Ayoung Kims POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT
POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT, die Installation, die Ayoung Kim im Rahmen des Korea Artist Prize 2019 zeigt, ist eine erweiterte Version ihrer Arbeit POROSITY VALLEY, PORTABLE HOLES (2017), die eine dramatischere Ausformulierung der Narration um Migration und mit ihr verbundene Komplikationen präsentiert. Auch hier ist „Petra Genetrix“ aus dem Porosity Valley wieder die Hauptfigur und die Geschichte – eine Mischung aus klassischer Fabel und futuristischer Science-Fiction mit Fokus auf der imaginären Figur des „Tricksters“ – nutzt das Feld der Datenmigration als metaphorische Folie für die strittige Frage der Flüchtlingsmigration. Nicht nur ist POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT stärker durch erfundene Narration bestimmt – der Plot ist auch weitaus komplexer als der des Vorgängers. Fiktion übermannt die dokumentarischen Aspekte; Archäologie, Futurismus und Science-Fiction übertrumpfen den Realismus. Einerseits kommen die gleichen Montagetechniken, Algorithmen und nicht-linearen Erzähltechniken zum Einsatz, die Kim Ayoung bereits in ihrer EPHEMERAL EPHEMERA-Serie, TALES OF THE CITY und PH EXPRESS bis hin zu ZEPHETH angewandt hat. Andererseits arbeitet sie nun auch die Tendenzen ihrer dokumentarisch-fiktionalen Arbeiten seit den 2000er-Jahren ein. In diesen Arbeiten nutzte sie Fiktion als Basis für eine Umformung sozialer und historischer Fakten in eine Form der Widerstandsgeschichte. In der neuen Arbeit wirken zudem Speculative- und Science-Fiction an der Erfindung alternativer Realitäten mit.
Trickster’s Plot, imaginierte Erzählung
Petra Genetrix, die zentrale Figur, die zu Anfang und Ende der Arbeit auftaucht, ist eine Art Datenskulptur, die im Crypto Valley deponiert wird, nachdem es im Porosity Valley zu einer Explosion kam. Petra ist ein würfelförmiges, vielgestaltiges Wesen, das sich fortwährend teilt, (selbstständig) reproduziert und verbindet. Ihre/seine dramatische Erzählung umfasst das Schwimmen durch unterschiedliche virtuelle Räume, die Reise aus dem Porosity Valley durch ein tragbares Loch ins Crypto Valley, ein Smart Grid, das tragbare Loch selbst und ein Data Center. Nach der Ankunft im Crypto Valley wird Petra als undokumentierte nicht-einheimische Lebensform klassifiziert und ihre/seine Aufenthaltsstatus im Crypto Migration Center einer rigorosen Prüfung unterzogen. Im Zuge dieser Prüfung wird Petra die Bezeichnung „Nicht anerkannte*r nicht-einheimische*r Migrationsanwärter*in G-1-6-2564“ zugeteilt. Der Prozess endet mit der Einstufung Petras als „abnormes Lebensmuster“ – ähnlich einem Virus, der eine ständige Bedrohung des autonomen Immunsystems und der Sicherheit darstellt – und ihrer/seiner Inhaftierung im Smart Grid, einer Sonderregion des Crypto Valley, die als Sicherheitsverwahrungszentrum für nicht-einheimisches Leben mit rund-um-die-Uhr-Bewachung dient. Petra teilt sich in Würfel verschiedener Größen und entkommt so den Gittern des Smart Grids. Schließlich begegnet sie dem „Mutterfelsen“, einer kollektiven Intelligenz und transzendenten Präsenz, die die ganze Insel zusammenhält. Die Geschichte endet mit der Verwandlung Petras in ein erhabenes, unabhängiges Wesen. Durch Hybridisierung mit dem Mutterfelsen wird sie/er selbst zu einer voll ausgeformten Xenogenese-Matrix.
Der tatsächliche „trickster plot“, den Ayoung Kim mit POROSITY VALLEY 2 durchkreuzt und fiktionalisiert, spielt sich vor einem Hintergrund ab, der sowohl in bodenloser Vergangenheit als auch in weit entfernter Zukunft angesiedelt ist. Die Geschichte des Videos führt uns 350 Millionen Jahre in der Zeit zurück (zu Petras Geburt) und entwirft die Vision einer futuristischen Stadt in der ein Cloud Passage Integrity Program (CPIP) im Einsatz ist und deren Alltag von Überwachung und Kontrolle durch ein Smart Grid geregelt wird. Diese seltsame Welt, in der antike Vergangenheit mit einer unbekannten Zukunft kollidiert, weist Übereinstimmungen mit dem afrofuturistischen Weltbild auf, das afrikanische Vergangenheiten mit Bildern des Weltalls verbindet. Während der Afrofuturismus seit Mitte des 20. Jahrhunderts in künstlerischen Feldern wie Literatur, Musik und Kino überlieferte afrikanische Mythologien zu futuristischen Visionen rekontextualisiert und in diesem Zuge Rassismen und Sexismen, denen Schwarze Menschen ausgesetzt sind, einer ironischen Kritik unterzieht, hält Ayoung Kims Video mittels Sci-Fi-Imaginationen, die Mythologie und Technologie gegeneinanderstellen, der heutigen Realität einen spekulativen Spiegel vor. Kims Fiktion ist keine Vorhersage oder Repräsentation des Informationszeitalters im 21. Jahrhundert und dessen Datenströmen. Sie nutzt vielmehr die Vorstellungskraft, um soziale Unterschiede und Widersprüche zu verdrehen, die den Migrations- und Fluchtdiskurs umgeben und so eine Kritik der Realität zu formulieren – und Alternativen zu dieser zu erkunden. In diesem Sinne ist die Zukunftsvision von POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT eher als „speculative fiction“ zu beschreiben als mit den Begriffen der Science-Fiction.
Die Realität spiegeln
POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT enthält eine Vielzahl an ausgeklügelten, versteckten Verfahren der Spiegelung der Realität. Zunächst ist da die Migrationserfahrung von Petra Genetrix. Der gefährliche Prozess von Migration, Untersuchung, Überwachung, Gefangenschaft und Flucht spiegelt die realen Erfahrungen der Fluchtmigration. Ausgangspunkt für POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT ist eine hitzige Debatte, die sich am Schicksal einer Gruppe von 561 jemenitischen Geflüchteten entzündete, die 2018 auf die koreanische Insel Jeju migrierten, um dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat zu entkommen. Drei der jemenitischen Geflüchteten – Yasmin, Ahmed Aska und Yusef al-Rami – treten im Video auf. Sie sind der Chor und verkörpern solche Wesen wie „Schichten“, „Wellen“ und „Steine“, die die Erinnerungen der Erde in sich selbst tragen. Neben Petra repräsentieren sie eine weitere Gruppe von Protagonist*innen, die die Handlung vorantreiben. Die Bezeichnung „Nicht-einheimische*r Migrationsanwärter*in G-1-5-3407“, die Petra vom Wachpersonal des Crypto Valley erhält, korrespondiert mit der Klassifikation „Migrationsanwärter*in G-1-5“, die tatsächlich in Südkorea zur Bezeichnung von Migrant*innen genutzt wird. Crypto Valley, eine Küstenregion auf einem imaginären Archipel und der Ort an dem Petras Aufenthaltsstatus einer Prüfung unterzogen wird, verweist auf die Insel Jeju. Das Smart Grid, in dem Daten, die keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, bis zu ihrer Ausweisung aus dem Crypto Valley interniert werden, ist dem Schachbrettmuster-Grundriss des Hwaseong Immigration Processing Center nachempfunden, einer Einrichtung, in der Migrant*innen ohne Aufenthaltsgenehmigung festgehalten werden. Die kalten Zeilen, die der Wächter im Crypto Valley zu Petra sagt – „Wenn Ihre Beurteilung nicht innerhalb der nächsten sechs Monate abgeschlossen ist, wird das Crypto Migration Center ihren vorübergehenden Status befristet verlängern. Sobald Ihr Anspruch bestätigt wurde, wird Ihnen ein Alien Registration Chip implantiert. Dies ist Teil des CPIP – unseres Cloud Passage Intergrity-Programms“ – wecken Erinnerungen an das rigorose Einwanderungssystem in Südkorea. Antragsteller*innen müssen ihre befristete Aufenthaltsgenehmigung alle sechs Monate neu beantragen und nur wenige erhalten ein tatsächliches Visum. Genau wie Petra, deren Recht auf Freizügigkeit im Crypto Valley als „Nicht-einheimische*r Migrationsanwärter*in“ beschnitten wird, werden Menschen, die keinen offiziellen Aufenthaltsstatus als Geflüchtete erhalten, zu Unsichtbaren, die keinem System angehören und keine Arbeit ausüben dürfen.
Vom namenlosen Symbol zur mythischen Präsenz
Wenn ein Wesen zum Zwecke von Kontrolle und Management durch ein Symbol ersetzt wird, tritt ein Verlust der menschlichen Würde ein. Ayoung Kims „unvollendete Aufgabe“ ist die Wiederherstellung dieser Würde im Bereich der Kunst. Wenn geflüchtete Menschen als Nummern bezeichnet werden, werden sie zu Phantomen in der südkoreanischen Gesellschaft, denen die Stimmen entzogen wurden. Ein langer, schmaler, grüner Pfad führt in die Installation POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT, der von der Künstlerin zu einem sechs-kanaligen Klangraum erweitert wird, in dem sich die Stimmen der drei jemenitischen Geflüchteten überlagern. Es ist, bei genauer Betrachtung, ein virtueller Raum, in dem die Ungezählten – jene, denen ein Teil ihres Lebens verweigert wird – sich als politisch handlungsfähige Subjekte Gehör verschaffen. Die Künstlerin verleiht Petra Genetrix, einer Figur, die ähnlich „in der Schwebe“ ist wie die Migrant*innen, eine göttliche Würde. Tatsächlich basiert das Konzept „Petra Genetrix“ auf Ikonen des Gottes Mithras, der aus Gestein (petra) geboren wurde (genetrix). „Genetrix“ wiederum verweist sowohl auf die Geburt als auch auf eine „Matrix“, während „Petra Genetrix“ wörtlich den „Mutterfelsen“ bezeichnet, aus dem Mithras hervorging. In diesem Namen schwingt also eine Ahnung eines Gesteins mit, das einen Gott gebiert – ein Mineral, das Leben in sich trägt.(1) Petra Genetrix ist sowohl eine antike Gottheit, die erfolgreich migriert ist, als auch eine göttliche Präsenz, die Leben, Weisheit und Transzendenz besitzt und sich Zuschreibungen von Geschlecht entzieht. Sie/er dient als dramatisches Medium, das die ganz realen, politischen Probleme von „Flucht“ und „Migration“ auf mythische und metonymische Weise verkörpert. Und sie dient als kraftvoller, mythischer Vorschlag der Künstlerin für die Wiederherstellung der Identität von Geflüchteten, denen ein würdevolles Leben verweigert wird und die im Zwischenstatus der Migration belassen werden.
Bröckelnde Grenzen
Die Geschichte von POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT endet damit, dass Petra Genetrix eine Verbindung mit dem Mutterfelsen eingeht. Sie wird zur Superintelligenz, zu einem Erinnerungslager, einem allgemeinen Data Center, das die gesamte Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart des Crypto Valley erinnert und vorhersieht. Das Immunsystem des Mutterfelsens ist durch Inzest geschwächt und um sein System stabil zu halten, bedarf er stetig anderer Formen von Information. Petra Genetrix ist wie ein Impfstoff, der den Unterschied zwischen Inzest und Hybridisierung aufhebt und das Immunsystem stärkt. Das mythische Ende von POROSITY VALLEY 2: TRICKSTERS’ PLOT ist als Kritik der rigiden Hierarchie der südkoreanischen Gesellschaft und deren Ideologie des „reinen Blutes“ zu verstehen, der zufolge Heterogenität abzulehnen und Abweichung als „das Andere“ zu verdammen sind. Darüber hinaus funktioniert es als Verweis auf die Möglichkeit, dass abstrakter Raum, der von Uniformität und Heterogenität bestimmt ist, auch einen „differentiellen Raum“(2) beinhalten könnte, der Diskontinuitäten und Risse anerkennt. Dieses Ende ist ein offenes, eines, das sich aus Erfahrungen speist, die die Künstlerin über Jahre als „instabile Außenseiterin“ verinnerlicht hat. Auf ihrem Weg aus dem abstrakten in den differentiellen Raum können die Genealogien solitärer Figuren(3) wie Migrant*innen, Vertriebene und Geflüchtete zu unseren eigenen Geschichten werden. Im Zuge der Anerkennung komplexerer Lebensmodelle als der imaginären „nationalen“ oder „staatlichen“ Gemeinschaft und der Ablehnung der Exklusivität der Ideologie des „reinen Blutes“ können diese einsamen Charaktere – wie Petra Genetrix am Ende der Erzählung – sowohl politische Legitimität als auch göttliche Würde erlangen.
(1) Ayoung Kim et al., Porosity Valley, Portable Holes (Seoul: Ilmin Museum of Art, 2018), S. 114–115.
(2) Henri Lefebvre, The Production of Space (Übersetzung ins Koreanische von Yang Yeongran, Seoul: Ecolivres, 2011), S. 106.
(3) Homi Bhabha, The Location of Culture (Übersetzung ins Koreanische von Na Byeongcheol, Seoul: Somyung Books, 2002), S. 278.
Bae Myungji (Kuratorin, National Museum of Modern and Contemporary Art, Korea)
aus: Katalog des Korea Artist Prize 2019 des MMCA (National Museum of Modern and Contemporary Art), Korea, Januar 2020.