Die Manierismen des Independent-Kinos
THE PLAGIARISTS ist eine gemeinschaftlich und mit einem Minibudget produzierte dramatische Komödie über das Aufeinanderprallen von Geld und Kultur, Realität und Sehnsucht, Rasse und Identität. Eine Sozialsatire, wer was in der heutigen Welt sagen darf. Und eine spielerische Kritik an den Manierismen des Independent-Kinos, derer sich aufstrebende Filmemacher*innen gern bedienen, um auf die Authentizität der Darstellung in ihren Werken hinzuweisen, und die häufig ganz unversehens zu Stereotypen werden.
Dabei ist THE PLAGIARISTS genau das, was er parodiert: ein vollkommen unabhängig entstandener Spielfilm, ausschließlich gefilmt mit alten Nachrichtenkameras aus den 1980er-Jahren, obwohl es um ein zeitgenössisches Thema geht. Die Kamera, die in der Filmhandlung vorkommt, ist zugleich die Kamera, mit der dieser Film gedreht wurde, unter Verwendung von echtem Betacam-SP-Videomaterial (bei eBay erworben) – womit wir einen visuellen Stil entwickeln wollten, der die in dem Film verhandelte Debatte über Veraltung, Nostalgie und vor allem das schwierige Thema Originalität reflektiert.
Seinem Spitznamen „Clip“ treu bleibend, wurde der Darsteller, der ihn spielt (Michael „Clip“ Payne, Mitglied des Kollektivs P-Funk, Parliament-Funkadelic), separat aufgenommen; er taucht kein einziges Mal mit einer oder einem der anderen Mitwirkenden zusammen im Bild auf. Der gegenteilige Effekt wird durch die Szenen erzielt, in denen die Figur Allison zu sehen ist: Sie sind im multiperspektivischen ‚Sitcom‘-Stil mit zwei Kameras aufgenommen worden. (Peter Parlow)
Gespräch mit Peter Parlow: „Authentizität ist eine Marke geworden“
Paul Dallas: THE PLAGIARISTS operiert innerhalb zweier getrennter Register. Einerseits ist es eine wortreiche Komödie über egozentrische Millennials, die versuchen, ihr Leben angesichts begrenzter finanzieller Möglichkeiten bestmöglich zu leben. Andererseits handelt es sich um eine konzeptionelle Arbeit, die sich mit verschiedenen großen Themen wie zum Beispiel einer Ethik der Aneignung oder der Differenz zwischen Stil und Stimme in der künstlerischen Praxis auseinandersetzt. Könntest du etwas dazu sagen, wie du diese beiden Ansätze kombiniert und was du damit beabsichtigt hast?
Peter Parlow: THE PLAGIARISTS ist ein Film, der wahrscheinlich kein natürliches Habitat hat. Der Raum, dem zu entstammen er vorgibt (dem der Indie-Komödie), erscheint eher künstlich im Vergleich zu seinem etwas formaleren Wesen. Seine Konzepte und Themen sind aber ebenso wenig essenziell. Ich würde sagen, die Hybridisierung der Komödie mit diesen anderen Facetten erlaubt es dem Film, sich zu entwickeln und besagten Ideen vielleicht etwas Luft zu geben, die ihnen sonst fehlen würde. Meiner Meinung nach kann so die formale Saat der Handlung – ein afroamerikanischer Mann mittleren Alters liest die Zeilen eines europäischen weißen Mannes mittleren Alters von einem Teleprompter ab – richtig aufgehen. Maximalismus ist hier ein treffender Begriff (in dem Sinne, wie er in der Musik gebraucht wird). Ein in seine möglichen Resultate entwickeltes Axiom. Für mich ermöglicht die Komödie in ihrer obsessiven Ignoranz gegenüber jeglichem Dekor eine höhere Form der Auflösung und zugleich mehr Tiefe.
THE PLAGIARISTS stellt sich dem heiklen Thema Authentizität, sowohl im Bereich des Kunst-Machens als auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Tylers und Annas Existenzkrise wird durch ein Scheitern ihrer Idee von Authentizität befeuert. Was hat dich dazu gebracht, dieses Thema in einem Film zu verarbeiten?
Mir scheint, Authentizität war der Slogan des letzten Jahrhunderts. Man könnte eine Linie ziehen von Nietzsche über Heidegger zum Existenzialismus und schließlich bis zur Generation X, die analoge Musik macht und Slow Food isst. Diese Linie erstreckt sich bis in unsere Zeit, in der sie aber mehr und mehr an Bedeutung verliert. Die Technologie hat uns in eine Art impressionistisches Zeitalter versetzt, in dem es sehr schwer ist, zu den Wurzeln der Dinge vorzudringen: Dinge werden so schnell aneinandergefügt, dass Authentizität ein eher merkwürdiges Anliegen scheint. Oder ein dekadentes.
Authentizität dient heutzutage hauptsächlich dem Markt. Sie ist eine Art Beweis dafür, dass etwas einen Wert hat. Authentizität war immer schon ein Kern-Mantra für den Indie-Film – im Geiste, wenn nicht sogar in der heutigen Praxis (man muss sich nur das Sundance Film Festival anschauen, um zu erkennen, dass Authentizität eine Marke geworden ist). Tyler ist besessen von Dogma 95, aber das ist nur eine von vielen zyklischen Filmbewegungen, auf die er sich fixiert haben könnte. Er ist nun einmal in seiner eigenen spezifischen Vergangenheit gefangen, in dem, was in den Jahren seiner Entwicklung wohl als avanciert gegolten hat. Der Film versucht diese scheinbare Wahllosigkeit eines Strebens nach Authentizität hervorzuheben.
Während wir mehr oder weniger neurotisch von einer Ethik der Aneignung und von intellektuellem Eigentum besessen sind, werden unsere moralischen Energien durch Spezifika, insbesondere durch finanzielle Gesichtspunkte belastet. Zeitgenössische Künstler kämpfen heute mit diesen wichtigen ethischen Problemen, ohne jemals zuzugeben, welcher Überlebenskampf dem zugrunde liegt. In einer Ökonomie, in der jeder schon einmal Musik gemacht, ein Video geschnitten, einen Roman geschrieben oder sein Haus im kreativen Akt des AirB’n’B-ings vermietet hat, ist es schwer, hervorzustechen. Und das ist wirklich die Krux dabei. Der Markt behandelt Originalität und Authentizität als ethische Leitsterne; THE PLAGIARISTS dagegen versucht, dieses Thema von anderen Perspektiven aus zu verstehen. Es gibt offensichtlich eine Diskontinuität in dem, was als nicht authentisch verteufelt wird, und dem, was akzeptiert oder übersehen wird. Außerdem wird von bestimmten Leuten eine Art ‚Reinheit‘ erwartet.
Im Zentrum des Dramas steht ein Plagiatsvorwurf. Tyler und Anna fühlen sich von Clip betrogen. Er erzählt ihnen eine sehr emotionale persönliche Geschichte, die, wie sich herausstellt, nicht seine eigene ist (also nicht auf seiner gelebten Erfahrung basiert). Könntest du etwas dazu sagen, wie hier insbesondere das Thema ‚Rasse‘ mit ins Spiel kommt?
Plagiarismus ist kein Verbrechen. Ich glaube, die meisten Leute denken, es ist ein Verbrechen, auch wenn sie das an keinem Gesetz festmachen können. Was also ist Plagiarismus? Das Werk eines anderen zu kopieren und es als eigenes auszugeben. Das ist in einem bestimmten Sinne Kidnapping. Und Kidnapping ist definitiv ein Verbrechen. Aber beim Plagiarismus geht es nicht um Kinder – jenseits des Umstands, dass du deine kostbare kreative Arbeit geboren hast wie ein Kind. Wenn es um Plagiarismus geht, haben deine Gefühle keine Bedeutung, aber vielleicht ist das alles, was zählt – denn wenn du keinen tatsächlichen Schaden vorweisen kannst, ist das der Rechtsprechung völlig egal. Nur, wenn es einen ökonomischen Schaden gibt – wie zum Beispiel weniger verkaufte Bücher oder materielle Verluste – handelt es sich um eine Verletzung des Urheberrechts, das möglicherweise plagiaristische Handlungen miteinschließt; ein eigenes Gesetz gegen Plagiarismus gibt es jedoch nicht. Plagiarismus hängt also oft wie ein Schatten über sozialen Instanzen. Das hat etwas von Autismus. Es ist ein vermeintlicher moralischer Fehltritt, dass Pseudoautoritäten (Verlage, Verhaltensausschüsse, professionelle Verbände, Kritiker, Oprah Winfrey) über die Anwendung außerrechtlicher, willkürlicher Standards und Bestrafungen entscheiden.
Was das mit ‚Rasse‘ zu tun hat, ist ganz einfach: Es ist eine Frage des Urteils und des (Ver-) Urteilens. Rasse hängt ebenfalls wie ein Schatten über sozialen Instanzen. Im Film ist Clip nur ein einfacher Typ. Anna und Tyler geben sich große Mühe, sich in ihrem Urteil zurückzuhalten, weil sie auf seine Hilfe angewiesen sind. Als aber alles in sich zusammenfällt, werden die Messer gezückt, und jedes kleinste Detail könnte etwas bedeuten. Da sie nicht beweisen können, dass er ein Plagiat begangen oder etwas Unrechtes getan hat, wird Clips „Schwarzsein“ gegen ihn verwendet: als etwas, das er in einer Art merkwürdig umgekehrter kultureller Aneignung missbraucht hat. Da sie mit dem Resultat nicht einverstanden sind, nehmen Anna und Tyler an, dass Clip, indem er sie betrogen hat, auch seine existenzielle Erfahrung als schwarzer Mann verraten hat. Aber natürlich haben sie Clip schlichtweg mit einem Wert versehen, der ihr Narrativ vervollständigt. Sie kennen ihn überhaupt nicht. Sie haben von ihm genommen oder geliehen, was ihnen zweckdienlich erschien – seine äußere Erscheinung – und haben es zu ihren Gunsten verwendet. Das wirft die heikle Frage auf, ob eine Erfahrung jemals wirklich jemandem gehören kann.
Gerade jetzt scheint eine akute Nostalgie für die 80er-Jahre und besonders für die 90er- Jahre um sich zu greifen. Filme wie Jonah Hills MID90S (2018) beruhen auf dieser Nostalgie und sind von der visuellen Ästhetik dieser Epoche durchtränkt, die nun in Zeiten von Instagram-Filtern ‚authentisch‘ erscheint. Könntest du vor diesem Hintergrund über deine Entscheidung sprechen, den Film mit einer Sony-Kamera zu drehen, die fast dreißig Jahre alt ist?
Die Leute sind immer besessen von dem Jahrzehnt, in dem sie geboren wurden: einer Zeit, der sie sich ohne nützlichen Beitrag verbunden fühlen. Der Haken ist, dass sich Leute, die in den 1980ern und -90ern geboren wurden, nun in Machtpositionen befinden. Ich denke, Filmemacher haben das schon immer schaffen wollen, und jetzt ist die jüngere Generation an der Reihe, angetrieben vom selbstreferenziellen, allumfassenden Wissen des Internets. Ich habe MID90S nicht gesehen, aber es hat fast etwas Charmantes, wie der Film hinter der Zeit zurückzubleiben scheint – was wahrscheinlich buchstäblich der Punkt ist. Wie kommt man zum Beispiel darauf, diesen Film auf 16mm zu drehen? Nicht, weil die 90er nach 16-mm-Film ausgesehen haben, sondern weil die Indie-Filmer von damals immer noch 16mm benutzt haben: Neue Videotechnologien hatten sich noch nicht vollständig durchgesetzt. Und sie haben Super-16mm benutzt, wie man heutzutage 4K einsetzt: um ein Höchstmaß an Professionalität zu erreichen, soweit es das Budget erlaubt – unter anderem mit dem Ziel, das gedrehte Material auf 35mm vergrößern zu können und damit Zutritt zu Hollywood zu bekommen.
Es ergibt also merkwürdigerweise einen Sinn, dass eine Hollywood-Persönlichkeit wie Jonah Hill diesen Geschichtsverlauf ‚vergisst‘, indem er sich auf das aufstrebende Kino jener Tage fokussiert (ganz zu schweigen davon, dass er das eigentliche Bildseitenverhältnis von Super-16mm im eigentlichen Bildseitenverhältnis von 1.66:1 nutzt, um es dann in einem artifiziellen 4:3-Format zu präsentieren – was einen stärkeren Retro-Look hervorruft, obwohl es technisch gesehen überhaupt nicht sinnvoll ist) und damit ein Stück manieriertes, eitles Kino kreiert. Ich schätze, er hat einen Fake-Indie gemacht?
Das scheint mir Teil des allgemeinen Trends zu sein, die eigene Arbeit stilistisch mit kanonischen Werken einer Epoche zu assoziieren, um sich in diesen Kanon einzufügen – als wäre das eine ästhetische Abkürzung auf dem Weg zur Qualität. Ironischerweise ist es aber angesichts der Entwicklungen im Bereich des „digital scanning“ und des Filmmaterials an sich mittlerweile effizienter, einfacher und lohnender als je zuvor, auf 16mm zu drehen. Es hat noch nicht einmal einen wirklich festgelegten Look, je nachdem, wie es bearbeitet wird.
Es sind also nicht unbedingt die Medien, die ins Gewicht fallen, sondern unsere Erwartungen an sie. Und unsere Erwartungen sind falsch. Nostalgie ist falsch. Als eine Form der Sehnsucht hat sie keine richtige Erinnerung an die Dinge und wird künstlich: eine Mischung aus damals und heute.
Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir uns entschieden haben, THE PLAGIARISTS als zeitgenössische Geschichte zu drehen, die zufällig auf altem Videoband aufgenommen wurde, das immer noch neu zu haben ist (als „deadstock“ oder „new-old stock“, wie es auf eBay genannt wird). Die Technik ist billiger als je zuvor: Eine 60.000-Dollar-Kamera kostet jetzt 400 Dollar. Das gesamte Filmmaterial hat uns sechzig Dollar gekostet. Materiell gesehen ist das so authentisch, wie es nur geht. Aber natürlich wird alles in den Mühlen der Gegenwart aufbereitet und digital konserviert, das ist repräsentativ für heutige Bedürfnisse. Was macht man mit einem Bild, das weder zur Vergangenheit noch zur Gegenwart gehört? Was fängt man an mit einer Erinnerung, die von jemand anderem definiert wird? Man kann das entweder ignorieren und davon profitieren oder darauf aufmerksam machen, während man davon profitiert. Wir haben uns für Letzteres entschieden: Der Look der Dinge ist ein wichtiges Thema des Films.
(Interview: Paul Dallas, Januar 2019)