesten.
Was ist von 1968 geblieben – und was ist verschwunden?
Für NOS DEFAITES arbeitete ich mit zehn Oberschüler*innen, die gleichzeitig Protagonist*innen und Figuren des Films sind. Zudem vereint der Film zwei unterschiedliche Arten von Material. Zum einen handelt es sich um Remakes, Reenactments von Szenen bereits existierender Filme. Die Filme wurden unabhängig von ihrer Genrezugehörigkeit, ihrer Gattung (Dokumentar- oder Spielfilm), ihrer filmischen Ästhetik oder ihres filmhistorischen Stellenwerts ausgewählt. Die Auswahl umfasste Jean-Luc Godards LA CHINOISE (1967), LA SALAMANDRE (1971) von Alain Tanner sowie Dokumentarfilme von unabhängigen Filmemachern wie der Groupe Medvedkine, ARC oder dem Cinélutte collective.
Ausgangspunkt der Auswahl der Szenen waren die Dialoge, der Gehalt der Worte.
Bei den neuen Szenen handelt es sich in Bezug auf Bildausschnitt, Abfolge der einzelnen Einstellungen, Ton, Montage und Dekor um Reproduktionen. Gespielt werden sie von den Schüler*innen, die die damalige Sprechweise und in gewisser Weise auch die damaligen Überzeugungen wieder zum Leben erwecken.
Genau an dieser Stelle entsteht ein bedeutungsvoller Widerspruch, der die Frage stellt, was von 1968 noch erhalten geblieben und was verschwunden ist. In einigen Szenen spielen die Oberschüler*innen Gleichaltrige, in anderen übernehmen sie Rollen von Erwachsenen (Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen, Aktivist*innen etc.). Jenseits der Unterschiede bezüglich Alter und sozialem Status zwischen den Schüler*innen und den Protagonist*innen der ursprünglichen Filme hören wir – vorgetragen von den Jugendlichen – ein längst verschwundenes, spezifisches Vokabular und eine besondere Ausdrucksweise.
Zwischen diese Szenen eingefügt sind Interviews mit den Jugendlichen. Ausgangspunkt der Gespräche waren jeweils die neuinszenierten Szenen und die Frage, wie die Schüler*innen sie aufgefasst hatten und was ihnen davon in Erinnerung geblieben war. Auf diese Weise entstand ein Resonanzraum zur aktuellen Welt der Schüler*innen.
Zusätzliche Fragen, die in allen Interviews gestellt wurden, beziehen sich auf die Wahrnehmung und Bewertung von politischem Engagement heute.
Das zentrale Thema des Films lautet: Was bedeutet Politik heute? Gleichzeitig ist NOS DEFAITES aber auch ein Film über Filme als einer Form der politischen Artikulation und des Poetischen zugleich. (Jean-Gabriel Périot)