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106 Min. Deutsch.

In der Kunstwerkstatt Mosaik arbeiten Künstler*innen mit Behinderung an ihren Werken. Sabine Herpich beobachtet sie bei der Arbeit und richtet den Blick auf die Institution selbst, auf die Abläufe, das Personal, die Räumlichkeiten. Dem Film gelingt es, nicht die Behinderung der Menschen in das Zentrum zu stellen, sondern die künstlerische Arbeit. Um diese herum formiert sich die Institution und wird so primär als Institution für die Kunst und nicht als Institution für Menschen mit Behinderung sichtbar. Die Idee von Kunst wird ganzheitlich, beinhaltet die Menschen, die sie machen, wie auch die Orte, an denen sie erzeugt wird, meint das Sehen der Werke, das Sprechen über sie, meint aber auch: Kunst als Arbeit, mit Arbeitszeiten und Gehalt. Die Filmemacherin selbst ist nicht unsichtbar. Sie fragt die Künstler*innen nach ihren Gedanken, Ideen, Vorgehensweisen. In der Begegnung der Künstler*innen vor der Kamera mit dem Blick der Filmemacherin entsteht eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilität – für die Gestimmtheiten der Werke, ihrer Schöpfer*innen und Betrachter*innen, wie auch für die behutsame, nicht schüchterne, genaue, sich nicht verschließende Form dieses Films über Kunst. (ab)

Sabine Herpich wurde 1973 in einer bayerischen Kleinstadt geboren. Sie studierte Philosophie, Neuere deutsche Literatur und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Montage an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. 2012 realisierte sie zusammen mit Gregor Stadlober ihren Abschluss- und Debütfilm Neukölln-Aktiv. Herpich ist seit 2015 Mitglied des fsk Kino-Kollektivs und des Peripher Filmverleihs in Berlin, wo sie als freischaffende Filmemacherin und Editorin lebt und arbeitet.

Außenseiterkunst wird anders behandelt

Bevor ich an diesem Film gearbeitet habe, hatte ich keinerlei Kontakt zu Menschen mit Behinderung – das ausdifferenzierte Gesellschaftssystem, in dem wir leben, verhindert diese Kontakte mehr, als dass es sie fördert, obgleich die Wörter ‚Diversität‘ und ‚Inklusion‘ dauerpräsent sind. Auch in der Kunstwelt wird unterschieden zwischen Bildern von Menschen ohne Behinderung und der sogenannten Outsider-Art von Künstler*innen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen. Außenseiterkunst wird anders behandelt, gesondert ausgestellt und oft für wesentlich weniger Geld verkauft als Kunst von Menschen ohne Behinderung – aber warum eigentlich? Sieht man sich nur die Bilder und Skulpturen an, kann man oft nicht erraten, ob sie von Außenseiterkünstler*innen sind oder von Menschen ohne Behinderung. Der Film soll zur Reflexion darüber einladen, wann idiosynkratische Beschäftigung Kunstproduktion ist und wann Symptom oder einfach nur Beschäftigungstherapie; und darüber, wo diese Sphären aneinandergrenzen, ineinander übergehen, oder ob der Unterscheidungsversuch sinnlos ist angesichts eines höchst eigenwilligen Ausdrucks, der unabhängig von der Produktionsweise seine Qualitäten entfaltet. (Sabine Herpich)

Die Kunstwerkstatt Mosaik

Die Räume der Kunstwerkstatt befinden sich im obersten Stock der Spandauer Zweigstelle der Mosaik-Werkstätten. Auf die anderen Stockwerke verteilen sich die für Behindertenwerkstätten typischen Abteilungen: Holzverarbeitung, Industriemontage, Lebensmittelverarbeitung usw. Wer in die Kunstwerkstatt aufgenommen wird, hat großes Glück: Dort gibt es keine Vorgaben, keinen Leistungsdruck, sondern völlige Freiheit und Unterstützung bei der Umsetzung eigener Ideen. Seit 1996 existiert die Kunstwerkstatt, die sich grundlegend von gängigen Kunsttherapieangeboten für Menschen mit Behinderung unterscheidet: Sie bietet kein Beschäftigungsangebot, sondern fördert talentierte Menschen und ermöglicht es ihnen, ihre künstlerische Begabung zum Beruf zu machen. Inzwischen sind die Künstler*innen der Spandauer Werkstatt auch auf dem Kunstmarkt gefragt. Regelmäßig werden ihre Bilder von Kurator*innen gesichtet und für Ausstellungen ausgewählt. In mehr als achtzig Ausstellungen im In- und Ausland waren ihre Bilder bislang zu sehen, einige davon gewannen Preise. (Büchner Filmproduktion)

Die Sammlung Prinzhorn

Outsider-Art oder Art brut, wie autodidaktische Kunst von Psychiatriepatient*innen und Menschen mit geistiger Behinderung genannt wird, gewinnt auch auf dem internationalen Kunstmarkt an Bedeutung. Systematisches Interesse dafür gibt es allerdings erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals sammelte der Kunsthistoriker und Arzt Hans Prinzhorn Kunst, die in psychiatrischen Einrichtungen entstand, vom Personal aber als unbedeutend bewertet und vernichtet wurde. 1922 veröffentlichte Prinzhorn 1922 in seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ Abbildungen von den gesammelten Bildern und Skulpturen; das Buch wurde bald zur Bibel der Surrealisten. Mit dem Nationalsozialismus begann die abermalige Umwertung dieser Kunstwerke: 1937 präsentierte und diffamierte die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ einige Werke aus der Sammlung Prinzhorn, um die zeitgenössische Kunst zu entwerten. Danach wurde die Sammlung auf dem Dachboden der Heidelberger Universität deponiert und erst 1973 mit Hilfe von Fördergeldern wieder hervorgeholt und katalogisiert. Seit 1980 werden die von Prinzhorn gesammelten Kunstwerke in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert.
Die sogenannte Außenseiterkunst ist heute zwar sichtbarer als früher, dennoch steht sie nicht gleichwertig neben den Kunstwerken von Menschen ohne Behinderung – als fehle ihr das Bewusstsein, das Können, so etwas wie eine sinnstiftende Botschaft; als wäre sie lediglich kindlich-fröhliche Kunst. Nur selten werden diese Kunstwerke von größeren Museen für Ausstellungen ausgewählt und gleichberechtigt neben Kunstwerken von Menschen ohne Behinderung präsentiert. Woher kommt der Wunsch nach dieser Unterscheidung? Gibt es Kunst mit Behinderung? (Büchner Filmproduktion)

Produktion Sabine Herpich, Tobias Büchner. Produktionsfirmen Sabine Herpich (Berlin, Deutschland), Büchner Filmproduktion (Köln, Deutschland). Regie Sabine Herpich. Kamera Sabine Herpich. Montage Sabine Herpich. Sound Design Marilyn Janssen. Ton Sabine Herpich. Colour Grading Florian Lampersberger. Mit Adolf Beutler, Suzy van Zehlendorf, Gabriele Beer, Till Kalischer, Nina Pfannenstiel, Laura Nieße.

Filme

2012: Neukölln-Aktiv (97 Min., Co-Regie: Gregor Stadlober). 2014: Zuwandern (81 Min., Co-Regie: Diana Botescu). 2016: David (81 Min.). 2018: Ein Bild von Aleksander Gudalo (45 Min.).

Foto: © Sabine Herpich

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