Der Weg zu diesem Film war steinig und lang. Was uns auf diesen Weg brachte und durchhalten ließ: Wir konnten nicht weiter Filme machen wie bisher. Nach unserem letzten Langfilm Pfarrer waren wir ausgebrannt und glaubten nicht mehr an unsere dokumentarische Form. Nach beinahe 20 Jahren extremer Nähe zu unseren Protagonist* innen (wofür Matthias Dell den Begriff „Nahfilm“ erfand) waren wir uns nicht mehr sicher, ob sie uns weiterbringen würde. Wir hatten es satt, waren müde, so intensiv in andere Leben einzutauchen und anschließend wieder daraus zu verschwinden. Und noch weniger hatten wir das Gefühl, dass das Publikum den Ansatz unserer Filme verstand. Wir hatten wiederholt Debatten mit Zuschauern erlebt, die uns vorwarfen, unseren Gegenstand nicht objektiv, also aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Scheinbar konnten sie nicht sehen, dass es uns gar nicht um Objektivität ging, sondern dass der dokumentarische Prozess für uns gerade die subjektive Verdichtung unserer Erlebnisse in der Auseinandersetzung mit der Welt ist.
Bei der Recherche zu unseren Projekten suchen wir nach Resonanzböden, Flächen, die unsere Fragen zurückspiegeln. Wir fanden sie dieses Mal in der Welt der Therapie. Wir erkannten uns einerseits in den Patienten (der erste Arbeitstitel zu diesem Film hieß Supervision). Aber auch in den Therapeuten fanden wir uns wieder. Menschen, die beruflich Anderen sehr nah kommen, eine Rolle finden müssen, um ihre Arbeit privat bewältigen zu können. Wir hörten von den rasanten Entwicklungen auf einem Therapiefeld, dass bis heute unter Therapeuten schlecht beleumundet und gesellschaftlich umstritten ist: Täterarbeit – die therapeutische Arbeit im Gefängnis, speziell die Arbeit mit Gewalt- und Sexualstraftätern.
Uns ging es gar nicht um Objektivität , der dokumentarische Prozess ist für uns gerade die subjektive Verdichtung unserer Erlebnisse in der Auseinandersetzung mit der Welt.
Stefan S. lernten wir in der JVA Brandenburg kennen, in der Gruppe Männlichkeit und Identität. Jeden Freitag, zehn Wochen lang, besuchten wir diese Runde. Wir beobachteten die Männer, aber vor allem uns selbst. Was ging uns durch den Kopf, konfrontiert mit diesen Männern, die Straftaten begangen hatten, die man sich schwer vorstellen kann? Uns wurde klar – um diese Vorstellungen muss der Film gehen. Stefan S. wollte ungern gedreht werden. Er spricht sehr undeutlich mit langen Denkpausen. Er hat ausgeprägte autistische Züge. Als filmische Haltung kam Nähe nicht in Frage. Puppen werden oft in Therapiesituationen benutzt, um mit Abstand auf Erlebtes zu schauen und größere Zusammenhänge zu erkennen. Wir trugen seit einiger Zeit zwei Sätze von einem befreundeten Theaterregisseur mit uns rum, der oft mit Puppen gearbeitet hatte: Wenn eine Puppe lebt, muss man ihr glauben. Aber nichts kann so tot sein wie eine Puppe.
Wir haben Stefan über vier Jahre begleitet, aber bis heute bleibt er für uns so schwer lesbar wie eine Puppe. Nach all den Jahren und Begegnungen hat sich daran wenig geändert und oft bezweifelten wir, dass die Therapeuten mehr sehen konnten. Ist Stefan eine Gefahr, jetzt, wo er wieder draußen ist? Wir können nur diesem System glauben, mit seinen Psychologen, Instrumenten, Gutachten, Richtern, Mutmaßungen und Gegenmutmaßungen. Nach diesem Film bleibt uns ein Gefühl des Unwohlseins, es entspringt wohl unserer Ohnmacht. Was wissen wir wirklich – über uns selbst und erst recht über Andere? Gerade in der Auseinandersetzung mit unseren Vorstellungen vom „Bösen“ sehen wir, was am Ende bleibt: Vertrauen und Aushalten – wie es eine unserer Protagonistinnen einmal zu uns sagte.