„Mit ihrem zwanghaften Filmen haben Sie die Grenzen des guten Geschmacks überschritten“, knurrt ein Fernsehproduzent in HAPPY BIRTHDAY, MR. MOGRABI (1999) in die Kamera. Der israelische Filmemacher spielt in diesem semidokumentarischen Film einen fiktiven Regisseur, der ebenfalls den Namen Mograbi trägt und vom Produzenten mit einer Dokumentation zum 50-jährigen Bestehen des Staates Israel beauftragt wurde. Wie der echte kann auch der fiktive Regisseur nicht aufhören, die Menschen zu filmen, zu bedrängen und aufzuwiegeln. Wir hören seine gereizte Stimme aus dem Off, wann immer er ermahnt wird, die Kamera auszuschalten (was er nicht tut), oder seinen Interviewpartner*innen zusichert, das Material nicht zu nutzen (was er tut). Auf den ersten Blick mag die Stichelei des Produzenten lediglich darauf hindeuten, dass der fiktive Filmemacher zu Gereiztheit neigt. Doch in einem tieferen Sinne weist sie auch auf die leidenschaftliche Raison d’Être des echten Mograbi und seine einzigartige Herangehensweise an das Kino hin.
Mograbis fast vierzig Jahre umspannende Filmografie vermittelt tatsächlich den Eindruck der Zwanghaftigkeit, in dem Sinne, dass er sich mit konsequenter Dringlichkeit immer wieder seinen zentralen Themen zuwendet. Von seinem ersten längeren Film THE RECONSTRUCTION(1983) bis zu seinem letzten, THE FIRST 54 YEARS – AN ABBREVIATED MANUAL FOR MILITARY OCCUPATION (2021) richtet Mograbi seinen Blick vor allem darauf, wie mit der Besetzung der palästinensischen Gebiete durch den israelischen Staat zwei parallele Wirklichkeiten entstanden sind. Im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Welten nimmt sein Filmschaffen eine besondere Position ein. Mograbi, selbst israelischer Staatsbürger und fest in seiner Kultur und seiner Heimatstadt Tel Aviv verwurzelt (obwohl er auch in New York gelebt hat), lässt arabische Freund*innen und palästinensische Bürger*innen zu Wort kommen, um zu zeigen, dass die Geschichtsschreibung nicht auf einer einzigen Stimme oder Vision beruhen kann. Mograbis Filme fragen stets: „Wessen Geschichte, für und ohne wen? Sie machen uns wieder und wieder auf den revisionistischen Charakter und die utilitaristische Darstellung historischer Persönlichkeiten und Ereignisse aufmerksam.
Machiavellistischer Ton
Mograbis aktueller Film THE FIRST 54 YEARS stellt unmittelbar Fragen danach, wie Geschichte geschrieben wird. Der Regisseur erscheint vor der Kamera und rekapituliert für uns die Ereignisse im Zusammenhang mit der israelischen Besetzung der Palästinensergebiete. Vor der Kamera schlägt er einen ausgesprochen machiavellistischen Ton an, als spräche er als Vertreter des Staates Israel, der den Zuschauer*innen einen „Leitfaden“ zur Besetzung des Territoriums präsentiert. Diese Rolle, in der er die Zuschauer*innen in Gewaltausübung und Unterdrückung unterweist und sie hinter die Fassade blicken lässt, wird von einem weiteren Erzähler ergänzt, der im Voiceover über historische Einschnitte wie die Intifada und die Abkommen von Oslo berichtet. Ehemalige israelische Soldaten erzählen in Archiv-Ausschnitten über Gräueltaten gegen Palästinenser. Ihre Zeitzeugenaussagen, die von der Organisation Breaking the Silence gesammelt wurden, ergänzen andere Archivaufnahmen. Damit folgt er Susan Sontags Forderung, dass Bilder in unserer stark visuell geprägten Welt in einen Kontext gebracht werden müssen, um eine Wirkung zu erzielen.
Doch darf man fragen, warum Mograbi in diesem Film einen machiavellistischen Ton anschlägt und brechtsche Stilmittel wählt? Besteht nicht Gefahr, die Zuschauer*innen durch die Verwendung eines kollektiven zynischen „Wir“ abzuschrecken? Über derartige Fragen gelangt man zum Kern von Mograbis Methode, die sich nicht so sehr am rein beobachtenden Kino mit seinem so genannten „Fliege an der Wand“-Ansatz orientiert, sondern sich stattdessen vollkommen dem Ziel verschrieben hat, nach der „Fliege in der Suppe“ zu suchen. Bei dieser Methode wird mit den Mitteln der Verfremdung und unter Missachtung von Regeln, auch des guten Geschmacks (wie Mograbis Protagonist in HAPPY BIRTHDAY anprangert), die Auffassung widerlegt, dass der Regisseur ein objektiver Beobachter ist.
Zu Mograbis bewährten Strategien gehört die Provokation und manchmal auch das Abgleiten in eine Dramödie, eine tonale Pastiche oder einen parodistischen Akt, womit er wiederum zeigen will, dass die Realität belastet ist und auf absurden Annahmen beruht. Die Verfremdung dient als Sprungbrett für den kritischen Ansatz.
Mograbi bedient sich performativer, szenischer, künstlicher Mittel, um zu zeigen, dass im Leben Vorspiegelungen oft als Realität durchgeht.
In seinem Spielfilm AUGUST(2002) spielt Mograbi beispielsweise sich selbst, seinen Freund und seine Ehefrau (in deren Rolle er sich ein pinkes Handtuch um den Kopf wickelt und ungefragt Ratschläge erteilt, welche Art von Film er machen sollte). Allerdings geht der lockere, burleske Ton in scharfsinnigere Bemerkungen über, sobald Mograbi die Straßen von Tel Aviv durchstreift, die von einer aufgeheizten und quälenden Spannung erfüllt sind. In einer Szene filmt Mograbi eine Gruppe israelischer Kinder, die auf israelische Demonstrant*innen und ihre Parolen wie „Tel Aviv ist arabisch“ mit wahllosen rassistischen Beschimpfungen reagieren. Obwohl die Kamera statisch und zurückgenommen ist, hat Mograbi einen Mikrokosmos erschaffen, dessen drückende Hitze an Camus‘ Der Fremdeund Meursaults Begegnung mit der sengenden Sonne erinnert.
Beleidigung und Provokation können bei Mograbi auch eine klare psychoanalytische Konnotation haben. In seinem Film Z32(2008) gesteht ein ehemaliger Soldat, der in einer Eliteeinheit ausgebildet wurde, wie sich nach vielen Monaten des Trainings eine Lust zu töten bei ihm angestaut hatte, woraufhin er sich an einem Vergeltungsmord an unschuldigen palästinensischen Polizisten beteiligt habe. Seine Freundin kann sein Handeln und sein damaliges Gefühl des Stolzes nicht nachvollziehen. Auf die Frage, ob sie ihm vergeben könne, entgegnet sie: „Wenn ich dir die Wahrheit sage, bist du beleidigt.“ Der Begriff der Beleidigung ist demnach eng mit Aufrichtigkeit, Reflexion und dem Ansprechen tabuisierter Gefühle verknüpft. Wie in der Mehrzahl von Mograbis Filmen hängt auch dieses Psychodrama an inszenierten Elementen; von Performance und Maske sowie generellen manipulativen Eingriffen geht eine kathartische Wirkung aus.
Die Untrennbarkeit von Fakt und Fiktion
Mograbi bedient sich auch performativer, szenischer, künstlicher Mittel, um zu zeigen, dass im Leben Vorspiegelungen oft als Realität durchgeht. Häufig setzt er mit einer anfänglichen Provokation einen Mechanismus in Gang, der deutlich macht, dass Fakt und Fiktion untrennbar miteinander verbunden sind. Das regt die Zuschauer*innen dazu an, die Realität als Konstrukt wahrzunehmen, weil das, was wir als „real“ bezeichnen, vom kollektiven Imaginären durchdrungen ist. Mograbi beschreibt nicht näher, wie sich dieses Imaginäre durchgesetzt hat, und deckt über verschiedene Mittel der Entfremdung dessen manipulativen Charakter auf (an dieser Stelle sollte vielleicht ein Unterschied zwischen Manipulation und Täuschung gemacht werden, auch wenn diese beiden Konzepte in Mograbis Filmen häufig gefährlich nah beieinander liegen, vor allem bei der vereinfachten Darstellung komplexer historischer Zusammenhänge im unmittelbaren Dienste politischer Zielsetzungen).
In HAPPY BIRTHDAY fragen sich die Figuren, was in der Hitze eines politischen Gefechts zu tun ist. Mograbi inszeniert ihr Engagement mit komischen Elementen im Stile Godards (LA CHINOISE wäre eine Referenz). Am Ende sieht man den fiktiven Filmemacher bei Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen Israels. Auf der Party servieren kostümierte Kellner Unkraut, um die Festgesellschaft in eine Zeit zurückzuversetzen, in der die Menschen in Israel Hunger litten und sich von Sauerampfer ernährten, und so ein „authentisches“ Erlebnis zu vermitteln. Die Geschichte wiederholt sich hier als Farce, wie Marx einst anmerkte, und läuft stets Gefahr, in der Gegenwart auf einen disneyfizierten Themenpark reduziert zu werden.
Der Film deckt wiederholt einen Umgang mit Geschichte auf, der die Aufmerksamkeit von offensichtlichen und besorgniserregenden Widersprüchen ablenkt und die Realität auf ein binäres Konstrukt reduziert: Nur wir sind die Helden; nur sie sind die Terroristen. Mograbi erkundet diese binären Denkweisen und führt die Unmöglichkeit, eine gemeinsame Zukunft auszumalen, auf das Unvermögen zurück, die gemeinsame Vergangenheit zu reflektieren. In diesem Sinne nimmt HAPPY BIRTHDAY, ähnlich wie THE FIRST 54 YEARS, kein Blatt vor den Mund. Vor allem dann nicht, wenn sich Mograbi in die Palästinensergebiete begibt. Dort trifft er einen fiktiven Produzenten (gespielt von Daoud Kutab), der ebenfalls einen Jubiläumsfilm dreht: Zum 50. Jahrestag der Nakba, des palästinensischen Exodus. Gemeinsam kehren sie nach Israel zurück, um dort palästinensische Ruinen zu filmen. Als Mograbi am Ende des Films Geburtstagsglückwünsche per Telefon erhält – in diesem Jahr fallen der Geburtstag des Regisseurs und Israels Jubiläum zufällig zusammen –, sieht man ihn nicht bei seiner Geburtstagsfeier, sondern allein zu Hause apathisch seinen Anrufbeantworter abhören.[1] In der nächsten Szene zeigt der Film Aufnahmen von palästinensischen Jugendlichen, die israelische Soldaten mit Steinen bewerfen, und von einem jungen Demonstranten, der mit blutendem Kopf leblos am Boden liegt.
Hier stellt sich die Frage, ob die satirischen Elemente des Films angesichts seines tragischen Themas und Ausgangs gerechtfertigt sind. Doch meines Erachtens ist dies nicht die richtige Frage. Mit jedem neuen Jahr prallen die beiden Wirklichkeiten immer härter aufeinander. Wenn Mograbi in seinen Filmen einen schrillen, kämpferischen oder verächtlichen Ton anschlägt, ist dies in vielen Fällen als Protest gegen die Passivität der Weltgemeinschaft angesichts der längsten Besetzung der jüngeren Geschichte zu werten.
In vielen Szenen seiner Filme will Mograbi verdeutlichen, dass sich eine Seite niemals vollständig in die Lage der anderen versetzen kann.
In Mograbis intensivstem Film, AVENGE BUT ONE OF MY EYES (2005), besucht er die Ruinen des nationalen Kulturdenkmals von Masada. Dort fordern israelische Guides und Eltern junge Menschen auf, sich in die Lage der Zeloten zu versetzen, die kollektiven Selbstmord begingen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die Römer zu besiegen. In einer Szene bringt ein Guide seine glühende Verehrung für Salomo zum Ausdruck, der lieber starb, als sich zu ergeben. Mograbi hält beharrlich an seiner zentralen Botschaft fest: Niemand könnte den tiefen Wunsch der palästinensischen Bevölkerung nach Selbstbestimmtheit und das Ausmaß ihrer Verzweiflung unterbewusst besser verstehen als die Israelis, haben sie es doch am eigenen Leibe erfahren. Dennoch lassen die Guides bei ihren patriotischen Lektionen keine kritischen Untertöne anklingen. Ihr emotionaler Appell trieft vor Nationalismus und schließt jegliches Mitgefühl mit der Gegenseite aus.
Um derartige Szenen festzuhalten, filmt Mograbi häufig an Grenzübergängen. In einer Einstellung ist die Kamera auf einen palästinensischen Lastwagenfahrer gerichtet, der durch ein Megafon von einer Person auf einem hohen Turm mit donnernder Stimme schikaniert wird. In einer anderen Szene versperrt ein israelischer Panzer einer schwangeren Palästinenserin den Weg, und der Soldat brüllt über die Lautsprecher: „Das ist mir egal! Gehen Sie weg!“. Der Krankenwagenfahrer und der Arzt auf der anderen Seiten können ihr nicht zu Hilfe eilen. In einer weiteren Szene brüllt Mograbi selbst israelische Soldaten an: „Aus welchem Loch seid ihr denn geklettert?!“, als sie palästinensische Schulkinder daran hindern, einen Checkpoint zu überqueren, um nach Hause zurückzukehren.
Mograbi inszeniert Mitgefühl und Empörung, um der grausamen Teilnahmslosigkeit der Soldaten etwas entgegenzusetzen. Und doch ruft er uns auch immer wieder in Erinnerung, dass er dies als Bürger tut, der den Schutz der Gesetze des Staates Israel genießt. Zu diesem Zweck fügt er am Ende des Films einen Dialog ein zwischen sich selbst (vor der Kamera) und seinem arabischen Freund (im Off und von einem Schauspieler eingesprochen, um die Identität seines Freundes zu schützen). „Möchtest du nicht leben?“, fragt Mograbi immer wieder, als ihm sein Freund, der in Betlehem eine Ausgangssperre erlebte, gesteht, dass ihn die Lebenslust verlassen hat – eine Klage, die sich mit dem hoffnungslosen Refrain „Ich bin des Lebens müde“ durch den gesamten Film zieht. Es ist eine von vielen Szenen, mit denen Mograbi in seinen Filmen verdeutlichen will, dass sich eine Seite niemals vollständig in die Lage der anderen versetzen kann. Aber die Szene weist auch auf die Parallele hin zwischen der Verzweifelung des Freundes, die ihn zu Selbstmordgedanken treibt, und der Art, wie Märtyrertum in Bibelgeschichten dargestellt wird.
Mograbi bedient sich zeitgenössischer (Re)Konstruktionen der Vergangenheit – ob er nun Reiseleiter beobachtet oder patriotische Feierlichkeiten sprengt –, ohne dabei die Zukunft aus den Augen zu verlieren. AVENGE ist seinem Sohn gewidmet, ein besonders bestürzender Moment in AUGUST zeigt Schulkinder, bei AVENGE sind es Jugendliche und junge Erwachsene. Auch in Mograbis bisher gefühlvollstem Film, ONCE I ENTERED THE GARDEN (2012), spielt ein Kind die Hauptfigur. Mograbi schrieb mir in einer E-Mail, dass ihm die Idee zu dem Film kam, nachdem ihn der libanesische Regisseur Akram Zataari zur Teilnahme an einer Performance „zu den möglichen grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen den Angehörigen verfeindeter Staaten“ eingeladen hatte. Das Ergebnis ist ein Film, der sich mit Hilfe von Archivschnipseln in traumhaften und entrückten Sequenzen auf eine Reise in die Vergangenheit begibt.
Mograbi reist gemeinsam mit seinem Arabischlehrer, Ali Al-Azhari, mit dem er seit 30 Jahren befreundet ist, nach Damaskus, wo einst Mograbis Vater lebte. Anschließend begeben sie sich nach Galiläa, wo einmal Al-Azharis Elternhaus stand und heute eine israelische Gemeinde lebt. Schilder in der Umgebung weisen darauf hin, dass der Zutritt verboten ist. Al-Azharis kleiner Tochter – Halb-Israelin, die an ihrer israelischen Schule mit Vorurteilen zu kämpfen hat – machen diese Schilder Angst. Sie scheint ihre Botschaft verinnerlicht zu haben. „Wir dürfen hier nicht sein“, murmelt sie und will ihren Vater wegziehen. Doch nur eine Minute später versucht sie störrisch, das Schild aus dem Boden zu reißen. Die Kamera verfolgt mit zärtlichem Blick, wie sich die beiden Freunde ihrer annehmen. Auf diese Weise zeigt der Film mehr als nur eine sentimentale Reise in die Vergangenheit. Yasmin bekräftigt mit ihrer Geste den Verlust des Vaters und gibt der Reise dadurch einen kleinen, aber bedeutsamen Hoffnungsschimmer. In ihrer Erinnerung hat sich nun sicherlich ein Bild, eine Geste, ein neues Heimatgefühl, wenn nicht sogar eine klare Vorstellung vom Konzept des Übergangs oder des Widerstands eingepflanzt.
Zugleich Nüchtern und Aufwiegelnd
Die Zuschauer werden wohl kaum in der Lage sein, in THE FIRST 54 YEARS einen sofortigen Hoffnungsschimmer auszumachen, mag er auch noch so klein sein. Fast ein Jahrzehnt ist vergangen, seit Mograbi ONCE I ENTERED THE GARDEN drehte. In THE FIRST 54 YEARS platziert sich der Regisseur erneut vor der Kamera. In diesem Fall ist sein Ansatz jedoch weitaus weniger persönlich. Seine Rolle des Erzählers wird nicht durch alltägliche Ereignisse gefiltert, in denen der echte und der fiktive Mograbi miteinander verschmelzen. Stattdessen hat die kollektive Anrede mit „wir“ – die impliziert, dass er im Namen des Staates Israel spricht, aber zugleich auch seine Zuschauer in Israel und in aller Welt miteinbezieht – etwas nüchtern Didaktisches und Aufwiegelndes zugleich. Im Ergebnis ist dieser Film, auch wenn Mograbi darin die Rolle eines gelangweilten Guides durch die Realpolitik übernimmt, essayistischer ausgefallen als sein bisheriges Werk, das eher im Stile eines von der Stimme geleiteten Cinema Vérité gehalten ist.
Zum Teil ist Mograbis Ansatz auch ein Zeichen für den rasanten Statuswandel, den das filmische Bild in unserer stark technologisch geprägten Welt erfährt. Mograbis leidenschaftliche Überzeugung, dass eine Kamera immer die Realität verändert und dass ein Filmemacher ihrer Präsenz und seiner subjektiven Sichtweise jederzeit Rechnung tragen muss, ist mit der weit verbreiteten Nutzung von Handykameras und durch endlose Selfies vollständig in die internationale Mainstreamkultur übergegangen, auch wenn hier keineswegs dieselbe kritische Haltung zu beobachten ist. Zudem wurde die Welt unlängst, unter dem Eindruck der Pandemie, von Protesten erschüttert und wachgerüttelt, die durch Handy- und Bodycam-Aufnahmen von Polizeigewalt und Mordfällen gegen Afroamerikaner ausgelöst wurden. Derartige Aufnahmen erinnern uns daran, dass für Dokumentarfilmer oder parteiübergreifende Beobachter und Videoaktivisten, wie im Falle von Black Lives Matter oder Breaking the Silence, einiges auf dem Spiel steht. Breaking the Silence wurde von populistischen Politikern in Israel scharf attackiert, hat aber auch Menschen weltweit dazu bewegt, eine entschiedenere Haltung gegenüber der Besetzung einzunehmen. Bezeichnenderweise wurde jüngst im Zusammenhang mit der Besetzung der Palästinensergebiete an das Vermächtnis Martin Luther Kings erinnert, das für Black Lives Matter ebenfalls von zentraler Bedeutung ist: King protestierte gegen den Vietnamkrieg mit den Worten: „Es kommt eine Zeit, in der Schweigen Verrat bedeutet." Indem er seine kritische Stimme erhebt und das Archivmaterial von Breaking the Silence aufgreift, kommt Mograbi nicht nur auf das dringendste Anliegen seines Lebens zurück; er erinnert uns auch daran, dass das Kino für ihn immer ein Mittel war, um Schweigen und Selbstgefälligkeit anzuprangern.
Ela Bittencourt ist Autorin und Kritikerin und lebt in São Paulo und New York. Sie schreibt für Artforum, The Criterion Collection, Film Comment, Frieze, Sight & Sound Magazine und andere Publikationen.
Übersetzung: Kathrin Hadeler