In Mohammad Shawky Hassans märchenhaftem Musical BASHTAALAK SA'AT (Shall I Compare You to a Summer's Day?) verschmelzen die Stimmen und Körper ehemaliger Liebender mit den Stimmen und Körpern derer, die ihre Geschichte erzählen, zu einem Bild queerer Liebe, das vor Vielfalt und Begehren geradezu pulsiert. In seiner fragmentarisch angelegten Feier des Lebens, die der arabischen Poesie ebenso viel zu verdanken hat wie der ägyptischen Technicolor- und Camp-Diva Sherihan, versammelt Hassan die Randerscheinungen des Lebens, die Kleinigkeiten, die das Begehren und die Sehnsucht befeuern.
Hassan versammelt die Randerscheinungen des Lebens, die das Begehren und die Sehnsucht befeuern, um Liebesgeschichten zu erzählen und festzuhalten
Hassans Choreografie der Liebenden liegen mehrere Ausgangssituationen zu Grunde. Mal antworten die Männer auf Fragen eines einstigen Liebhabers und nehmen ihre Liebe retrospektiv in den Blick, sprechen darüber, wie sie sich kennen und lieben gelernt haben, wie ihre Liebe zu Ende ging. Mal liegen sie nackt nebeneinander im Bett, kurz vor Tagesanbruch versunken in ein intimes Gespräch und bekenntnishaftes Geflüster. Manchmal hat es den Anschein, als würden uns Fußnoten der Liebe zu Gehör gebracht, jene Kleinigkeiten, aus denen Beziehungen entstehen oder an denen sie scheitern: ein alles verändernder Blick, ein Kuss oder eine Frage, die einen Neuanfang oder ein Ende eingeläutet haben. Immer wieder aufs Neue werden diese Dinge umgedeutet, kommentiert und zu magischen Wendepunkten der eigenen Geschichte erhöht.
Gesichter und Orte
Die Figuren in diesem Film sind wandelbar, voller Facetten. Mal haben sie ein schelmisches Lächeln auf den Lippen, mal sind sie von entwaffnender Ernsthaftigkeit; mal sind sie wütend, mal wehmütig; mal voller Bedauern, mal vergesslich oder ängstlich. Die Spannbreite der Gefühle ist so groß wie die der Schattierungen, in denen Hassans Film schillert. Unabhängig davon, ob die jeweilige Szene am Meer, auf einer Party oder an einem abstrakten, neongefluteten Ort des Begehrens spielt, und ganz egal, ob die Liebenden ihre Geschichten in Form eines Voiceovers, als Lied oder an einen Menschen hinter der Kamera gerichtet erzählen – sie erschaffen ihre Welten und Fantasien zu ihren je eigenen Bedingungen.
Die athletischen, behaarten Männerkörper, die in BASHTAALAK SA'AT allgegenwärtig sind, würden in anderen Kontexten unter Umständen erdrückend wirken. Schließlich sind es genau solche nicht selten raumgreifenden Körper, die die Grammatiken schwulen Begehrens dominieren und andere Bilder der Lust im Keim ersticken. Aber Hassan geht dieser Gefahr aus dem Weg – dank hinreißender Animationen und dem Charme der Erzählerinnen, die in der unverwechselbaren Diktion arabischen Geschichtenerzählens und mit einem Anflug der List, so als stünden sie im Begriff, Zauber zu wirken, ebenfalls von der Liebe erzählen. Bei Hassan werden aus zeitgenössischen queeren Liebesgeschichten, in denen auch Themen wie Polyamorie und Online-Sexdates verhandelt werden, geradezu zeitlose Erzählungen. Den ganzen Film über sprechen die Frauen so, als würden sie sich an Kinder richten. Selbst wenn von körperlicher Intimität die Rede ist, erscheinen die Liebhaber harmlos, unschuldig. Die Erzählerinnen orchestrieren die verschiedenen Episoden, leiten über, führen ein. Ihr Tonfall und ihre Gesten lassen zwischen ihnen und dem Publikum eine Komplizenschaft entstehen; durch sie werden die Liebhaber zu unschuldigen Märchenfiguren.
Grammatiken der Liebe
Shakespeares Sonett 18 ist, so wie die Sonette 1 bis 126 auch, einem jungen Mann gewidmet, den sich der Dichter zum Objekt seiner Sehnsucht auserkoren hat. Es beginnt mit jenem berühmten Vers, der Hassans Film in leicht abgewandelter Form seinen englischen Titel gibt. Der arabische Titel wiederum geht auf ein Lied der marokkanischen Popsängerin Samira Said zurück. Sowohl das Sonett als auch das Lied gehen der Frage nach, wie Liebe und Begehren durch Kunst und Dichtung unsterblich gemacht werden können. „Du bist meine schönste Geschichte“, singt Said, und bei Shakespeare heißt es: „So lang’ ein Athem weht, ein Auge sieht / Lebt und verleiht dir Leben dieses Lied.“
Die Geschichten in diesem Film werden in unseren Sprachen und unseren Zungenschlägen erzählt – in einer Mischung aus klassischem Arabisch, arabischen Dialekten, hier und da ein wenig Englisch. Sie handeln von Verletzungen und Hoffnungen, die noch in den alltäglichsten Aspekten unserer Beziehungen zum Ausdruck kommen
Ausgehend von diesem Erbe entwirft BASHTAALAK SA'AT eine neue Grammatik der Liebe und greift dabei auf eine Vielzahl klassischer und popkultureller Bezüge zurück. Der Film ist eine Phantasmagorie des Begehrens: Es sind große Gefühle und fantastische erotische Kreaturen – aufreizende Meerjungmänner, großäugige Prinzen –, die zukünftige Liebhaber durch ihr eigenen Geschichten, ihre eigenen Vorstellungswelten führen. In diesem Sinne, als Bestandteil eines Korpus queerer arabischer Referenzen, ist BASHTAALAK SA'AT eine unentbehrliche Erzählung. Die Geschichten in dem Film werden in unseren Sprachen und unseren Zungenschlägen erzählt – in einer Mischung aus klassischem Arabisch, arabischen Dialekten, hier und da ein wenig Englisch. Sie handeln von den Verletzungen und Hoffnungen, die noch in den alltäglichsten Aspekten unserer Beziehungen zum Ausdruck kommen.
Mohammad Shawky Hassans so feierlicher wie sehnsüchtiger Film ist ein Geschenk in Form von Fußnoten und Marginalien – an die Vergangenheit und die Zukunft queerer Liebe.
Karim Kattan ist Autor, sein aktueller Roman „Le Palais des deux collines“ ist 2021 erschienen.
Übersetzung: Gregor Runge