Direkt zum Seiteninhalt springen

90 Min. Englisch, Französisch.

Toronto im Jahr 1899. Der junge William Lyon Mackenzie King kandidiert für das Amt des Premierministers. Das satirische und anarchistische Fantasie-Biopic The Twentieth Century erkundet die Leiden des jungen Politikers, der später langjähriger Premierminister Kanadas werden sollte. Ernsthafte ödipale Konflikte, eine Obsession für getragene Schuhe und Anti-Onanie-Therapien machen es dem jungen Mackenzie King schwer, seiner Berufung nachzugehen. Er stolpert, von der autoritären Mutter getrieben und auf der Suche nach Liebe, durch eine klaustrophobische Welt, in der klirrender Winter herrscht. Auf 16 mm und Super8 gedreht, erzählt Regisseur Matthew Rankin Kings Geschichte in einer von Guy Maddin inspirierten Ästhetik, es gibt zahlreiche Reminiszenzen an Stummfilme, Melodramen und Comic-Literatur der 1930er Jahre. Minimalistische und zugleich expressionistische Bühnenbilder aus Pappe schaffen eine traumartige Kulisse für Gender Bending und theatralisches Spiel. Dieses Debüt legt die kanadische Geschichte auf munter-pervertierte Weise aus, inklusive ejakulierendem Kaktus und einem Eislauf-Finale im Spiegellabyrinth. (ja)

Matthew Rankin wurde 1980 in Winnipeg (Kanada) geboren. Er studierte am Department of History and Classical Studies der McGill University in Montreal sowie an der Université Laval, Québec. Er war Artist in Residence bei der Corporation of Yaddo (Saratoga Springs, New York), der MacDowell Colony (Peterborough, New Hampshire) und am Klondike Institute of Art & Culture (Dawson City, Yukon, Kanada). 2011 nahm Rankin an den Berlinale Talents teil. Nach zahlreichen Kurzfilmen ist The Twentieth Century sein erster abendfüllender Film.

Kanadas verborgene Pathologien

THE TWENTIETH CENTURY ist mein erster Spielfilm. Wie bei all meinen Kurzfilmen war die Regie dieses Films vergleichbar mit einem mutwilligen Neustart der Hindenburg in dem Wissen, dass sie am Ende explodieren würde. Gleich einem brünstigen Lachs, der sich auf lächerliche Weise herumhüpfend den Fluss hinaufarbeitet und danach sehnt, im Moment seines schöpferischsten Ergusses tatsächlich zu sterben, ist das Erzeugen der von mir angestrebten Bilder so schwierig, dass es meine reproduktiven Fähigkeiten ständig zu übersteigen droht. Der daraus entstandene Film ist ein hemmungsloses surrealistisches Epos, ein aufrührerischer Angriff auf die Form des biografischen Films und ein Klagelied auf den Nihilismus des 21. Jahrhunderts. Außerdem ist er ein umfassender Versuch, meine kanadischen Landsleute zu ärgern.
Der Film thematisiert die jugendlichen Obsessionen des am längsten amtierenden Premierministers von Kanada, William Lyon Mackenzie King (1874–1950). Als ich das Tagebuch des jungen Politikers las, war ich erstaunt, wie sehr es meinem eigenen Tagebuch ähnelte: voller psychosexueller Verwirrung, gespickt mit melodramatischen Ergüssen und vor selbstgefälliger Mutterverehrung strotzend. Ich spürte, dass ich in diesem Mann ebenso meine eigene gestörte Kindheit wiederfinden konnte, wie ich in seinen frühen Bekenntnissen meine eigene vergeudete, gehorsame Jugend miterlebte. Und als ich mir seinen Freud’schen Aufruhr näher ansah, hatte ich das Gefühl, als könnte ich direkt in die verborgensten Pathologien von Kanada selbst blicken.
Ich würde THE TWENTIETH CENTURY eher als einen Alptraum bezeichnen, den Mackenzie King 1899 gehabt haben könnte, denn als einen streng auf Fakten basierenden biografischen Film. Ähnlich wie unser gequälter schlafender Geist die Details unseres wachen Lebens verarbeitet, werden reale Figuren und Ereignisse aus Kings tatsächlichem Leben durch ein oneirisches Prisma eingespeist und tauchen in dem Film vollkommen verwandelt auf. Manche historische Filme versuchen ihre Manipulationen zu verbergen, aber ich glaube, dass selbst die strengsten ‚auf wahren Begebenheiten basierenden‘ biografischen Filme immer mehr Traum als Wirklichkeit sein werden. Mein filmisches Nervensystem ist eng mit einer langen Reihe von Stilisten verbunden – Lang, Fellini, Zeman, Maddin, Waters, Terry Jones –, die sich voller Begeisterung die Kunstgriffe des Kinos zu eigen machten. Der eklatant artifizielle Charakter von THE TWENTIETH CENTURY ist auch Teil seiner historischen Beweisführung. Ich wollte, dass das Publikum schonungslos mit der Künstlichkeit der im Aufbau befindlichen Nation konfrontiert wird.
Ich betrachte diesen Film nicht als politischen Film, dennoch geht es darin unablässig um die Ausübung von Macht. Mehr als jeder andere Politiker, den ich kenne – und ganz ähnlich wie die Nation, die er führen sollte –, verkörpert Mackenzie King die nichtssagende Überzeugung des politischen Zentrums. Zwischen Utopie und Slapstick, zwischen Sanftmut und der Wut des 20. Jahrhunderts, zwischen Gut und Böse bewegte Mackenzie King sich sehr vorsichtig auf einer Linie genau in der Mitte. Sein Vermächtnis wird überall dort gefeiert werden, wo wir die am meisten kompromittierende Version unserer selbst feiern. Aber in einem Zeitalter wie dem unseren, das jeden Tag fanatischer, dualistischer und politisch extremer wird, beschäftigt mich die Idee des politischen Zentrums – seine Weisheit und Absurdität ebenso wie die heimtückische Gefahr, die es darstellen kann. THE TWENTIETH CENTURY ist meine Art, diese Gedanken zu erforschen, während die Welt auf den Moment ihres Zusammenbruchs zustrebt. (Matthew Rankin)

Abwärtsspirale aus Selbstmitleid

Dieser urkomische, anmaßende und unzuverlässige biografische Film über den ehemaligen kanadischen Premierminister William Lyon Mackenzie King ist ein überraschend verrücktes, schrilles filmisches Wunderwerk. Das provokative Debüt des kanadischen Filmemachers Matthew Rankin richtet den Fokus auf die Geschichte von Kanadas zehntem Premierminister, William Lyon Mackenzie King. (…) Als seine Hoffnungen auf einen Sieg durch einen unerwarteten Rivalen zunichte gemacht werden, gerät er in eine Abwärtsspirale aus Selbstmitleid und sexueller Befriedigung durch unerlaubtes Schnüffeln an Schuhen. Man braucht keine fundierten Kenntnisse (oder überhaupt irgendwelche Kenntnisse) über die politische Geschichte Kanadas zur Zeit der Jahrhundertwende, um den absurden Humor und die abseitige visuelle Ästhetik von THE TWENTIETH CENTURY zu schätzen. Rankins Schwäche für analoge Filmtechniken und seine Vorliebe für obskure historische Details – die an seinen kanadischen Kollegen Guy Maddin erinnern – sind in jedem abgefahrenen, handwerklich tadellosen Einzelbild zu erkennen.

(Filmadelphia.org)

Produktion Gabrielle Tougas-Fréchette, Ménaïc Raoul. Produktionsfirma Voyelles Films (Montreal, Kanada). Regie, Buch Matthew Rankin. Kamera Vincent Biron. Montage Matthew Rankin. Musik Peter Venne, Christophe Lamarche-Ledoux. Sound Design Sacha Ratcliffe. Ton Lynne Trépanier. Production Design Dany Boivin. Kostüm Patricia McNeil. Mit Dan Beirne (Mackenzie King), Mikhaïl Ahooja (Bert Harper), Catherine Saint-Laurent (Ruby Elliott), Sarianne Cormier (Nurse Lapointe), Brent Skagford (Arthur Meighen), Richard Jutras (Vater), Trevor Anderson, Kee Chan (Dr. Milton Wakefield), Sean Cullen (Lord Muto), Annie St-Pierre (J. Israël Tarte).

Weltvertrieb Best Friend Forever

Filme

2006: Où est Maurice? (5 Min.), Death by Popcorn (50 Min.). 2007: Sharhé Halé-Shakhsi (3 Min.). 2008: Cattle Call (4 Min.), Hydro-Lévesque (15 Min.). 2010: Negativipeg (15 Min.). 2011: Tabula Rasa (10 Min.). 2014: Mynarski: Death Plummet (8 Min.). 2017: Tesla: World Light (5 Min.).

Foto: © Voyelles Films

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur