Mit den Augen und Ohren einer künstlichen Intelligenz
Als biologische Spezies ist der Mensch heute mit den äußersten Grenzen seiner natürlichen Handlungsmöglichkeiten konfrontiert. Wir leben in einer Zeit, in der wir unseren eigenen Output kaum noch verarbeiten können; in einer Situation, in der es uns nicht mehr möglich ist, die Beziehungen zwischen verschiedensten Datentypen in vollem Ausmaß zu begreifen, oder durch eine immer komplexer werdende Welt zu navigieren, die wir selbst geschaffen haben. Stattdessen schenken wir Maschinen unser Vertrauen und entwickeln technisch hochkomplizierte Netzwerke, die für uns Daten systematisieren und analysieren. Diese ‚künstlichen Gehirne‘ besitzen insofern eine gewisse Autonomie, als sie nach eigenen Denkmustern und Erkenntnismethoden funktionieren; außerdem sind sie in der Lage, sich selbst zu optimieren – mit speziellen evolutionären Mitteln, die sich unserem Verständnis entziehen.
In der Kybernetik bezeichnet der Ausdruck ‚technologische Singularität‘ den hypothetischen Moment, in dem künstliche Intelligenzen in der Lage sein werden, sich selbstständig und auf unvorhersehbare Weise weiterzuentwickeln, und dies in einem Tempo, das unsere eigenen Fähigkeiten bei Weitem übersteigt. Genau in diesem Moment wird die Dominanz menschlicher Intelligenz auf der Erde beendet sein, und die in der von uns erschaffenen Maschinerie eingeschlossenen Denkvorgänge werden unvorhersehbar für uns sein.
Dieser hypothetische Moment war der Ausgangspunkt für die Realisierung von FREM: Ich wollte einen nicht-anthropozentrischen Film drehen, einen Film also ohne menschliche Hauptfigur, in dem die abstrakten mentalen Prozesse eines künstlichen Gehirns visualisiert und vertont werden. Die beunruhigende Erfahrung eines fremdartigen Denkens zu kommunizieren und eine nicht-menschliche Figur zu schaffen, mit deren Perspektive sich die Zuschauer*innen identifizieren können, stellte bei der Konzeption und Umsetzung die größte Herausforderung dar: Im Film geht es um eine künstliche Intelligenz, die zum Augenzeugen eines verschwindenden antarktischen Ökosystems wird – einer äußerst fragilen Region, in der sich schon bald die wohl extremsten Auswirkungen des Klimawandels abzeichnen werden. Zugleich erinnert die Antarktis an einen Zustand der Erde vor Millionen von Jahren, an eine Welt vor dem Menschen. Als Handlungsort des Films simuliert sie wiederum eine dystopische posthumane Welt, in der der Mensch aufgehört hat, Herrscher über die Natur zu sein.
Aus Sicht eines unbefangenen Beobachters ist der Mensch ein gleichwertiger Teil des Ökosystems und steht auf einer Stufe mit allen Arten physischer Materie (organisch wie anorganisch). Gerade in Zeiten des Klimawandels ist ein solcher Perspektivwechsel von essentieller Wichtigkeit.
Mitten in der Arktis
Die Dreharbeiten fanden über einen Zeitraum von sechs Wochen auf King George Island vor der antarktischen Küste statt. Das Team, bestehend aus der Regisseurin und zwei Crewmitgliedern, war während dieser Zeit in einer ecuadorianischen Schutzvorrichtung für Außenarbeiter untergebracht – im Grunde genommen ein Schiffscontainer, der mitten in der Antarktis für Notübernachtungen aufgestellt worden war. Die einzigen Möbelstücke darin waren zwei Etagenbetten, die Wände waren feucht und von Schimmel befallen. Der Benzingenerator, den die Crew mitgebracht hatte, reichte gerade aus, um die Batterien für das Filmequipment zu laden, ein kleines Heizaggregat zu betreiben und eine heiße Mahlzeit am Tag zu kochen. Wasser und Lebensmittel kamen von der polnischen Basisstation; oft verzögerten sich die Lieferungen jedoch aufgrund schlechter Wetterbedingungen.
Die einzige Kommunikation mit der Außenwelt – die einzige Gelegenheit, eine andere Stimme als die der Teammitglieder zu hören – erfolgte über einen Transmitter, der regelmäßig Wetternachrichten von der polnischen Basisstation auf der anderen Seite der Bucht empfing.
Um den Zuschauer*innen eine Möglichkeit zur Identifikation zu geben, wurde während des Drehs in der Antarktis ein narrativer Handlungsstrang mit einer menschlichen Hauptfigur aufgenommen. Die einzelnen Szenen wurden anhand eines Skripts gedreht, wobei diverse begleitende Einstellungen, die nicht unbedingt in direktem Bezug zur Story standen, mithilfe einer Drohne gefilmt wurden. Erst später, als das Produktionsteam einen Weg gefunden hatte, durch Musik und Sound eine künstliche Entität zu erzeugen, mit der sich die Zuschauer*innen potenziell assoziieren könnten, wurde die Storyline verworfen. So entstand ein Erfahrungsraum, in dem die subjektive Sicht der Drohne auf die Welt zwar dominant bleibt, der den Zuschauer*innen aber doch nahebringt, wie künstliche Intelligenzen die Dinge wahrnehmen. (Viera Čákanyová, Regie)
Wie die Entität innere und äußere Geräusche verarbeitet
Die Wahrnehmung einer künstlichen Intelligenz adäquat zu vermitteln, war eine spezielle Herausforderung für die Arbeit an Musik und Sounddesign. Zuerst wurde eine Art inneres ‚Bios‘ für die Entität kreiert (Geräuschmomente/Stille), gefolgt von Interaktionen, die bestimmte Veränderungen in der Bewegungsdynamik anzeigten, und der Gestaltung weiterer narrativer Soundsituationen. Schließlich generierten wir die einzigartige Form, in der die Entität innere und äußere Geräusche verarbeitet. Die Entität nimmt den akustischen Raum ganz anders als ein Mensch wahr, und so wurden die Soundeffekte und andere Geräusche, die die Regisseurin Viera Čákanyová beisteuerte (zum Beispiel der Klang von Eisschollen und von tropfendem Wasser, Vogelzwitschern, Walgesänge, Meeresrauschen oder sogar Musik von Johann Sebastian Bach), mithilfe des Sounddesigners Standa Abrahám einer granularen oder anderweitig algorithmischen Synthese unterzogen. Was wir in dem Film hören, ist also die ganz spezifische Art und Weise, in der eine künstliche Intelligenz die Welt wahrnimmt. (Miro Tóth, Sounddesign)
Die Antarktis selbst half
Sich vorzustellen, wie künstliche Intelligenzen Dinge wahrnehmen, war eine äußerst schwierige, wenn nicht sogar unmögliche Aufgabe. Je länger man darüber nachdachte, desto ferner schien die Lösung. Umso mehr half das Setting der Antarktis selbst bei diesem Unterfangen, da die dort herrschenden Bedingungen die Konzeption des Films von Minute zu Minute veränderten. Es war beispielsweise völlig normal, dass das Filmteam manchmal mehrere Tage warten musste, bevor es überhaupt möglich war, nach draußen zu gehen, oder bis der Wind die Eisschollen so weit auseinandergetrieben hatte, dass man mit dem Boot hinausfahren konnte. Nach zehn Tagen im feuchten Container schien sogar ein Tag, den man mit nichts anderem als dem Schlittern über das Eis oder dem Schwimmen im Ozean verbrachte, eine gute Idee zu sein. Im Anschluss an plötzlich einbrechende Kältewellen und dem damit verbundenen Überlebenskampf im Schlafsack war es die Schönheit der umgebenden Landschaft, aus der sich die kreative Energie der Crew speisen konnte – womöglich war es gerade diese Erfahrung des Außer-Sich-Seins, die es uns erlaubte, uns in die Wahrnehmung einer anderen Entität hineinzuversetzen. (Tomáš Klein, DoP)