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ROM, IM SEPTEMBER

 

Lieber Lluis,

nachdem ich während der Arbeit am Film lange Zeit untergetaucht war, habe ich nun endlich Zeit, um Dir zu schreiben und einige Gedanken mit Dir zu teilen.

Vor allem hoffe ich, dass Dir LA VEDUTA LUMINOSA das vermittelt und gibt, was er mir gibt.

Wie Du weißt, war die Arbeit am Film in der ersten Zeit sehr instinktiv. Wir haben einfach gemacht und nicht allzu viel erklärt. Und ich danke Dir, dass Du diese Herangehensweise akzeptiert hast. Vielleicht haben wir auch deshalb wieder zusammengefunden. Ich kann nur bewundern, wie Du ohne Vorurteile zuhörst und darauf wartest, die Dinge zu entdecken, ohne einleitende Worte.

Nach einer rastlosen tierhaften Arbeit kommt immer ein Moment, in dem man das dringende Bedürfnis hat zu verstehen …

Während der Arbeit am Film und in den schwierigsten Momenten hatte ich immer den Eindruck, dass alles schon getan sei. Die Arbeit war sehr mühevoll; etwas ausdrücken wollen, ohne etwas auszudrücken.

Doch dann kommen Fragen auf. Was machen wir hier? Wozu diese ganze Energie, dieses unaufhörliche Spiel des Lebens innerhalb und außerhalb des Films, wenn wir uns letzten Endes im gegensätzlichen Schwebezustand des Kinos wiederfinden? Kino und Film gehen schließlich nur selten zusammen, sie misstrauen sich gegenseitig. Wir leben in einer Zeit, in der das Kino abwesend zu sein scheint, verdeckt von einem satten filmischen Horizont. Diese Abwesenheit bringt jedoch auch neue Herausforderungen mit sich. Der Film verlangt nach Konkretheit, Rechnungslegung, agierenden und reagierenden Kräften innerhalb der Dynamik des fertigen Objekts. Frei von Zwängen ist dagegen die Sphäre des Kinos, in der sich konkrete Elemente, die dieses Unbegrenzte umreißen, kontinuierlich ans Werk machen und sich überlagern und dabei die Sphäre des Films negieren. Selten geschieht es, dass Film und Kino vereint sind. Vielleicht nie in einem einzelnen Film, sondern nur in der Addition der einzelnen Teile, in ihrem wechselseitigen unaufhörlichen, kompromisslosen und in gewisser Hinsicht außergewöhnlichen canto, ihrer Poesie. Einem canto, der im Einklang ist mit der kontinuierlichen und bewegungslosen Bewegung der Maßlosigkeit, und der jeden Tag benommen zurückbleibt von einem Zuendegehen, das nie die Quelle findet, den Ursprung dieses canto und dieses Lebens.

Im Wald haben wir es gerochen und gefühlt, dieses Etwas, das man unmöglich verstehen kann: das unmittelbare Leben, das flieht, während man versucht, es zu fassen.

Viele Male haben wir uns gesagt, dass diese unmögliche Herausforderung der Ruf sei. Wie alles in der Welt vergeht und kaum noch Spuren lässt; genau in diesem „kaum“ liegt der Ursprung der Quelle. Im Wald haben wir es gerochen und gefühlt, dieses Etwas, das man unmöglich verstehen kann: das unmittelbare Leben, das flieht, während man versucht, es zu fassen. Und diese Flucht, die eine sehr konkrete abstrakte Präsenz besingt, ist tatsächlich eine Kunst, die Kunst der Fuge.

Ein Schwebepunkt in diesem kontinuierlichen Ruf nach der Bewegung der Dinge, weder sichtbar noch unsichtbar, sondern nur im Einklang mit diesem canto, der sich der gewöhnlichen Bewegung der Teile entzieht.

Und wie Hölderlin es besungen hat. Weder auf Erden noch im Himmel.

Und so wandern wir also in Gesellschaft von Hölderlin. Doch nach dieser Zerstreuung, zurück aus dem Wald, befinden wir uns erneut in der Luftnot-Aphasie der Stadt, wo der einzige Gesang aus einer Palaverwolke kommt, an der auch wir teilhaben. Wir hören sehr deutlich das schrille Echo einer Ferne, die nun so nah ist, dass sie uns ohne Unterlass einige Abschnitte des Filmweges in Erinnerung ruft.

Es sei mir erlaubt zu schreiben, dass unser Film, in dem weder Kleidung noch Perücken aus dem 19. Jahrhundert zu sehen sind, ein Porträt ist, das der Offenheit von Hölderlin sehr nahekommt. Wenn das überhaupt noch nötig sein sollte, möchte ich betonen, dass es im wahren Porträt nicht um Ähnlichkeiten geht, sondern darum, flüchtige Passagen herauszukristallisieren und in einem Punkt zu kondensieren, so weit wie möglich virtuell und entfernt. Und welche Herangehensweise wäre besser geeignet für ein Porträt von Hölderlin/Scardanelli, die letzte Phase eines Werkes und eines Weges, der so wichtig für uns ist.

Mir kommen die Worte von Pascal wieder in den Sinn, die dem Zuhören, ohne etwas ausdrücken zu wollen, des Films nahekommen. „Das Herz hat seine Gründe, welche der Verstand nicht kennt. Man erfährt solches in tausend Dingen.“

In LA VEDUTA LUMINOSA haben wir es mit einem Hölderlin zu tun, der die Abwesenheit der Attraktion des Göttlichen Feuers akzeptiert und die erzwungene Hinwendung der Menschen zu einer Natur sieht, die nicht mehr das Haus des Himmlischen ist.

Unser Hölderlin versucht, in diesem Raum in der Schwebe präsent zu bleiben, in dieser doppelten Umkehr: einem Zwischenraum, in dem es weder den Betrug und das Verschwinden Gottes gibt noch den Betrug des Menschen. Aber was genau ist gemeint mit dem Betrug des Menschen? Ich denke, dass wir unter Betrug diejenige Verdrehung verstehen könnten, die sich allein Daten und messbarer Ordnung zuwendet. Heute sind wir in der am weitesten fortgeschrittenen Phase dieser Wende, der alle Aspekte eines gewissen Alters der Menschen innewohnen, die, fallend, sich flüchten in den sicheren Ruf nach einem wissenschaftlich-technologischen Dogma. Aus diesem Grund haben wir ein noch größeres Bedürfnis danach, genau zwischen den beiden Enden der Skala zu stehen.

Denn es ist genau dieser reziproke Wechsel der beiden Ordnungen, diese Ferne, der es gelingt, einen die andere Dimension fühlen und besitzen zu lassen: Man kommt tatsächlich nur dem Fremden nahe, während das, was nah ist, nie nah sein wird.

Mir kommen auch die Worte von Pascal wieder in den Sinn, die dem Zuhören, ohne etwas ausdrücken zu wollen, des Films nahekommen. „Das Herz hat seine Gründe, welche der Verstand nicht kennt. Man erfährt solches in tausend Dingen.“

Vielleicht war es auch aus diesem Grund möglich, auf einer Bildebene zu arbeiten, die nicht die Geometrie und messbare Ordnung auf einer Oberflächenebene hervorhebt.

Das erklärt auch die Konstruktion einer optischen Maschine, die, wie Du weißt, die Bewegung der Photonen wieder in Zirkulation bringt und ihnen den linearen Abprall in Richtung Kamera verwehrt. Der Versuch, einen Raum mit schwebendem Licht zu kreieren, um gleichzeitig recto und verso zu sehen, die zwei Seiten wie die eines Gefängnisses, in dem man nicht mehr weiß, wer den anderen begrenzt und einsperrt, welche Seite gefangen ist.

So auch unser Film.

Eine ganz einfache Geschichte, eine (Liebes-)Begegnung zwischen Emmer, der an der Unmöglichkeit, Bilder durch Sprache zu kontrollieren, scheitert, und der jungen Catarina, die der Magie des Sichtbaren Daten entnehmen möchte – durch Organisieren und Konstruieren. Eine ängstliche und faszinierende Annäherung, weil sie sich gegenseitig den Rücken kehren. Eine andere Art des Seins, des Präsentseins in der Transparenz des Zoos, des Autos, des Waldes. Beinahe entgegengesetzte Positionen.

Und so sagen uns vielleicht der Raum und die Distanz zwischen Wort und Bild noch einmal, dass unser kleines Werk einen Sinn hat und einer Notwendigkeit entspricht: so weit wie möglich die Distanz zu wahren, diese Nichtkorrespondenz, obwohl das Bild-Wort als Unikum zu triumphieren scheint.

So viele Worte, um in aller Kürze einen Gedanken zu teilen: diese Dimension des Seins weiter aufzubauen, aufgehoben im Zwischenraum zwischen den zwei gestürzten und betrogenen Welten, die sich aber deswegen auch immer sehr nah sind.

 

Herzliche Grüße

Fabrizio Ferraro

 

Übersetzung: Pia Oddo

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