BASHTAALAK SA'AT (Shall I Compare You to a Summer's Day?) ist ein queeres zeitgenössisches Musical, dem arabische Volksmärchen als formale Referenz und ägyptische Popmusik als primäres Klangmaterial zu Grunde liegen. Der Film geht auf ein persönliches Liebestagebuch des Regisseurs zurück und wird wie eine Geschichte aus „Tausendundeine Nacht” erzählt, im Zwiegespräch zwischen Shahrazad, der Erzählerin, die selbst nie in Erscheinung tritt, und den Geistern einstiger Liebhaber.
In Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstler*innen und Performer*innen haben wir in den vergangenen vier Jahren einen Film produziert, der nicht nur inhaltlich, sondern auch mit Blick auf seine Formensprache queer und arabisch zugleich ist. BASHTAALAK SA'AT eignet sich populärkulturelle Vermittlungsformen an (traditionelles Geschichtenerzählen, Musikvideos, Fernsehserien, Musiktheater), erweitert diese und entwickelt eine queere arabische Formensprache, die den historischen Kontext, aus dem sie hervorgegangen ist, reflektiert und zugleich eine Gegenposition dazu einnimmt, abseits jeglicher Exotisierung oder Viktimisierung.
Der Film verwendet eine Formensprache sowie erzählerische und audiovisuelle Referenzen, die innerhalb der arabischen Queer-Community zirkulieren. Auf diese Weise soll ein Gefühl der Vertrautheit hergestellt und eine Welt erschaffen werden, in der sich queere Araber*innen in Geschichten, Wörtern, Liedern und Witzen wiedererkennen können.
Während „Tausendundeine Nacht” in der westlichen Welt große Verbreitung gefunden hat, sowohl in der akademischen Welt als auch beim Lesepublikum, wurde nur sehr wenig darüber geschrieben, wie das arabische Publikum das Werk rezipiert hat und in welchem Verhältnis es heute zu ihm steht
Die Männer in diesem Film sind keine Opfer. Trotz ihrer Verletzlichkeit sind sie stark und sagen ihre Meinung. Sie sind schwul und leben ihr Begehren ohne jede Scham. Mittels verschiedener Formen des Storytellings – mündliches Erzählen, Gesang, Dialog – entsteht ein Narrativ, das sich von den vorherrschenden Darstellungen arabischer schwuler Männer, die unter ihrer unterdrückten Sexualität leiden, unterscheidet. Im Laufe des Films entsteht so eine Sprache des queeren Liebhabers, die sich traditioneller Erzählweisen und verschiedener, tief in der arabischen Populärkultur verwurzelter Sprachregister bedient.
Während „Tausendundeine Nacht” in der westlichen Welt große Verbreitung gefunden hat, sowohl in der akademischen Welt als auch beim Lesepublikum, wurde nur sehr wenig darüber geschrieben, wie das arabische Publikum das Werk rezipiert hat und in welchem Verhältnis es heute zu ihm steht. Ich selbst bin mit „Tausendundeine Nacht” vor allem durch die gleichnamige ägyptische Radiosendung und später durch die Fernsehserien in Berührung gekommen, die in den achtziger und neunziger Jahren immer während des Ramadan ausgestrahlt wurden. Diese populärkulturellen Adaptionen des Textes stellen für den Film einen wichtigen visuellen und sprachlichen Referenzpunkt dar.
Die an Shahrazad angelehnte Erzählerin des Films verweist daher einerseits auf eine lange Tradition des Geschichtenerzählens in der arabischen Welt, aber auch auf einen populärkulturellen Kontext. Die Wiederbelebung vertrauter populärkultureller Motive ist ein Versuch, die in der arabischen Kulturproduktion existierenden erzählerischen Muster zu durchdenken, die darüber hinaus eine große Bedeutung für die queere Geschichte der Region haben und gleichzeitig kontinuierlich heteronormative Vorstellungen von Liebe reproduzieren. Die Film-Shahrazad ist eine Hommage an die Figuren aus „Tausendundeine Nacht”, die für die queeren Subjektivitäten in der Region eine wichtige Rolle spielen. Ihre Anwesenheit – mittels Greenscreen-Technik – und ihre gequeerten Monologe in Reimform lassen einen komplexen filmischen Vorstellungsraum entstehen.
Die Greenscreen-Technik verweist nicht nur auf die Fernsehserie „Tausendundeine Nacht”, in der sie oft zum Einsatz kam, sie soll zudem einen queeren Raum entstehen lassen, der von heimlichen Erfahrungen geprägt wird, von der Gleichzeitigkeit von Narrativen, einem Gefühl der Ortlosigkeit und dem ständigen Nebeneinander von Realität und Fantasie. Die Figuren erzählen ihre intimen Geschichten in einem Greenscreen-Studio, das sich in verschiedene Räume und Orte verwandelt, in Zimmer, Bars, Clubs, Wälder, Strände; ihre konstruierte Präsenz bildet den Hintergrund für persönliche romantische Erfahrungen und lässt einen kollektiven queeren Raum entstehen, in dem Erinnerungen, Hoffnungen, Träume und Zukünfte lebendig werden können.
Mohammad Shawky Hassan
Berlin, Januar 2022
Übersetzung: Gregor Runge