Von Homosexuellen für Homosexuelle gemacht
(...) Wir wollten keinen verlogenen Anpassungsfilm machen, der den Homosexuellen als meist männlichen, adrett sauberen Burschen zeigt, der mit einem Freund seit dreißig Jahren glücklich und unauffällig beieinander wohnt. Liberale wie Schwule hätten sich sicher nichts sehnlicher gewünscht als einen Film, der mit sehnsüchtig verklemmtem Schwulenblick bei den ‚Normalen‘ um Toleranz bettelt.
Die Welt der Schwulen, das wissen wir alle selbst ganz genau, ist deprimierend. Und wir kennen auch die, denen wir es zu verdanken haben. Wir müssen uns solidarisieren und uns nicht wie bisher feindselig und neidisch gegenüberstehen. Wenn wir erkennen, daß wir alle dieselben Probleme haben und den Mut haben, uns untereinander vor der Öffentlichkeit zu helfen, dann haben wir keinen Grund mehr, so launisch, hektisch und eitel zu sein. Wir werden menschlicher werden.
Der Film ist von Homosexuellen für Homosexuelle gemacht, aber er soll nicht nur heimlich in Schwulenlokalen gezeigt werden, sondern mit gutem Recht zum Beispiel im Fernsehen, damit die Homosexuellen endlich nicht mehr ausweichen können, sondern knallhart konfrontiert werden, entweder „Ja“ zu sich selbst zu sagen oder in ständiger Furcht zu leben, erkannt zu werden und seelisch zu verkümmern.
Der Film ist als perfekter Dilettantismus gemeint. Die Story könnte aus Groschenheften sein. Die Darsteller wirken steif und unbeholfen. Der Höhepunkt der Unbeholfenheit aber ist die Kommuneszene. Sie wirkt unwirklich und unnatürlich, was aber nichts als Ehrlichkeit aus- drücken soll. Der Zuschauer hat die verdammte Pflicht, das Seine dazuzutun. Die kindlich überdeutliche Sprechweise des Kommentators kommt nicht von ungefähr. Ich bin überzeugt, daß das Publikum zu einem üblichen Rundfunksprecher eher Vertrauen gefaßt, aber sicher weniger begriffen hätte. Der ganze Film wirkt unglaubhaft, genauso unglaubhaft, wie wir alle in den einfachsten Situationen. Wir sind verwöhnt und geschmeichelt – seitdem es Film gibt – von der Verlogenheit von wahren Geschichten aus dem Leben. Den Kitsch von heute bemerken wir noch nicht, aber der von gestern paßt viel besser zu uns. (Rosa von Praunheim)
„Die Chance ist da“: Aus einem Gespräch mit Rosa von Praunheim
Verbreiten Sie am Schluß eine Lehre?
Es gibt keine Quintessenz in Form empfohlener Verhaltensweisen. Es gibt die Reflexion, die die Verhaltensweisen kritisiert und zu einer kämpferischen Haltung auffordert. Das hat Parallelen zu der Richtung in Amerika, die sich Gay Liberation Front nennt und sich an der Frauenbewegung oder Black-Power-Bewegung orientiert. Die haben einen Marsch organisiert: Da sind 5000 Schwule und Leute, die sich für die Bewegung interessieren, auch Frauen und Kinder, in den Central Park gezogen.
Das wichtigste ist also erst einmal, daß sich die Leute zu ihrer Homosexualität bekennen, daß die Leute anfangen, die es sich leisten können. Daß die anderen dann mitgezogen werden. Und daß es sich die meisten schon leisten können, haben wir während der Dreharbeiten gemerkt. Von den paar hundert Leuten, die ich gefragt habe, haben nur drei aus beruflichen Gründen abgesagt. Das zeigt, daß es jetzt die Möglichkeiten, die ersten Bedingungen überhaupt, gibt, das Verhalten und die falschen Ideale zu verändern.
Außerdem geht es darum, diese modischen, zwanghaften Riten zu attackieren, die Stationen auszuschalten, an denen es so leicht ist, sich ‚abzureagieren‘, und an deren Stelle man Beziehungen setzt, die länger halten, allerdings nicht so lange dauern müssen wie eine Ehe.
Ich würde sagen, daß jetzt – im Zeichen der Scheinliberalität – die Chance da ist, daß Homosexuelle selbst für ihre Probleme kämpfen. Ich finde es Quatsch, immer auf die ‚anderen' zu warten, die für ihre Rechte kämpfen. Die Leute sollten einzeln, in ihrer Umgebung, bei ihrer Arbeit, wirklich für sich eintreten. Und sich vor allen Dingen organisieren.
(Interview: Christa Maerker, Infoblatt Nr. 25, 1. Internationales Forum des jungen Films, Berlin 1971, Download PDF)