Der Modus Operandi der spanischen Kolonisation
Soweit ich weiß, ist ANUNCIARON TORMENTA einer der wenigen spanischen Filme, die sich mit der kolonialen Vergangenheit Äquatorialguineas beschäftigen. Mein Interesse an diesem Thema entstand vor über zehn Jahren mit der Lektüre zur Geschichte der Anthropologie in Afrika. Es gab sehr wenig Literatur über dieses Territorium – das einzige in Subsahara-Afrika unter spanischer Herrschaft. Darüber hinaus schienen nur sehr wenige Menschen in Spanien zu wissen oder sich daran zu erinnern, dass Äquatorialguinea bis 1968 von Spanien regiert wurde.
Die meisten Texte, die sich mit dieser Periode befassen, stammen aus der Franco-Zeit und vermitteln das Bild von einer wohlwollenden, gnädigen Metropole, die die Einheimischen friedlich von der Güte der katholischen Religion überzeugt habe. Liest man genauer zwischen den Zeilen solcher Texte und recherchiert die unter Verschluss gehaltenen Dokumente, dann stößt man auf eine andere – eine gewaltsame – Geschichte.
Am Beispiel der Festnahme und des Todes von Ësáasi Eweera – einem der letzten Bubi-Anführer, der sich der spanischen Herrschaft offen widersetzte –, wie sie die offiziellen Geheimdokumente schildern –, wird der Modus Operandi der spanischen Kolonisation in diesem Teil Afrikas deutlich: ein Labyrinth der Bürokratie, die zentrale Stellung der religiösen Autoritäten und rassistischer Paternalismus.
Deshalb fokussierte sich meine Forschung vor Ort auf die Suche nach Berichten von Einheimischen, die diesen offiziellen Dokumenten etwas entgegensetzen. Eine Aufgabe, die darauf beruht, was Marianne Hirsch „Postmemory“ nannte, ohne die Beschränkungen dieses Konzepts zu leugnen.
Neben den Recherchen im Archiv und vor Ort in Spanien und Äquatorialguinea versuchte ich während des Schnittprozesses die audiovisuellen Grundsätze oder Mittel zu definieren und nicht nur den schon erwähnten Widerspruch zwischen der Version sich widersetzender Einheimischer und kolonialen Darstellungen zu betonen, sondern auch über genau diese Sichtbarkeit von bestimmten Bildern nachzudenken.
Entsprechend verfolge ich auf drei Wegen, die sich über den gesamten Film hinweg miteinander verflechten, folgende Ziele: den Stellenwert des Mündlichen gegenüber dem Schriftlichen zu untersuchen, historisch aufgeladene Orte zu identifizieren und die Materialität der Dokumente zu erkunden. Ein großer Teil des kreativen Prozesses bestand also im Experimentieren mit den Beziehungen zwischen diesen Wegen, um die Struktur und den Verlauf von ANUNCIARON TORMENTA festzulegen.
Auch der Schnitt wurde von solchen Überlegungen geleitet, wobei ich stets im Hinterkopf hatte, was der Autor und Wissenschaftler Justo Bolekia – der dankenswerterweise angeboten hatte, sein Gedicht über Ësáasi Eweera vor der Kamera vorzulesen – mir einmal gesagt hat, nachdem er sich zur Mitarbeit an dem Projekt bereiterklärt hatte: „Bubi, darunter auch ich, werden dir viele Dinge über ihre kollektiven und individuellen Erinnerungen erzählen, aber sie werden immer etwas für sich behalten. Das ist etwas, was du lernen musst.” (Javier Fernández Vázquez)
Interview mit Javier Fernández Vázquez: „Es geht darum, wie Wahrheit konstruiert, geformt, verändert oder korrigiert wird“
In Ihrem Film geht es um die spanische Kolonialherrschaft in Äquatorialguinea, die bis 1968 dauerte. Wie wird diese Zeit in Spanien heute bewertet?
Es gibt im Grunde keine öffentliche Debatte darüber, und ich denke, das zeugt von einer Art Amnesie in der spanischen Gesellschaft. Leider wissen die meisten Menschen in Spanien nicht einmal, dass Spanien in Subsahara-Afrika eine Kolonie hatte, oder sie erinnern sich nicht daran. Durch den Spanischen Bürgerkrieg und den Franquismus ist die historische Erinnerung in Spanien generell ein belastetes Thema, wobei der Kolonialismus – speziell der des 20. Jahrhunderts, da die spanischen Territorien in Afrika im Gegensatz zu denen von anderen europäischen Mächten sehr klein waren – nicht das zentrale Thema ist.
Gleichzeitig habe ich aber den Eindruck, dass seit einiger Zeit etwas in Bewegung kommt. Dank des sozialen und politischen Aktivismus der Nachkommen von Migrant*innen aus Äquatorialguinea und anderer rassifizierter Gruppen gibt es ein wachsendes Bewusstsein darüber, wie die koloniale Vergangenheit die Identität der Menschen beeinflusst, die in den Zentren der ehemaligen Kolonialmacht aufwachsen und leben. Arbeiten von Künstler*innen, unter anderem die des Filmemachers Ruben Bermúdez und der Schriftstellerin Lucía Asué Mbomio, sind gute Beispiele dafür.
Sie stellen zwei verschiedene Versionen ein und desselben Vorgangs, die Verhaftung des Bubi-Königs Ësáasi Eweera, nebeneinander. Auf der einen Seite haben wir die offiziellen Dokumente der spanischen Kolonialmacht, auf der anderen die mündlichen Berichte der Bubi. Historisch gesehen hatten die schriftlichen Dokumente einen höheren Status, aber beide Narrative sind fragmentarisch. Wie kam es zu dieser Gegenüberstellung, von welchen Überlegungen haben Sie sich leiten lassen?
Zentral für mich war der äquatorialguineische Wissenschaftler José Fernando Siale Djangany, dessen Forschung über Ësáasi Eweeras Tod eine Art Leitfaden für ANUNCIARON TORMENTA darstellte. Durch ihn stieß ich auf die von den spanischen Amtsträgern geschriebenen Berichte und Briefe. Wenn man sie in chronologischer Reihenfolge liest, beginnend mit dem epischen, einem Abenteuerroman ähnelnden Bericht der Guardia Civil, die ihn verhaftete, und endend mit dem listigen, sorgfältig ausgearbeiteten Brief des Generalgouverneurs, der Madrid von seinen Entscheidungen überzeugen wollte, dann sollte man ein besonderes Augenmerk auf das richten, was nicht geschrieben wurde, und auf die Gründe, weshalb manche Tatsachen in späteren Berichten plötzlich nicht mehr erwähnt werden – das Anzünden des Dorfes beispielsweise. Erzählungen – mündliche, aber auch schriftliche – sind per definitionem fragmentarisch. Es geht nicht darum, eine Wahrheit zu finden. Das wäre sehr naiv und arrogant. Es geht um eine Analyse der Art und Weise, wie Wahrheit konstruiert, geformt, verändert oder korrigiert wird, je nach dem Interesse derer, die in der Position sind, sie zu schreiben.
Ich habe aber auch eine Verpflichtung gefühlt, es nicht bei der Entlarvung jener Verschleierungsvorgänge und bei einer letztlich unnützen Übung in Textdekonstruktion zu belassen. Mir war schnell klar, dass ANUNCIARON TORMENTA auch eine Widerlegung und eine Zurückweisung dieser spanischen Versionen enthalten sollte. Es war für mich sehr auffällig, dass manche Leute in Äquatorialguinea mir, wenn ich sie auf Ësáasi Eweera ansprach, ein Buch zeigten, das die Version der Missionare wiedergab, inklusive der unglaubwürdigen Episode der Taufe. Andere Bubi machten das natürlich nicht. Auch das ist interessant und ein weiterer Grund dafür, dass Narrative fragmentarisch sind. Mündlichkeit und Erinnerung können mit geschriebenen Texten nicht konkurrieren. Die Kolonialmacht schuf eine simple, einleuchtende Geschichte, durch die die mündlichen Versionen, die nur dank der Erinnerung einiger Einzelpersonen über die Generationen hinweg überliefert werden konnten, gewissermaßen kontaminiert wurden.
In Hinblick auf die fragmentarischen Bedingungen der mündlichen wie schriftlichen Texte hatte ich Roland Barthes‘ Aussage im Kopf: „Je näher ein Dokument an einer Stimme ist, desto weniger entfernt ist es von der Wärme, die es produziert hat, und desto größer ist seine historische Glaubwürdigkeit. Deswegen ist ein mündliches Dokument dem schriftlichen überlegen.“ Ich denke nicht, dass man diese Auffassung für allgemeingültig halten muss, aber ich finde sie nützlich in einem Kontext von Machtbeziehungen, in denen nur eine Seite die Mittel zur Produktion von schriftlichen Dokumenten hat – wie im Falle des Todes von Ësáasi Eweera und vermutlich der meisten durch den Kolonialismus verursachten Konflikte anderswo.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Bubi?
Während der Produktion habe ich Kontakt zu verschiedenen Bubi-Organisationen in Madrid und in Bioko gesucht. José Fernando Siale Djangany, der eine Stimme im Film ist, habe ich bereits erwähnt, zu nennen ist aber auch der Bubi-Autor und Wissenschaftler Justo Bolekia, der sein Gedicht über Ësáasi Eweera vor der Kamera vorlas und die wunderbare Idee hatte, seine Tochter mitzubringen. Sie hatte Mühe mit der Bubi-Sprache, las aber dennoch das Gedicht vor. Das ist meine Lieblingsstelle im Film, Justo hatte die Idee dazu. Er vermittelte mir viele Kontakte in Bioko, und so konnte ich die Menschen kennenlernen, die im Film sprechen. Es ging dabei um Vertrauen und Respekt. Vor der finalen Schnittfassung traf ich mich nochmals mit Justo und José Fernando, und sie gaben mir einige Ratschläge. Ich möchte auch Ruben Monsuy erwähnen, einen äquatorialguineischen Filmemacher, dessen Sichtweise darüber, wie weiße Künstler*innen und Wissenschaftler*innen mit kolonialen Porträts von Einheimischen umgehen, mich stark beeinflusste im Zusammenhang damit, wie ich die wenigen Bilder dieser Art in den Film einband.
Sie arbeiten mit Bildern, die aus dem Weiß entstehen und ins Weiße verschwimmen, und mit dem Übereinanderschichten von Bildern, historischen Epochen und Bedeutungsebenen. Was steckt hinter dieser visuellen Strategie des Sichtbar- und Unsichtbarmachens?
Das Weiß benutze ich als Mittel, um die Vergangenheit und die Gegenwart, historische und gegenwärtige Orte miteinander zu verbinden. Es ist eine sehr einfache Idee, aber mir gefiel die Vorstellung des Überbelichtens – und des Manipulierens der Belichtungszeit – als eine paradoxe Methode, um Dinge nicht sichtbarer zu machen, sondern das genaue Gegenteil. Der Ausdruck ‚Licht auf etwas werfen‘ ist eigentlich irreführend. Durch das Hinzufügen von mehr und mehr Licht werden aus Orten Linien, Silhouetten, Flecken – Flecken, die gleichzeitig der Materialität von alten Fotografien ähneln. Irgendwie passte dieses Vorgehen zur Idee der Unmöglichkeit des Findens einer fundierten, klar umrissenen Wahrheit, während dadurch gleichzeitig weitere Komplexitätsebenen entstanden. Letztlich muss man als Filmemacher mit Bildern und ihrer Manipulation arbeiten, und ich hatte das Gefühl, dass dieses ästhetische Mittel die Dichotomie von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit unterstützen würde, die den Film durchzieht.
(Interview: Annette Lingg, Februar 2020)