Gespräch mit Theodor Angelopoulos: Voraussetzungen, Intentionen
(...) Mich hat die Geschichte deswegen interessiert, weil es nicht das erste Mal war, daß ich in der Zeitung las, eine griechische Frau habe ihren Ehemann umgebracht. In der Region Epiros, der rückständigsten in Griechenland, kam das ziemlich häufig vor. Ich bin dorthin gefahren und habe als Journalist recherchiert. Ich sprach mit den Leuten im Dorf, mit den Brüdern des Mörders, den Kindern und mit dem Rechtsanwalt der Frau. Der Anwalt hat mir die Prozeßunterlagen gegeben. Anhand dieses Materials schrieb ich das Szenario. Der Mord dient mir natürlich nur als auslösendes Moment für einen Bericht über ein griechisches Dorf dieser Region.
Da ich den Mord nicht selbst begangen hatte und auch nicht Zeuge war, sondern einfach jemand, der aus der Stadt kam, fand ich es nicht sehr ehrlich, die Ereignisse in Form einer Fiktion zu erzählen, so wie das beispielsweise Visconti in OSSESSIONE gemacht hat, ein Film, der fast die gleiche Fabel hat. Ich wollte eine doppelte Rekonstruktion versuchen, d.h. einmal eine Rekonstruktion der Fakten, so wie sie mir erzählt wurden oder wie ich sie in den Prozeßunterlagen gelesen hatte, zum anderen die Rekonstruktion, wie sie die Polizei mit den Schuldigen durchführt. Auf diesen beiden Ebenen funktioniert der Film: auf der Ebene der Rekonstruktion des Geschehens durch die Polizei und auf meiner Rekonstruktion in Form von Befragungen. Zwischen diesen beiden Ebenen wechselt der Film hin und her, ohne daß sich dabei eine logische Kontinuität ergeben würde. So endet der Film beispielsweise mit einer Szene, mit der er anfangen müßte, mit dem Mord. Aber das ist der Mord, wie er sich von außen gesehen darstellt.
Florian Hopf: Aber es hat Sie ja nicht eigentlich der Kriminalfall interessiert ...
Nein, überhaupt nicht. Was mich interessierte, ist das langsame Absterben eines Landstrichs, ein Vorgang, der sich auf ganz Griechenland übertragen läßt. (…)
Es interessierte Sie die Geschichte dieser wirtschaftlich armen Gegend, deren soziale Strukturen ...?
Die gibt es gar nicht. Es gibt dort gar keine sozialen Strukturen, denn es gibt auch keine ökonomischen Relationen. Das Dorf lebt ausschließlich von dem Geld, das die griechischen Arbeiter schicken, die nach Deutschland gegangen sind. Für mich ist der Film eine Elegie auf ein Land, das stirbt, weil die Menschen es verlassen. Diese Situation begann im Jahre 1962 mit Subventionen durch die Bundesrepublik, die dafür sorgten, daß die Griechen dorthin ‚auswandern‘ konnten. Damals gab es eine große Diskussion in den griechischen Tageszeitungen, der Rechten wie der Linken. Die Linke sagte, die Emigration sei ein großes Unglück. Die Rechte hielt die Emigration für gut, denn wenn viele Griechen weggehen, bilden sie kein Proletariat. Sie wenden sich dann nicht gegen das Regime.
Die Obristen heute wollen, daß alle Leute weggehen, die gegen das Regime sind. Z.B. sind alle meine Freunde aus Griechenland weggegangen, oder sie sind im Gefängnis. Deswegen habe ich diesen Film für die Leute gemacht, die weggehen. Er ist auch den Griechen gewidmet, die schon fortgegangen sind und die noch fortgehen werden. Daneben gibt es noch einen anderen Grund für den Film: Epiros ist eine Gegend mit einer sehr alten Kultur, die bis in die Antike zurückreicht. Und deswegen ist es besonders traurig und desolat, mitansehen zu müssen, wie in dieser Gegend, in der so viele Menschen gelebt haben, wie die Zivilisation mit den Leuten stirbt, die weggehen.
(Infoblatt Nr. 17, 1. Internationales Forum des jungen Films, Berlin 1971, Download PDF)
Zwischen Geplapper und kritischer Aufklärung
(...) Deshalb lässt sich etwa auch der griechische Film ANAPARASTASI besser verstehen, wenn man ihn hier mit Viscontis OSSESSIONE von 1942 vergleichen kann. Beides sind vordergründig Kriminalfilme, beide entstanden unter faschistischen Regimes. Der griechische Regisseur Theo Angelopoulos hat mit langen, lastenden Totalen der stummen Bedrückung die Austrocknung, Verelendung und das Siechtum seiner Heimat quälend festgehalten. (...)
Der Film – eine wirkliche Entdeckung – kombiniert das Verhör des Staatsanwalts mit der Rekonstruktion einzelner Episoden nach dem Mord. Wie Hohn liegt Helle und Licht über den Vernehmungen, die doch das Dunkel des Mordes nicht lichten können. Provokativ zeigt die letzte Einstellung, was die erste sein könnte: das Haus, wie darin die Mörder verschwinden, das heimkehrende Opfer, kurz danach die Kinder. Man sieht: das Haus, den Garten davor; was darin geschah und wer den Plan ausführte, bleibt hinter den Mauern verborgen. Nicht Ehebruch ist das Motiv des Mordes – wie der Staatsanwalt meint – sondern die soziale Lage, die Männer von ihren Frauen trennt. Die Mörderin hat erkannt, wo der Schuldige steht, als sie sich zuletzt auf den Staatsanwalt stürzt. Die Frauen des Dorfes, die sie lynchen wollen, reagieren gleichwohl nur dumpf reflexhaft gegen eine, die den Brotgeber getötet hat. (...)
(Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau, 1.7.1971. Pressespiegel Forum 1971)