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70 Min. Englisch, Hebräisch, Arabisch.

The Viewing Booth widmet sich in einer laborähnlichen Versuchsanordnung dem Erleben von Bildern und der Frage, was wir als Wahrheit begreifen: Wie konstruieren wir Wahrheit, damit sie zu unseren Überzeugungen passt? Der Regisseur Ra’anan Alexandrowicz, dessen Filme The Law in These Parts (2011) und The Inner Tour (2001) unterschiedliche Aspekte der israelischen Besatzung beleuchten, hat im Internet veröffentlichte Videos der Menschenrechtsorganisation B’Tselem gesammelt und das Material, das die Präsenz des israelischen Militärs in der Westbank dokumentiert, Studierenden einer US-amerikanischen Universität gezeigt. Er filmte ihre Reaktionen und lud eine von ihnen, Maia Levy, sechs Monate später zu einem zweiten Screening ein. Sie sieht sich nun selbst dabei zu, wie sie sich Filmmaterial, das ihren politischen Überzeugungen zuwiderläuft, ansieht. Was hierbei zum Ausdruck kommt, ist vielschichtig, verwirrend, aufschlussreich und geht über den israelisch-palästinensischen Konflikt weit hinaus. Maia Levys freimütige Analyse ihrer eigenen Kommentare wurde fast unverändert übernommen und vermittelt den Zuschauer*innen, dass Sehen nicht immer Glauben heißen muss. (jn)

Ra’anan Alexandrowicz wurde 1969 in Jerusalem (Israel) geboren. 1996 schloss er sein Studium an der Jerusalemer Sam Spiegel Film & Television School ab. Nach seinem Debütfilm Rak B'Mikrim Bodedim folgten weitere dokumentarische Werke sowie sein erster Spielfilm James’ Journey to Jerusalem. Alexandrowicz war mehrmals als Berater des Sundance Institute Documentary Fund tätig.

Sehen wir dasselbe, wenn wir dasselbe ansehen?

Während des Spanischen Bürgerkriegs schrieb ein bekannter Londoner Rechtsanwalt einen Brief an Virginia Woolf, in der er ihr folgende, möglicherweise als Provokation gedachte Frage stellte: „Wie können wir Ihrer Meinung nach einen Krieg verhindern?“ In ihrer Antwort schlug Woolf zunächst vor, die Verwendung des Wörtchens „wir“ in einem kleinen Gedankenexperiment zu untersuchen. Was würde passieren, so fragte sie ihn, wenn beide die allwöchentlich veröffentlichten Bilder des Krieges betrachteten? „Wir wollen doch einmal sehen“, so schrieb sie, „ob wir beide beim Anblick derselben Bilder auch dieselben Gefühle verspüren.“
Als ich vor fünf Jahren das erste Mal auf diesen Briefwechsel stieß, war dies der Moment, in dem die Idee zu meinem Film THE VIEWING BOOTH entstand. Woolf schrieb diese einfachen und prophetischen Worte zu einer Zeit, als die Fotografie des menschlichen Leids sich zu einem Medium der Wahrheit entwickeln sollte. Als ich diese Worte achtzig Jahre später zu einer Zeit las, in welcher der Begriff Wahrheit im öffentlichen Diskurs sehr umstritten ist, fragte ich mich: Sehen Menschen, die meine Bilder betrachten, dasselbe wie ich?
Woolfs Worte erlaubten es mir, oder besser gesagt, sie verlangten von mir, die Funktionsweise nicht-fiktionaler Bilder, vor allem auch hinsichtlich ihrer Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte und sozialen Gerechtigkeit, zu hinterfragen. Jahrelang war ich auf der Suche nach den geeigneten filmischen Mitteln. Wenn Dokumentarfilme die Realität erforschen, so sagte ich mir, dann muss es auch einen Weg geben, die in diesen Filmen abgebildete Realität zu erkunden. Je länger ich nach einem filmischen Weg dafür suchte, desto häufiger beschlich mich das Gefühl, dass ich, um Bilder zu verstehen, nicht mehr auf die Bilder schauen, sondern die Kamera auf die Betrachter*innen richten sollte. THE VIEWING BOOTH ist das Ergebnis dieser Überlegungen.
Obwohl der Film Fragen berührt, die mich über einen langen Zeitraum beschäftigt haben, ist THE VIEWING BOOTH letzten Endes beinahe zufällig während eines Drehs entstanden, bei dem ich eigentlich nur eine Projektidee in einem Pilotfilm erproben wollte. Meine jahrelangen Überlegungen fanden plötzlich und unerwartet ihre filmische Ausdrucksform, als die mir bis dahin unbekannte Maia Levi eine provisorische Filmkabine betrat, die ich an der Temple University in Philadelphia aufgestellt hatte. Maias Dialog mit den Bildern aus Palästina und Israel und die Art und Weise, wie sie ihre eigene Wahrnehmung in Worte fasste, brachte mich dazu, mich ganz anders mit meiner Arbeit als Bildgestalter auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist ein kleiner, intimer Film, der die Zuschauer*innen auffordert, sich mit grundlegenden, universellen Fragen zur Wahrnehmung nichtfiktionaler Bilder in der heutigen Zeit zu beschäftigen.
Der introspektive Charakter von THE VIEWING BOOTH bestimmte die unkonventionelle Form und Struktur des Films, die bisweilen an einen Spiegel oder einen Spiegelsaal erinnert. Mit Fortschreiten der Arbeit erkannte ich, dass nicht nur Maia und ich durch diesen Film mit unseren eigenen Reflexionen konfrontiert wurden. Wenn THE VIEWING BOOTH sein Ziel erreicht, dann wird er auch seinen Zuschauer*innen und der nichtfiktionalen Tradition einen Spiegel vorhalten – einer Tradition, der ich mich zugehörig fühle. (Ra'anan Alexandrowicz)

Produktion Ra'anan Alexandrowicz, Liran Atzmor. Produktionsfirmen Ra'anan Alexandrowicz (Philadelphia, USA), Liran Atzmor (Tel Aviv, Israel). Regie, Buch Ra’anan Alexandrowicz. Kamera Zachery Reese. Montage Neta Dvorkis, Ra'anan Alexandrowicz. Sound Design Rotem Dror. Ausführende Produzent*innen Annie Roney, Kirsten Johnson, Susan Norget. Mit Maia Levy.

Weltvertrieb ro*co films

Filme

1996: Rak B'Mikrim Bodedim / Self Confidence Ltd. (20 Min.). 1999: Martin (52 Min., Forum 2000). 2001: The Inner Tour (85 Min., Forum 2001). 2003: James’ Journey to Jerusalem (91 Min.). 2011: The Law in These Parts (101 Min.). 2019: The Viewing Booth.

Foto: © Zachary Reese

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