Fünf der Arbeiten, die Asa Mendelsohn hier anlässlich Tenzin Phuntsogs Ausstellung in der Microscope Gallery in New York im Frühjahr 2022 bespricht, sind Teil der Forum Expanded-Ausstellung.
Tenzin Phuntsogs PALA AMALA (Vater Mutter, 2022) zeigt die Einstellung zweier nackter, das Bild durchquerender Arme. Phuntsog beobachtet durch die Kamera seinen Vater, der sich mit sandigen Händen über die Unterarme und Handgelenke fährt, als ob er seine Haut abreiben würde. Phuntsogs Protagonist*innen (seine Eltern) stehen am Rand des Ozeans an einem sonnigen Strand in Kalifornien. Die Kleidung und Turnschuhe, die sie tragen, deuten auf einen kühleren Tag hin. Sie sind nicht hier, um zu schwimmen, sondern um ein Gefühl aufzusuchen.
Exil- und Vertreibungserfahrung der tibetischen Diaspora rahmen die Arbeiten in Tenzin Phuntsogs Ausstellung „Pure Land“.
In einem Online-Künstlergespräch der Microscope Gallery gab Phuntsog eine Geschichte wieder, die ihm sein Vater erzählt hatte: Sein Vater konnte Jahre nicht nach Tibet zurück und als er dann endlich ankam, beugte er sich vor und rieb sich Erde über seinen Körper. Er machte dies, ohne darüber nachzudenken, ging dem plötzlichen Bedürfnis nach, die Erde auf seiner Haut spüren zu wollen. Das war in den Neunzigern, als es für eine kurze Zeit für Exiltibeter*innen möglich war, nach Tibet einzureisen. Exil- und Vertreibungserfahrung der tibetischen Diaspora rahmen die sechs Filme und Video von Tenzin Phuntsogs Ausstellung „Pure Land“. Phuntsog selbst konnte nicht nach Tibet einreisen. Da sein Visumantrag wiederholt abgelehnt wurden, hat er es sich zum Ziel gesetzt, die Heimat seiner Eltern per Video, durch Familie und durch persönliche Film- und Performance-Aktionen zu besuchen, die sich mit den Möglichkeiten der Verbindung durch Erinnerung, Träume und Land befassen. Wie kann Träumen im Exil das Land neugestalten?
In PALA AMALA und DREAMS (2022) filmt Phuntsog seine Eltern. Die Bilder sind überraschend, langsam und unmittelbar in ihrer scheinbaren Behaglichkeit. Phuntsogs behutsame Kameraführung passt zur Leinwandpräsenz seiner Eltern. Im Titelfilm der Ausstellung, PURE LAND (2022)1Diese Arbeit ist nicht Teil der Forum Expanded-Ausstellung., filmt er einen Freund, der eine Version des Künstlers spielt: Ein tibetisch-amerikanischer Mann fotografiert die Hochebenen in den Blackfeet-Gebieten in Montana auf der Suche nach Ähnlichkeiten mit der Landschaft Tibets. Er schickt seiner in Tibet geborenen Mutter Fotos und fragt, was für Emotionen sie in ihr hervorrufen.
Was ist deine Verbindung zu einem Ort, den du nur in deiner Vorstellung kennen kannst?
Der Ausstellungstitel spielt mit dem buddhistischen Konzept des reinen Landes, einem im menschlichen Leben unvorstellbaren Ort, der dennoch direkt vor dir sein könnte. Phuntsog erweitert dieses Konzept, um seine Erfahrung zu beschreiben: Was ist deine Verbindung zu einem Ort, den du nur in deiner Vorstellung kennen kannst? Eine weitere Interpretationsebene ergibt sich aus Phuntsogs Anerkennung des Blackfeet-Landes: Was bedeutet es, an Reinheit zu denken, während man sich auf Land befindet, das fünfhundert Jahre Völkermord und Widerstand der Indigenen in sich birgt?
PALA AMALA, DREAMS und PURE LAND wurden auf 35-mm Film gedreht und nur minimal geschnitten. Die zwischen zwei und fünfzehn Minuten langen Filme sind das Resultat einer zehnjährigen Vorbereitung. Die Projektionen werden durch drei skulpturale Videoarbeiten ergänzt: speziell angefertigte Bildschirme, die der Größe und vertikalen Ausrichtung eines Mobiltelefons entsprechen und in Messing- und Jadebehältern eingesetzt sind, die an tibetische Gaus (kleine Altarschreine) erinnern. Auf Sockeln in der Galerie verteilt, zeigt jeder Monitor ein ein- bis zweiminütiges Video in Dauerschleife: Dokumente des täglichen Lebens, die in Tibet lebende Verwandte über WeChat geschickt haben. Phuntsog erlangte über seine Mutter Zugriff auf dieses Archiv an Heimvideos und erfuhr davon als die USA WeChat zwischen 2020 und 2021 für eine Zeit sperrte. Wie erneuert Träumen eine Familie? Ein älterer Verwandter füttert Yaks mit frischem Gras. Ein junger Verwandter tanzt.
„Tenzin Phuntsog: Pure Land“ war vom 3. März bis 9. April 2022 in der Microscope Gallery, New York zu sehen.
Asa Mendelsohn
Zuerst veröffentlicht auf: https://www.screenslate.com/articles/tenzin-phuntsog-pure-land, 30. März 2022.