Schuld und Schuldgefühle
NAMO handelt von Entfremdung. Der Film erzählt die Geschichte eines Volkes, das im eigenen Land an den Rand gedrängt wird. In diesem Land werden die Menschen wie Kriminelle behandelt, obwohl sie eigentlich nichts verbrochen haben. Es geht um eine Gesellschaft, die sich ihren Mitgliedern gegenüber beleidigend verhält. Eine Gesellschaft, in der ein einfacher Lehrer zum Verdächtigen wird, nur weil er neu in der Stadt ist, in der er lebt. NAMO versucht, die Atmosphäre im heutigen Iran darzustellen, in der man als schuldig gilt, ohne zu wissen, warum.
Bei der Produktion des Films haben wir die Menschen vor Ort gebeten, mitzuspielen, um die Authentizität des Films zu erhöhen.
Der Film zeigt, wie das stille und als geheimnisvoll erlebte Verhalten von Fremden zu Spannungen unter den Einheimischen führt. Die Fremden fühlen sich oft aus ganz nichtigen Gründen schuldig und geraten leicht aus der Fassung. Unter so belastenden Bedingungen sind sie sehr verletzlich, denn ihr Leben ist geprägt von ständigen Verdächtigungen und gegenseitigen Beschuldigungen. Verantwortlich dafür ist die Regierung, die ihren Bürgern Schuldgefühle aufbürdet, ohne dass sie etwas Illegales getan haben.
Diese Methoden machen es dem Staat leichter, im Sinne seiner Ideologie zu manipulieren. Die Produktion des Films stieß aufgrund seiner provokanten Themen auf viele Schwierigkeiten. Aber wir haben diesen Film gemacht, weil er ein wahrheitsgetreuer Spiegel der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation im Iran ist.
NAMO handelt auch von verbaler Gewalt. Ein Fremder wird missverstanden, nur weil er nicht die gleiche Sprache wie die Einheimischen spricht. Er kann sich nicht mit den Mitgliedern der örtlichen Gemeinschaft verständigen und ist gezwungen, die Stadt zu verlassen. Zugleich erbt er das, was sein Vater hinterlassen hat. (Nader Saeivar)
Gespräch mit Nader Saeivar: „Das könnte in jeder iranischen Stadt passieren“
NAMO ist die Geschichte eines Lehrers, der sich Verdächtigungen ausgesetzt sieht, ohne dass er sich etwas hat zuschulden kommen lassen. Wir sehen einen warmherzigen Menschen, der keine Chance hat, mit seiner Familie ein unbehelligtes Leben zu führen. Wo spielt der Film, und wieso haben Sie die Handlung dort angesiedelt?
Der Film spielt in einer der größten Städte im Iran, aber er erzählt eine Geschichte, die sich in jeder iranischen Stadt abspielen könnte. Es war mir wichtig, dass die Hauptfigur fremd in dieser Stadt ist. Ich wollte, dass der Protagonist der Falle, in die er gerät, nicht entkommen kann. Das könnte ihm in jeder iranischen Stadt passieren, deren Sprache er nicht spricht.
Sie haben das Drehbuch zusammen mit Jafar Panahi geschrieben, mit dem Sie schon an anderen Projekten gearbeitet haben. Wie sah Ihre Zusammenarbeit aus, und wie haben Sie die Figur ihres Protagonisten entwickelt?
Ich arbeite seit etwa vier Jahren mit Jafar Panahi zusammen. Er ist mein Lehrer. Meistens kommt der ursprüngliche Entwurf für einen Film entweder von ihm oder von mir. Dann sprechen wir lange darüber. Das kann ein Jahr oder länger dauern. Dann beginnt das Schreiben, und aus dem ursprünglichen Entwurf wird ein Drehbuch; nacheinander entstehen die Sequenzen. Die Hauptarbeit besteht anschließend darin, weitere Fassungen zu schreiben und schließlich eine finale Version zu erstellen. Weil wir in verschiedenen Welten gelebt haben und aus verschiedenen Generationen stammen, vergrößert sich die Welt des Drehbuchs und ganz unterschiedliche Figuren können Teil der Geschichte werden.
Haben Sie mit Laien gearbeitet? Und wie haben sie auf die Einladung, in dem Film mitzuspielen, reagiert?
Nein, bei den Mitwirkenden handelt es sich um Schauspieler*innen aus dieser Stadt, die dort am Theater arbeiten und auch in iranischen Filmen mitwirken. Sie sind jedoch keine bekannten Persönlichkeiten des iranischen Kinos. Sie haben sich sehr gefreut, als ich ihnen angeboten habe mitzuspielen. Wichtig war für mich, dass ich Personen besetzen konnte, die den Figuren sowohl im Aussehen als auch in ihrem persönlichen Leben nahe sind. Es war nicht schwer für sie, die Figuren im Film zu verstehen, denn der Film handelt von ihnen selbst und der Gesellschaft, in der sie leben. Gelegentlich haben die Darsteller sogar bei den Dialogen improvisiert und sie ergänzt.
NAMO ist Ihr erster langer Spielfilm. Was waren die größten Herausforderungen dieses Projekts für Sie?
Die wichtigste Herausforderung für mich war der künstlerische Stil des Films; ich wollte einerseits nicht riskieren, einen Film in dem Stil zu machen, den ich liebe, und andererseits nicht in die Falle einer typischen, handgezeichneten Form tappen. Ein Drahtseilakt. Der Film hätte leicht zu artifiziell wirken können. Er hätte auch so sehr in seine Form verliebt sein können, dass der Sinn der Szenen und der Inhalt des ganzen Buchs verschwunden wären! Die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Kunstform und der Vermittlung von Inhalt war bei der Produktion dieses Films eine der größten Herausforderungen für mich.
(Interview: Gabriela Seidel-Hollaender, Februar 2020)