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16 mm, 50 Min. Deutsch.
(läuft in einem Programm mit THE WOMAN’S FILM (NEWSREEL #55))

„Allein machen sie dich ein“, wussten schon Ton Steine Scherben. So könnte man auch Helke Sanders ersten mittellangen Spielfilm Eine Prämie für Irene überschreiben und den Dokumentarfilm The Woman’s Film des San-Francisco-Newsreel-Kollektivs. Sander porträtiert Irene, eine alleinerziehende Mutter und Arbeiterin in einer Waschmaschinenfabrik. Im Alltag lässt sie sich nichts gefallen, weder die Ungleichbehandlung im Betrieb noch die sexuelle Belästigung durch Männer. Doch klar ist: Ohne solidarische Geschlechtsgenossinnen wird sie keine Chance haben. Die Frauen in The Woman’s Film sind schon einen Schritt weiter, sie haben sich zu einer Frauenrechtsgruppe zusammengeschlossen und berichten hier in Interviews von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt in Beziehungen. Ein Stück ungefilterter Oral History, das die Militanz der frühen 70er Jahre wiederaufleben lässt. (svr)

Helke Sander wurde 1937 in Berlin geboren. Sie besuchte zunächst eine Schauspielschule in Hamburg, bevor sie 1959 nach Helsinki ging, wo sie Germanistik und Psychologie studierte und als Regisseurin für Theater und Fernsehen arbeitete. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin nahm Sander ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) auf, zugleich realisierte sie erste Kurzfilme. 1968 gehörte sie zu den Begründer*innen des „Aktionsrates zur Befreiung der Frauen“. Helke Sander lehrte Film an der Hamburger Hochschule für bildende Künste und ist neben ihrer Filmarbeit auch als Autorin tätig.

Kommentar zu einem Zielgruppenfilm von Helke Sander

Der Film soll helfen, die Arbeit von Frauenbetriebsgruppen zu unterstützen. Man kann an ihm drei Probleme diskutieren:
a) Wie ist die Frau im Betrieb der kapitalistischen Ausbeutung unterworfen? b) Wie wird die Frau vom Mann unterdrückt, was nicht auf den Hauptwiderspruch zurückzuführen ist. c) Wie werden die Frauen zu reaktionärem Verhalten den Kindern gegenüber gezwungen?

zu a)
Die Fabrikszenen des Films zeigen die Entwicklung von Frauen, die das, was sie unterdrückt, zwar benennen, aber gleichsam heiter und ohne Konsequenzen. Durch die Überlegungen von Irene verlieren die Gespräche der Frauen über den Klassenfeind ihre Unverbindlichkeit und werden mehr als bloße Meckerei. Irene erhält ihr klareres Bewußtsein dadurch, daß sie einerseits als alleinstehende Frau mit zwei Kindern mehr ausgebeutet wird und weniger Verschleierungsmöglichkeiten hat und daß sie andererseits durch ihr Alleinsein den Vorteil hat, Selbständigkeit und Selbstbewußtsein zu entwickeln. Irene lernt allmählich, bei jeder Sache zu fragen, wem sie nützt und wem sie schadet.
Diese Entwicklung mündet in eine Aktion. In dieser Aktion zerschlagen die Frauen die Kamera, die sie kontrolliert, und den Lautsprecher, der sie ständig mit Schlagern und Betriebsmitteilungen berieselt. Und sie gehen daran, sich wenigstens frische Luft zu verschaffen, um ihre Arbeit unter menschenwürdigen Umständen zu verrichten. Diese Aktion zeigt die allgemeine Wut der Frauen, und wie sich diese Wut solidarisch artikuliert. (…)

zu b)
Wenn man von den Großstädten absieht, in denen es inzwischen ein gewisses Verständnis für das Problem im allgemeinen gibt, und wo sich dann auch die Unterdrückung sublimer äußert, weil sie offen nicht mehr salonfähig ist, zeigt sich, daß die Frauen eine große Erleichterung verspüren, wenn andere Frauen es für sie aussprechen, daß sie von ihren Männern unterdrückt werden. Solange es Männer gibt, die ihre Frauen prügeln, die ihren Frauen verbieten, in politische Versammlungen zu gehen, die ihren Frauen den Umgang mit anderen Leuten nach der Hochzeit verbieten, solange muß man diese Männer bekämpfen. Denn sie und nicht die Kapitalisten sind in diesem Fall die Träger der Verbote, und sie können nur durch Gewalt und nicht durch Verständnis von ihrer gegenwärtigen Rolle befreit werden. Eine Frau sieht nicht ohne weiteres den Unterschied zwischen einem Mann, der abends kegeln geht und einem, der sich politisch schult. Die Frauen müssen sich organisieren, um auch die private Unterdrückung gemeinsam zu bekämpfen. Denn ein Ausgangsverbot von einem Mann verhindert die Einsicht in den Klassenkampf. (…)

zu c)
Das Besondere an Irene ist, daß sie sich nicht unterwürfig benimmt, obwohl sie Kinder hat. Ein großer Teil ihres politischen Bewußtseins entwickelt sich daraus, daß sie den Widerspruch erkennt zwischen dem, wie sie sich den Kindern gegenüber verhalten will und dem, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten muß. Sie weiß, daß sie sich den Kindern gegenüber falsch verhält, wenn sie ihnen Vorhaltungen macht, ihnen Sachen verbietet, sie zur Disziplin anhält. Sie erkennt allmählich, daß sie selbst diszipliniert wird, wenn sie ihre Kinder diszipliniert, daß aber dieses Verhalten objektiv noch den Kindern nützt, da sie nur so dafür sorgen kann, daß die Kinder in der Schule nicht sitzenbleiben, daß ihnen die Wohnung erhalten bleibt usw. Läßt sie ihre Kinder lärmen, macht sie sich selbst und ihre Situation noch angreifbarer. Irene möchte sich ihrem Bewußtsein entsprechend verhalten und ist gezwungen, sich – im Interesse des Kindes – reaktionär zu verhalten.
Diesen Widerspruch hat Irene erkannt. Sie stellt sich in dem Film auf die Seite der Kinder, indem sie ihre Interessen vertritt. Sie folgt dabei richtigen Überlegungen. Aber ihre Tat ist spontan und kann sie und die Kinder die Wohnung kosten. Die vielen Irenen sollen gemeinsam überlegen!

(Infoblatt Nr. 40, 1. Internationales Forum des jungen Films, Berlin 1971)

Produktion Friedrich Kramer. Produktionsfirma Friedrich Kramer (Berlin-West, Bundesrepublik Deutschland). Regie, Buch Helke Sander. Kamera Christoph Roth. Musik Ton, Steine, Scherben. Ton Günther Hoffmann, Frank Glaubrecht, Dörte Völz. Ausstattung Petra Hinze. Regieassistenz Iris Wagner. Produktionsleitung Olaf I. Gibbins, René Verdan. Mit Gundula Schroeder (Irene), Sarah Schumann, Helga Foster, Hanne Herkommer, Käte Jaenicke, Dörte Haack, Ingo Busche, Christian Ziewer, E. Berty, G. Schettling, H. Müller, M. Arndt, A. Becker, R. Minow, C. Görna, A. Bzik, E. Reichelt, G. Grundmann.

Filme

1966: Subjektitüde / Subjectitude (4 Min., Special 2005, Retrospektive 2016). 1971: Eine Prämie für Irene / A Bonus for Irene. 1977: Redupers – Die allseitig reduzierte Persönlichkeit / The All-Around Reduced Personality – Outtakes (98 Min., Retrospektive 1990, Forum 2010, Retrospektive 2019). 1981: Der subjektive Faktor (138 Min.). 1984: Der Beginn aller Schrecken ist Liebe (117 Min.). 1985: Nr. 1 – Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste / From The Reports Of Security Guards & Patrol Services Part 1 (10 Min., Wettbewerb 1985, Retrospektive 2010). 1991: BeFreier und Befreite / Liberators Take Liberties (180 Min., Panorama 1992). 1997: Dazlak (89 Min.). 2001: Dorf (90 Min.). 2005: Mitten im Malestream (92 Min.).

Foto: © Deutsche Kinemathek

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