Schon immer habe ich mich für Inszenierungen der Wissensvermittlung interessiert und den Punkt, an dem diese zu einer Bühne einer ganz anderen Art werden können. Nehmen wir das Beispiel, anhand dessen Robert Smithson die Entropie erklärt: Ein Junge rennt in einem Sandkasten umher, der je zur Hälfte mit weißem und schwarzem Sand gefüllt ist. Läuft der Junge im Uhrzeigersinn, dann wird der Sand grau. Dreht er nun um und beginnt in die andere Richtung zu laufen, wird der Sand jedoch nicht wieder in zwei unterscheidbare Hälften aufgeteilt. Dies ist ein konkretes Beispiel, das zwar fiktiv ist, aber als offensichtliches Hilfsmittel gedacht ist, um ein abstraktes Konzept zu vermitteln. Mich interessiert der Status dieser ausgedachten Materialien und was passiert, wenn wir sie untersuchen.
Die aus diesem Interesse heraus entstandenen Arbeiten haben je unterschiedliche Ausgangspunkte, darunter Fallstudien zur Risikobeurteilung im Zusammenhang mit einer Reihe mysteriöser Brände im französischen Jura, eine psychologische Fallstudie zu negativer Halluzination, Gedächtnispaläste und deren Verbindung zu farblosem Sehen oder Glasmalerei als frühe Form der Kommunikation mit einer analphabetischen Öffentlichkeit. Meine neueste Arbeit NIGHT FOR DAY beschäftigt sich mit der filmischen Technik Amerikanische Nacht (engl. Day for Night), die umgekehrt wird, um über Technologien, Kontrolle und Utopie im heutigen Lissabon nachzudenken.
Die seltsame Permanenz von Bildern, die ihren ursprünglichen Nutzen überdauern und erneut in Umlauf gelangen, kann sie zu Anschauungsobjekten für viele Dinge machen: von historischem Materialismus über die Natur des materiellen Gedächtnisses bis hin zur Kraft einer nicht als oberflächlich erachteten Ästhetik. Doch auch die erdachten Räume selbst interessieren mich und die Frage, warum sie uns helfen zu erinnern, zu verstehen und Verbindungen herzustellen. Dies können, um bei den oben genannten Beispielen zu bleiben, die erdachten Räume einer Fallstudie, der Metapher, der Halluzination, der Utopie oder der Geister sein. Sie können der „als-ob“-Raum sein, in den hinein wir improvisieren, oder die Online-Schule, in der wir lernen. Was all diesen Räumen eigen ist, ist ihre Abhängigkeit von einer Konkretisierung, die sich nie materialisiert und doch auf der Idee von Material fußt.
Das von mir genutzte Medium reflektiert immer den Inhalt der Arbeit selbst: Als ich eine Arbeit zu Feuer machte (NO TRACE OF ACCELERATOR), nutzte ich Improvisation, um mich mit Unvorhersehbarkeit auseinanderzusetzen; in meiner Arbeit zu Gedächtnispalästen (THE PALACE) arbeitete ich mit digitaler Manipulation, die feste Objekte so erscheinen ließ, als befänden sie sich in einem stetigen Formationsprozess; und als ich die Arbeit SEA OAK mit einem linken Think Tank in den USA machte, der zur Metapher in der politischen Rhetorik forschte, stellte ich einen 16-mm-Film ohne Bilder her, der damit beginnt, dass Eric Haus uns bittet, uns einen Vogel vorzustellen – dieses Bild, das sich im Geist der Zuschauer*innen bildet, ist das einzige Bild des Films.
NIGHT FOR DAY fragt, wie ein Essayfilm aussehen könnte, wenn er von einem Algorithmus hergestellt würde.
NIGHT FOR DAY besteht aus Interviews mit Menschen zweier verschiedener Generationen, die in Lissabon leben. Die Interviews erlauben den Figuren für sich selbst zu sprechen und zu verbalisieren, wie ihre eigenen bewussten und unbewussten Ideologien ihren Alltag durchdringen. Die den Atlantik überquerende Technologie – eine Bewegung, in deren Zuge die Ideen einer Westküste auf eine andere Westküste übertragen werden – wird zum Katalysator für ein Nachdenken über den Nicht-Ort der Utopie und dessen Einfluss auf die Materialität. Diese Überquerung erlaubte mir zudem über die Idee von Gender als Performativität nachzudenken und die Frage zu stellen, wie diese Welle in einem Land wie Portugal brechen mag, das keine Moderne erlebt hat.
NIGHT FOR DAY fragt, wie ein Essayfilm aussehen könnte, wenn er von einem Algorithmus hergestellt würde: Er besteht aus Fragmenten, die sich oft in narrativen Filmen wiederfinden – Charaktere, Handlungsorte, Requisiten. Jedoch fällt es ihm schwer, die Grenzen menschlicher Beziehungen und der menschlichen Wahrnehmung von Zeit zu verstehen – er ist von diesen Einschränkungen befreit und wird gleichzeitig von seinem Mangel an körperlicher Erinnerung zurückgehalten. In dieser Überheblichkeit spiegeln sich Philosophien wie OOO (Object Oriented Ontology), die aus den Computerwissenschaften entstanden und die die Schwierigkeiten von Computern, simple physische Aufgaben zu bewältigen als Folie nutzen, um über unsere eigene Unfähigkeit zur Annäherung an das Reale nachzudenken. Der Erzähler mag ein Mensch sein, doch unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht, hat er Probleme damit, das, was sich direkt vor seinen Augen befindet zu erkennen.
Der menschliche Körper ist im Film in verschiedenen Formen repräsentiert: Als ein Leben, das nicht wiederholt werden kann, als mechanische Reproduktion einer Idee, als mit Text-to-Speech-Software generierte Stimme und schließlich mittels der berühmten Arie aus Hoffmanns Erzählungen, einem Liebeslied, das von einer Frau gesungen wird, die vorgibt, eine Maschine zu sein, die so tat, als sei sie eine Frau.
Emily Wardill