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Die Aussicht

 

Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben,

Wo in die Ferne sich erglänzt die Zeit der Reben,

Ist auch dabei des Sommers leer Gefilde,

Der Wald erscheint mit seinem dunklen Bilde.

Daß die Natur ergänzt das Bild der Zeiten,

Daß die verweilt, sie schnell vorübergleiten,

Ist aus Vollkommenheit, des Himmels Höhe glänzet

Den Menschen dann, wie Bäume Blüth' umkränzet.

 

                                                            Mit Unterthänigkeit

                                                            Scardanelli.

                                                           d. 24 Mai 1748

 

LA VEDUTA LUMINOSA bezieht sich auf diese Verse Hölderlins aus dem Jahr 1843. Es ist das letzte überlieferte Gedicht aus der Zeit im Turm, geschrieben kurz vor seinem Tod. Die erste Zeile „Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben“ ist einem Filmkapitel als Überschrift vorangestellt.

(Textgrundlage: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. 2, Gedichte nach 1800, Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart, Cotta, 1953)

 

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Wenn aus dem Himmel ...

 

Wenn aus dem Himmel hellere Wonne sich

Herabgießt, eine Freude den Menschen kommt,

Daß sie sich wundern über manches

Sichtbares, Höheres, Angenehmes:

Wie tönet lieblich heilger Gesang dazu!

Wie lacht das Herz in Liedern die Wahrheit an,

Daß Freudigkeit an einem Bildniß –

Über dem Stege beginnen Schaafe

Den Zug, der fast in dämmernde Wälder geht.

Die Wiesen aber, welche mit lautrem Grün

Bedekt sind, sind wie jene Haide,

Welche gewöhnlicher Weise nah ist

Dem dunkeln Walde. Da, auf den Wiesen auch

Verweilen diese Schaafe. Die Gipfel, die

Umher sind, nakte Höhen sind mit

Eichen bedeket und seltnen Tannen.

Da, wo des Stromes regsame Wellen sind,

Daß einer, der vorüber des Weges kommt,

Froh hinschaut, da erhebt der Berge

Sanfte Gestalt und der Weinberg hoch sich.

Zwar gehn die Treppen unter den Reben hoch

Herunter, wo der Obstbaum blühend darüber steht

Und Duft an wilden Heken weilet,

Wo die verborgenen Veilchen sprossen;

Gewässer aber rieseln herab, und sanft

Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag;

Die Orte aber in der Gegend

Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.

 

WENN AUS DEM HIMMEL ist auch ein Dokumentarfilm von Fabrizio Ferraro aus dem Jahr 2015 betitelt. Er begleitet die Jazzmusiker Paolo Fresu und Daniele di Bonaventura, die mit dem Produzenten Manfred Eicher ein Album aufnehmen: eine Suche nach Balance auf den Spuren der Hölderlins.

 

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„Ja, die Gedichte sind echt, die sind von mir, aber der Name ist gefälscht! Ich habe nie Hölderlin geheißen, sondern Scardanelli!“

 

Der Überlieferung nach reagierte Hölderlin mit diesen Sätzen, als man ihm eine Ausgabe seiner früheren Gedichte in sein Turmzimmer brachte. Viele der in seiner zweiten Lebenshälfte geschriebenen Gedichte sind mit dem Namen „Scardanelli“ unterzeichnet.

 

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Auszug aus Hölderlins Briefroman Hyperion (kursiv: in LA VEDUTA LUMINOSA zitiert):

 

Hyperion an Diotima

Es ist aus, Diotima! unsre Leute haben geplündert, gemordet, ohne Unterschied, auch unsre Brüder sind erschlagen, die Griechen in Misistra, die Unschuldigen, oder irren sie hülflos herum und ihre tote Jammermiene ruft Himmel und Erde zur Rache gegen die Barbaren, an deren Spitze ich war.

Nun kann ich hingehn und von meiner guten Sache predigen. O nun fliegen alle Herzen mir zu!

Aber ich habs auch klug gemacht. Ich habe meine Leute gekannt. In der Tat! es war ein außerordentlich Projekt, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen.

Nein! bei der heiligen Nemesis! mir ist recht geschehn und ich wills auch dulden, dulden will ich, bis der Schmerz mein letzt Bewußtsein mir zerreißt.

Denkst du, ich tobe? Ich habe eine ehrsame Wunde, die einer meiner Getreuen mir schlug, indem ich den Greuel abwehrte. Wenn ich tobte, so riss' ich die Binde von ihr, und so ränne mein Blut, wohin es gehört, in diese trauernde Erde.

Diese trauernde Erde! die nackte! so ich kleiden wollte mit heiligen Hainen, so ich schmücken wollte mit allen Blumen des griechischen Lebens!

O es wäre schön gewesen, meine Diotima.

 

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Hölderlins gewaltsamer Abtransport in eine Tübinger Nervenklinik, beobachtet von einer Zeitzeugin:

„Der arme Holterling wurde heute morgen abtransportiert, um zu seinen Angehörigen zurückgebracht zu werden. Wieder und wieder versuchte er sich aus der Kutsche herauszustürzen und jedesmal stieß ihn der Mann, der zu seiner Begleitung mitfuhr, zurück. Hölderlin schrie, dass Harschierer ihn wegholten und wehrte sich mit seinen ungeheuer langen Fingernägeln so heftig, dass der Mann ganz mit Blut bedeckt war.“

(11. September 1806, Caroline von Hessen-Homburg)

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