Bobo-Dioulasso ist die zweitgrößte Stadt und kulturelle Hauptstadt von Burkino Faso. Eine Million Menschen leben hier in sieben Bezirken. In der Stadt herrscht eine freundliche Atmosphäre, man kann hier mühelos Bekanntschaften schließen. Die Menschen in Bobo sind gesellig, und weil es hier nicht so heiß ist wie in Ouagadougou, trifft man sich von morgens bis abends und auch in der Nacht.
Und doch sind die in Menschen in Bobo scheinheiliger und neidischer als in anderen Städten Burkina Fasos, was die ein oder andere Niederträchtigkeit nach sich zieht.
Trotzdem lebe ich hier am liebsten, seit mehr als 15 Jahren. Abends bin ich in der Stadt unterwegs, lasse mich inspirieren, vor allem in den Restaurants und anderen Orten des Nachtlebens. Meistens lasse ich die Nacht im Black ausklingen, einem belebten Ort, mit dessen Verhaltenscodes man sich besser auskennen sollte.
Ich stelle mein Moped auf dem Parkplatz ab und unterhalte mich mit den Leuten, die ich kenne, mit dem Parkplatzwächter, dem Fleischverkäufer, dem Zigarettenverkäufer. Wir stehen mit unseren Drinks auf der Straße und unterhalten uns, während eine Menge Leute an uns vorbeigehen.
Vor fünf Jahren habe ich im Black Adam’s kennengelernte, eine Prostituierte. Sie ist eine der sogenannten „alten Mütter“ des Black. Den Titel hat ihr nicht etwa ihr biologisches Alter, sondern ihr Dienstalter eingebracht.
Adam’s ist Ende dreißig. Sie arbeitet schon lange im Black und kennt alle hier, vom Parkwächter bis hin zu den Kleinkriminellen.
Ich für meinen Teil unterscheide mich sehr von den anderen Jungs und Männern aus Bobo, die ins Black gehen. Ich habe lange Haare und trage sie oft geflochten, wie die Frauen.
Die wenigen offiziellen Kinderkrippen, die es in meiner Stadt gibt, sind nur tagsüber geöffnet. Bei Madame Coda ist das anders. Sie bleibt nachts wach, um die Kinder ihrer Kundinnen in Empfang zu nehmen.
Nach und nach freundete ich mich mit Adam’s an. Sie hatte kein Moped und ging deswegen zu Fuß oder fuhr mit dem Taxi, also habe ich sie oft nach Hause gefahren. Manchmal habe ich sie auch zu mir nach Hause eingeladen oder zu Freunden mitgenommen.
Inzwischen sind wir enge Freunde, wir erzählen uns alles und lachen viel. Wenn irgendwer zu viel getrunken hat oder im Black verprügelt wird, weil er die Verhaltensregeln nicht kennt, haben wir uns viel zu erzählen. Wir versuchen uns alles zu merken und bringen den anderen zum Lachen, indem wir die komische Seite der Ereignisse betonen.
Manchmal streiten wir uns auch, weil mich Adam’s zu sehr liebt. Wenn sich andere Frauen für mich interessieren oder ich mich für andere Frauen interessiere, gefällt ihr das nicht, und sie wird eifersüchtig, dabei sind wir gar kein Paar. Aber die Eifersucht verfliegt schnell wieder, und dann hat Adam’s wieder gute Laune und ist genauso großherzig wie zuvor.
Durch Adam’s weiß ich von Madame Codas Kinderkrippe, in die Sexarbeiterinnen nachts ihre Babys und Kinder bringen.
Die wenigen offiziellen Kinderkrippen, die es in meiner Stadt gibt, sind nur tagsüber geöffnet. Bei Madame Coda ist das anders. Sie bleibt nachts wach, um die Kinder ihrer Kundinnen in Empfang zu nehmen.
Es sind nicht sehr viele, denn Madame Coda fühlt sich allmählich immer schwächer, aber sie wacht trotzdem unermüdlich über die Kleinen. Wer ihre Dienste in Anspruch nehmen will, muss sie kennen.
Als mir Adam’s von Odile und Fatim erzählt hat – die beiden Frauen arbeiten als Prostituierte und wohnen mit Adam’s zusammen –, begriff ich, wie wichtig es ist, dass Schicksal dieser Frauen und ihrer Kinder in den Blick zu nehmen.
Adam’s, Odile und Fatim – drei Lebensgeschichten
Adam’s ist in Bobo-Dioulasso geboren und aufgewachsen.
Ein Freund ihres Vaters, dem mehrere Läden in der Stadt gehören, wollte Adam’s heiraten. Aber sie war erst 15, und er war ein alter Mann. Der alte Mann kam regelmäßig zu Besuch und gab Adam’s Familie Geld. Sie nahmen das Geld an, und Adam’s wurde glauben gemacht, dass sie in Côte d‘Ivoire den Sohn des Mannes heiraten sollte, nicht den Mann selbst.
Als sie die Wahrheit herausfand, weigerte sie sich und brachte damit in den Augen ihres Vaters Schande über die Familie. Er jagte seine Tochter aus dem Haus und sperrte die Tür hinter ihr zu.
Adam’s verließ Bobo und ging zu ihrem Bruder nach Ouagadougou. Dort verliebte sie sich in einen jungen Studenten, aber ihr Bruder hatte einen wohlhabenden Freund, der sie heiraten wollte. Adam’s weigerte sich wieder, und diesmal war es ihr Bruder, der sie davonjagte. Sie wurde schwanger von dem Studenten. Sie liebte ihn, aber er wollte sich nicht um sie und das Kind kümmern. Sie war allein, von der Familie verstoßen, und so beschloss sie schweren Herzens, sich zu prostituieren.
Inzwischen ist ihr Sohn 18 Jahre alt, und Adam’s arbeitet noch immer als Prostituierte. Sie würde gern damit aufhören und ein anderes Leben führen oder einen Mann finden, der ihren Respekt verdient hat und ihren Sohn akzeptiert. Sie kümmert sich inzwischen auch um ihre Eltern, die nicht mehr in Bobo leben, sondern in ihre Heimatstadt, Manga, zurückgekehrt sind. Sie fährt sie oft besuchen. Ihre Eltern wissen nicht, was für einer Arbeit ihre Tochter nachgeht. Sie sagt, sie macht Geschäfte.
Odile ist 28 Jahre alt und kommt aus Côte d’Ivoire. Sie wurde in Abidjan geboren, ist Mutter von drei Kindern und hat sehr viel durchgemacht. Ihr Eltern sind gestorben, als sie erst zwölf Jahre alt war. Damals haben die Brüder ihres Vaters sie mit in den Süden von Burkina Faso genommen, in die Kleinstadt Gaoua.
Sie durfte nicht weiter zur Schule gehen, stattdessen sollte sie arbeiten. Auf dem Markt von Gaoua. Dort lernte sie eine junge Frau aus Bobo-Dioulasso kennen, die geschäftlich in Gaoua zu tun hatte. Als sie die gut gekleidete Stadtbewohnerin sah, bekam sie Sehnsucht nach der großen Stadt. Abidjan, wo sie aufgewachsen war, und Gaoua hätten nicht unterschiedlicher sein können.
Die Frau bot Odile an, sie nach Bobo-Dioulasse mitzunehmen. Sie sagte Odile könne das Elend dort hinter sich lassen und Geld verdienen. Ohne ihre Onkel vorzuwarnen und ohne ihre Sachen mitzunehmen, ging Odile nach Bobo. Ihre „Beschützerin“ gab ihr Obdach und kleidete sie ein.
Nach ein paar Tagen sagte die Frau zu Odile, sie solle mit ihr in die Stadt gehen, sie werde dort zu arbeiten anfangen. Sie machten Halt bei einem Friseur, kauften ihr ein paar sexy Klamotten, und dann gingen sie ins Black.
Von einem Tag auf den anderen wurde Odile zur Sexarbeiterin.
Sie war sehr jung und schön und hatte am Anfang nur weiße Kunden. Sie verdiente viel Geld. Mit 15 bekam sie ein Kind von einem Franzosen. Weil sie allein wohnte, bat sie eine Frau darum, auf ihren Sohn aufzupassen. Die Frau verschwand spurlos, mit ihrem Sohn, und seitdem hat Odile nichts mehr von ihm gehört. Dann bekam sie eine Tochter. Odile nahm sie mit ins Black, zu einem Café-Konzert. Das Mädchen saß unter einem Tisch, wurde von Mücken gestochen und starb mit zwei Jahren an Malaria.
Odile war vom Tod ihrer Tochter schockiert, aber das Leben rächte sich am Tod, und sie wurde schnell wieder schwanger. Ihr kleiner Junge, Moctar, hat vor ein paar Monaten seinen ersten Geburtstag gefeiert. Madame Coda passt nachts auf ihn auf. Adam’s hat Odile mit Madame Coda bekanntgemacht, jetzt muss sie keine Angst mehr haben.
Odile hat so viel mitgemacht, dass sie sich selbst als „kriegsversehrt“ bezeichnet. Sie trägt kein Make-up mehr, ist älter geworden, und unter ihren Kunden gibt es auch keine Weißen mehr. Sie spart, um das „Elend“ hinter sich zu lassen. Sie will nicht mehr heiraten, sie will damit aufhören, sich zu prostituieren und sich selbstständig machen, um sich und ihren Sohn versorgen zu können.
Fatim denkt noch immer oft an ihre Eltern und ist wütend, dass sie sich haben scheiden lassen. Aber noch wütender ist sie, weil ihre Mutter sie verlassen hat. Sie möchte trotzdem eine eigene Familie gründen.
Fatim ist noch sehr jung, gerade mal 18. Sie kommt aus Gourcy, einer Stadt im Norden von Burkina Faso. Als sie noch klein war, haben sich ihre Eltern scheiden lassen. Ihr Vater ist nach Côte d’Ivoire gegangen, und Fatima ist bei ihrer Mutter geblieben. Bald darauf heiratete ihre Mutter wieder. Ihr Stiefvater akzeptierte sie nicht, und so kam es, dass ihre Mutter beschloss, Fatim zu verlassen.
Fatim hat anschließend bei ihrem Großvater väterlicherseits gelebt. Bis zur fünften Klasse hat er die Schulgebühren für sie bezahlt, dann ist er gestorben. Der alte Mann liebte seine Enkelin und beschützte sie: Niemand durfte sie beleidigen, schlagen oder auf den Markt schicken. Nachdem er gestorben war, zahlte die Familie ihre Schulgebühren nicht mehr und fing an, sich ihr gegenüber anders zu verhalten. Eine ihrer Tanten holte sie ab und ließ sie am Bahnhof von Gourcy für sich arbeiten, sie verkaufte Essen an Reisende. Aber ihr Tante kümmerte sich nicht um sie, und Fatim hatte nur deshalb etwas zu essen, weil sie von dem Reis aß, den sie verkaufte.
Nach und nach freundete sie sich mit einer Frau an, die viel reiste und jedes Mal mit schönen Kleidern, einer neuen Frisur und noch mehr Geld zurückkam. Fatim war ungefähr 14 Jahre alt, als die Frau ihr vorschlug, sie auf einer Reise zu begleiten, um ein bisschen Geld zu verdienen.
Die beiden lebten in mehreren Provinzstädten. Erst arbeitete Fatim als Bedienung in Bars, dann als Tänzerin und schließlich als Prostituierte.
Sie landete in Banfora, wo sie einen jungen Mann kennenlernte, von dem sie schwanger wurde und dessen Familie sie bei sich aufnahm.
Nachdem sie das Kind zur Welt gebracht hatte, merkte sie, dass sie in der Familie nicht willkommen war, auch der Vater des Kindes wandte sich von ihr ab.
Fatim verließ mit ihrer Tochter Djénéba die Familie und fing wieder an, sich zu prostituieren. Sie wohnte in verschiedenen Städten, bevor sie nach Bobo-Dioulasso kam. In Adam’s und Odile hat sie zwei gutherzige große Schwestern gefunden. Die drei greifen einander unter die Arme und haben zusammen ein Haus gemietet.
Fatim will ihren „Beruf“ möglich bald aufgeben. Sie ist jung und möchte heiraten. Sie denkt noch immer oft an ihre Eltern und ist wütend, dass sie sich haben scheiden lassen. Aber noch wütender ist sie, weil ihre Mutter sie verlassen hat. Sie möchte trotzdem eine eigene Familie gründen. Sie wartet auf einen Mann, der sie und ihre Tochter liebt.
Heiraten – ja oder nein?
Alleinerziehende Mütter haben es in Burkina Faso nicht leicht. Auf dem Land ist es unmöglich, alleinerziehend zu sein. Wer als Frau in einem Dorf lebt, muss verheiratet sein, mit was für einem Mann spielt keine Rolle, es spielt auch keine Rolle, ob die Frau ihn liebt. Sobald ein Mädchen 14 oder 15 wird, taucht irgendein Mann auf und stellt ihr nach, mal ist es ein junger Mann, mal ein alter, und meist lässt die Hochzeit nicht lange auf sich warten. Das Leben verheirateter Frauen spielt sich zu Hause ab, am Herd, bei der Erziehung der Kinder und der Hausarbeit.
In den Städten, vor allem in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso, haben sich die Verhältnisse inzwischen etwas geändert. Frauen können alleinstehend sein, solange sie arbeiten und ihre Familie versorgen – das heißt ihre Kinder, die traditionell in der Obhut der Mütter bleiben, und ihre Eltern.
Die Frauen in den Städten sind in ihrer Entscheidung – heiraten, ja oder nein? – also etwas freier. Aber der Kritik ihrer Nachbarinnen und Nachbarn, ihrer Freundinnen und Freunde entgehen sie nicht. Alleinstehende Frauen, heißt es, hätten wechselnde Partner, auch dann, wenn sie sich nicht prostituierten. Sie werden nicht respektiert, sondern verurteilt und schief angeguckt. Das gilt besonders für arme Gegenden. Aber auch Frauen, die über Abschlüsse verfügen und selbstständig sind, entgehen diesem alten Vorurteil nicht.
Im Alltag kommt es dadurch zu einer ganzen Reihe von Problemen, bei der Anmietung von Wohnraum etwa, weil befürchtet wird, die Mieterin könnte in der Wohnung ein Bordell betreiben. Was sollen bloß die Nachbarn sagen?
Also suchen viele Frauen selbst in der Stadt nicht ihr Glück, sondern heiraten, um nicht aufzufallen und der Kritik der Gesellschaft zu entgehen
Diese Situation führt zu vielen Fällen von Ehebruch.
Was Männer angeht, liegen die Dinge anders: Egal ob 30, 40 oder 70 Jahre alt – ledig zu sein ist unproblematisch.
Ich kann mich glücklich schätzen, ein Mann zu sein. Ich habe auch noch keine Familie, um die ich mich kümmern muss. Meine Arbeit lässt mir Zeit. Ich genieße sie, ich brauche sie auch. Ich kann für längere Zeit das Land verlassen, spazieren gehen, meine Projekte reifen lassen, meinen Horizont erweitern
Ich wünsche mir, dass Frauen dieselben Möglichkeiten haben wie ich. Die Zudringlichkeit, mit der die Gesellschaft auf Frauen blickt, sobald sie in ihren Zwanzigern sind, ist mir fremd.
Ich zeige, wie mutig diese Frauen sind, wie hart sie kämpfen, jeden Tag aufs Neue und trotz der Tatsache, dass sie am Rande der Gesellschaft leben.
Alle alleinstehenden Frauen sollten so solidarisch sein wie Adam’s, Odile und Fatim. Und alle anderen Frauen, die wissen, dass man allein nicht kämpfen kann, sollten sie unterstützen, so wie Madame Coda. Trotz der missbilligenden Blicke ihrer Familien und Nachbarn. Im Fall von Madame Coda ist übrigens nicht die Familie das Problem, es sind die Nachbarn, die sich regelmäßig beschweren.
Indem ich Odile und Fatim in Madame Codas Krippe begleite, mit ihnen ins Black gehe und ihren Alltag mit Adam‘s beobachte, werfe ich einen Blick hinter die Vorurteile.
Ich zeige, wie mutig diese Frauen sind, wie hart sie kämpfen, jeden Tag aufs Neue und trotz der Tatsache, dass sie am Rande der Gesellschaft und ihrer Familien leben.
Ich höre zu, wenn sie erzählen, wie sie sich dabei helfen, den Glauben an die Zukunft nicht zu verlieren.
Natürlich bedrückt es mich, dass meine Freundinnen sich prostituieren müssen, um zu überleben. Aber am Ende geht es um etwas anderes: Adam’s, Fatim und Odile waren bereit, sich mir für diesen Film zu öffnen, weil sie zeigen wollen, dass es keine andere Möglichkeit gab, einer Zwangsverheiratung zu entgehen, dass sie ihre Würde nicht verloren haben, dass sie um ihre Würde kämpfen.
In Burkina Faso, wie in vielen anderen Ländern auch, kann man Menschen kränken, indem man ihre Mütter beleidigt. Wer sich diesen Film ansieht und die jungen Mütter erlebt, die ihr Bestes geben, um ihre Kinder zu versorgen, und wer die „alte Mutter“ Madame Coda kennenlernt, die Kinder bei sich willkommen heißt, die von ihren Vätern verlassen wurden, denkt vielleicht noch einmal darüber nach.
Übersetzung: Gregor Runge