Kommentar zu einem Zielgruppenfilm von Helke Sander
Der Film soll helfen, die Arbeit von Frauenbetriebsgruppen zu unterstützen. Man kann an ihm drei Probleme diskutieren:
a) Wie ist die Frau im Betrieb der kapitalistischen Ausbeutung unterworfen? b) Wie wird die Frau vom Mann unterdrückt, was nicht auf den Hauptwiderspruch zurückzuführen ist. c) Wie werden die Frauen zu reaktionärem Verhalten den Kindern gegenüber gezwungen?
zu a)
Die Fabrikszenen des Films zeigen die Entwicklung von Frauen, die das, was sie unterdrückt, zwar benennen, aber gleichsam heiter und ohne Konsequenzen. Durch die Überlegungen von Irene verlieren die Gespräche der Frauen über den Klassenfeind ihre Unverbindlichkeit und werden mehr als bloße Meckerei. Irene erhält ihr klareres Bewußtsein dadurch, daß sie einerseits als alleinstehende Frau mit zwei Kindern mehr ausgebeutet wird und weniger Verschleierungsmöglichkeiten hat und daß sie andererseits durch ihr Alleinsein den Vorteil hat, Selbständigkeit und Selbstbewußtsein zu entwickeln. Irene lernt allmählich, bei jeder Sache zu fragen, wem sie nützt und wem sie schadet.
Diese Entwicklung mündet in eine Aktion. In dieser Aktion zerschlagen die Frauen die Kamera, die sie kontrolliert, und den Lautsprecher, der sie ständig mit Schlagern und Betriebsmitteilungen berieselt. Und sie gehen daran, sich wenigstens frische Luft zu verschaffen, um ihre Arbeit unter menschenwürdigen Umständen zu verrichten. Diese Aktion zeigt die allgemeine Wut der Frauen, und wie sich diese Wut solidarisch artikuliert. (…)
zu b)
Wenn man von den Großstädten absieht, in denen es inzwischen ein gewisses Verständnis für das Problem im allgemeinen gibt, und wo sich dann auch die Unterdrückung sublimer äußert, weil sie offen nicht mehr salonfähig ist, zeigt sich, daß die Frauen eine große Erleichterung verspüren, wenn andere Frauen es für sie aussprechen, daß sie von ihren Männern unterdrückt werden. Solange es Männer gibt, die ihre Frauen prügeln, die ihren Frauen verbieten, in politische Versammlungen zu gehen, die ihren Frauen den Umgang mit anderen Leuten nach der Hochzeit verbieten, solange muß man diese Männer bekämpfen. Denn sie und nicht die Kapitalisten sind in diesem Fall die Träger der Verbote, und sie können nur durch Gewalt und nicht durch Verständnis von ihrer gegenwärtigen Rolle befreit werden. Eine Frau sieht nicht ohne weiteres den Unterschied zwischen einem Mann, der abends kegeln geht und einem, der sich politisch schult. Die Frauen müssen sich organisieren, um auch die private Unterdrückung gemeinsam zu bekämpfen. Denn ein Ausgangsverbot von einem Mann verhindert die Einsicht in den Klassenkampf. (…)
zu c)
Das Besondere an Irene ist, daß sie sich nicht unterwürfig benimmt, obwohl sie Kinder hat. Ein großer Teil ihres politischen Bewußtseins entwickelt sich daraus, daß sie den Widerspruch erkennt zwischen dem, wie sie sich den Kindern gegenüber verhalten will und dem, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten muß. Sie weiß, daß sie sich den Kindern gegenüber falsch verhält, wenn sie ihnen Vorhaltungen macht, ihnen Sachen verbietet, sie zur Disziplin anhält. Sie erkennt allmählich, daß sie selbst diszipliniert wird, wenn sie ihre Kinder diszipliniert, daß aber dieses Verhalten objektiv noch den Kindern nützt, da sie nur so dafür sorgen kann, daß die Kinder in der Schule nicht sitzenbleiben, daß ihnen die Wohnung erhalten bleibt usw. Läßt sie ihre Kinder lärmen, macht sie sich selbst und ihre Situation noch angreifbarer. Irene möchte sich ihrem Bewußtsein entsprechend verhalten und ist gezwungen, sich – im Interesse des Kindes – reaktionär zu verhalten.
Diesen Widerspruch hat Irene erkannt. Sie stellt sich in dem Film auf die Seite der Kinder, indem sie ihre Interessen vertritt. Sie folgt dabei richtigen Überlegungen. Aber ihre Tat ist spontan und kann sie und die Kinder die Wohnung kosten. Die vielen Irenen sollen gemeinsam überlegen!
(Infoblatt Nr. 40, 1. Internationales Forum des jungen Films, Berlin 1971)