Die sexuellen Projekte der Gegenkultur werden also bereits von zwei Grotesken eingerahmt, die aber beide nicht ohne Hoffnung erzählt werden. Die Landbevölkerung von Pennsylvania erinnert sich huldvoll an den exzentrischen Arzt und Mystiker. Weggefährt*innen, die Witwe und der Biograph Myron Sharaf schwärmen auch eher, selbst wenn Reich in alten Aufnahmen zur Wahl Eisenhowers aufruft und den Kommunismus denunziert. Auch die Übertragung der kommunistischen Sexualgeschichte samt Stalin-Auftritten aus Propagandafilmen auf die Liebes-Kontroverse zwischen jugoslawischer Revolutionärin und leninistischem Eistänzer hat versöhnliche Komponenten. Es ist eher die New Yorker Gegenkultur, deren Aktivitäten zuweilen charmant, meist aber verstaubt und absurd wirken. Tuli Kupferberg, Dichter, Performer und Mitbegründer des Beatnik-Rock-Kabarett The Fugs, stiefelt als Soldat bzw. bewaffneter Straßentheaterdarsteller durch die Gegend, während „Kill For Peace“, einer der Hits seiner Band, zu hören ist. Dem „Screw“-Redakteur Jim Buckley wird von einer der Aktivistinnen der Para-Groupie-Organisation Plaster Caster Foundation ein Gipsabdruck seines erigierten Gemächts abgenommen (sonst beschränkte sich die Gruppe auf Penis-Abdrücke von Rockstars). Das ist heutzutage irgendwie weiter weg als Wilhelm Reich und die sexuellen Widersprüche des Sozialismus.
Makavejev gelingt in seiner Engführung des sozialistischen Sexpol-Jahrhunderts mit Gegenkultur, Times Square und dem Zerschellen psychoanalytischen Grenzgängertums in amerikanischen Bauernhöfen ein Äquilibrium zwischen einer fast melancholischen, dann aber wieder recht aufgekratzten Bewunderung für die untergegangenen sexualrevolutionären und freudomarxistischen Stränge des Sozialismus und einem sarkastischen Lachen über dessen groteske Begriffsfetischismen, Verhaltensmodelle und esoterische Sackgassen. Die exemplarische Sublimierung in der osteuropäischen Paradedisziplin des Eiskunstlaufs bildet dabei Brücken mit den Camp-Momenten in den USA, wenn Jackie Curtis zur Madonna betet. Nur die potenziell reaktionäre Dimension der amerikanischen Libertären, die heute ja eine Reihe von Schnittmengen mit der neuen Rechten bilden, hat er nicht sehen können, aber doch zeigen: Denn die Bilder aus New York erscheinen fast so fiktiv und aus der Zeit gefallen wie der leninistische Eisprinz. Der jugoslawische Witz zum Thema Schwanzgrößen dagegen – „Don’t trust the media“ – hat dagegen etwas Zeitloses. Das Aus-der-Zeit-Fallen an sich ist darüber hinaus hier Thema und Methode in einer Weise, die einer/einem heutigen Zuschauer*in das Gefühl gibt, ähnlich zwischen den Schichten und Sedimenten gefangen zu sein wie den Zeitgenoss*innen von 1971, trotz der kurzen Auftritte des queeren New York der 1960er. Auch dessen Revival vor ein paar Jahren ist heute schon wieder so lange her.
Diedrich Diederichsen lebt und arbeitet in Berlin und Wien, letzte Veröffentlichung: „Liebe und Ethnologie – Zur kolonialen Dialektik der Empfindlichkeit (nach Hubert Fichte)“ (gemeinsam mit Anselm Franke).